Polen

ERSATZHELD FÜR DIE HEIMAT

Robert Kubica führt die WM-Fahrerwertung, tröstet seine traurigen Landsleute und ist außerdem gut fürs Geschäft von BMW(n-ost) – Mit Kettensägen ist der Name Kubica derzeit in Polen überall im Fernsehen präsent. Artur Kubica, Vater von Formel-1-Star Robert Kubica, wirbt im Fernsehen anstelle seines Sohnes für dieses Werkzeug. Denn Robert hat in seinem Formel-1-Leben auf Reisen kaum Zeit, zu Hause zu sein. Doch das verschmerzen die Polen, die nach dem Aus bei der Euro 2008 ihren neuen Helden vor dem nächsten Rennen am Sonntag im französischen Magny Cours umso heftiger feiern.Innerhalb kürzester Zeit ist Robert Kubica zum größten polnischen Sporthelden aufgestiegen. Mit dieser Rolle füllt er eine Lücke, die viele Polen schmerzt: Der erfolgreiche Skispringer Adam Malysz hat seine beste Zeit gerade hinter sich. Der Fußball hat schon seit den Spieltagen von Zbigniew Boniek keinen Weltstar mehr generiert – und das war in den 80er Jahren bei Juventus Turin. Da passte es gut, dass Kubica just an jenem Tag als erster Pole überhaupt ein Formel-1-Rennen gewann, als Polen bei der Fußballeuropameisterschaft in Klagenfurt gegen Deutschland verlor. Und nun sind die Rot-Weißen ganz ausgeschieden.Seit dem letzten Rennen in Montreal führt der polnische BMW-Pilot Kubica die Fahrerwertung an. Für Sportfans in Polen ist das ein Trost, und auch für die zumeist patriotisch gefärbten Medien. „Montreal ist der größte polnische Sporterfolg in diesem Jahr“, schrieb die Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“. Um dann vor einem Ausrufezeichen festzustellen, dass Kubica ein „Kandidat für die Weltmeisterschaft“ sei. In der Teamwertung liegt BMW Sauber mit nur drei Punkten hinter Ferrari. Für BMW zeichnet sich in dieser Saison ein prestigeträchtiger Zweikampf mit den Italienern ab, bei dem Kubica die Hauptrolle spielen kann. Für seine Anhänger war das vergangene rennfreie Wochenende der perfekte Zeitpunkt für eine Schau, bei der BMW seinen polnischen Fahrer ausgestellt hat. Auf einem ehemaligen Militärflughafen außerhalb Warschaus wurde eine Boxengasse nachgebaut, mit der weltweit für das Team geworben wird. Dort schauten die technikbegeisterten Polen zu, wie Kubica seinen Wagen auf dem Asphalt in einer weißen Wolke zum Kreiseln brachte. Zu diesem Schauspiel kamen – wie im vergangenen Jahr – wieder mehr als 100.000 Menschen. Familien mit Kindern, wie man sie in polnischen Fußballstadien eben nicht sieht. Anders als Fußball ist Formel 1 keine reine Männersache: „Die wollen alle ihren Helden sehen“, sagt Jörg Kottmeier, Sprecher der Abteilung Motorsport bei BMW. Schließlich war  Polen bislang kein Austragungsort eines Formel-1-Rennens. „Kubica sagt, die Begeisterung in Polen ist längst so groß, dass er sich dort gar nicht normal bewegen kann.“ Mit der Begeisterung für Kubica wächst das Interesse an einer Sportart, die in Polen noch jung ist. „Der Wissensstand über die Formel 1 war beim Großteil der polnischen Journalisten in der Vergangenheit sehr schlecht. Aber das wird langsam besser“, sagt Kottmeier. Zeitungen und Magazine veröffentlichen vor den Rennen Regelwerke, und erklären in Graphiken, wie Kubicas Sportart funktioniert. Zuerst hatte der Boulevard Kubica für sich entdeckt. Schließlich gilt schon sein Jahresgehalt als internationaler Erfolg, an dem sich die karrierebewussten Polen gerne orientieren. Die größte Tageszeitung „Fakt“ nutzt sein Gesicht seit einigen Tagen für eine Kampagne, die Kubica von Lukas Podolski geerbt hat: „Warum Kubica niemals ein Deutscher wird“ hieß es am Donnerstag auf der Titelseite – als Antwort auf die Frage der Bild-Zeitung: „Können wir den nicht auch einbürgern?“. Ungebetene Schützenhilfe liefert dazu der Pole Dariusz Michalszewski, der einst als Deutscher boxte. „Im Fußball schießen für die Deutschen mit Klose und Podolski gebürtige Polen die Tore, und kein deutscher Fahrer garantiert ihnen ein zweiter Schumacher zu sein. Sie könnten Kubica für viel Geld kaufen, aber er hat es nicht nötig, seine Staatsbürgerschaft zu wechseln“. Überhaupt stimuliert das Fahrerduo Robert Kubica/Nick Heidfeld die polnische Journaille zum Angebot des Verkaufsschlagers „deutsch-polnischer Konflikt“. „Was in polnischen Boulevardzeitungen steht, ist das Hanebüchenste, was ich jemals gesehen habe“, kommentiert Kottmeier. Er meint damit auch die verbreitete Meinung, dass BMW versucht, den schlechteren Heidfeld besser zu positionieren, bloß weil der ein deutscher Fahrer ist. Auch für Adam Bodziak, Redakteur der Fachzeitschrift „Marketing&More“ ist dieser Konflikt ein Thema. Vor allem aber interessiert ihn der Marketingerfolg von BMW, der mit der Kubica-Mania einhergeht. „Lange Zeit hatte BMW ein Imageproblem: Es war das Auto der neureichen Schieber. Und mit denen wollten die gut ausgebildeten Eliten nicht in Verbindung gebracht werden.“ Inzwischen hat BMW das stärkste Wachstum auf einem dynamischen Markt. In den ersten vier Monaten dieses Jahres wurde in Polen rund ein Drittel mehr Oberklasseautos dieser Marke zugelassen als im vergangenen Jahr. „Das liegt auch an Robert Kubica. So steht BMW inzwischen mehr für internationale Professionalität und hohen technischen Standard”, sagt Adam Bodziak. Und wem das Geld für ein bayrisches Nobelauto fehlt, der sich aber trotzdem mit Kubica identifiziert, der kauft eben eine Motorsäge.ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 259 32 83 - 0


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