Kosovo

Kosovarische Verfassung - Internationales Chaos

Am Sonntag ist die Verfassung des unabhängigen Kosovo in Kraft getreten. Doch Euphorie ist im jüngsten Staat der Welt nicht zu spüren. Das Chaos der internationalen Präsenz vor Ort und die Angst vor einer Teilung des Landes verderben die Feststimmung gründlich.

Im Jugendpalast im Zentrum von Prishtina spielte das Philharmonische Orchester der Republik Kosovo gestern erstmals die neue Hymne. Vier Monate nach der einseitigen Unabhängigkeitserklärung durch das kosovarische Parlament gilt nun auch die eigene Verfassung. Damit sollte eigentlich die Präsenz der UN-Übergangsverwaltung Unmik aufhören, die seit dem Ende des Kosovokrieges vor neun Jahren auf Basis der UN-Resolution 1244 die ehemalige südserbische Provinz regiert hatte.

In der Verfassung kommt die Unmik nicht mehr vor. Dafür stützt sich das Grundgesetz konsequent auf den Plan des UN-Sondergesandten für Kosovo, Martti Ahtisaari. Der frühere finnische Präsident hatte für Kosovo im Februar 2007 die überwachte Unabhängigkeit vorgeschlagen und dabei vor allem den Kosovo-Serben zahlreiche Sonderrechte zugesichert. Der Plan scheiterte aber im UN-Sicherheitsrat am Widerstand Russlands. 

Das kosovarische Parlament hat jedoch – auf sanften Druck der USA und der führenden EU-Länder – den Ahtisaari-Plan in die neue Verfassung integriert. Damit stimmte es auch der Überwachung durch einen Internationalen Zivilvertreter (ICR) zu. Der Niederländer Pieter Feith, der dieses Amt nun inne hat, berät mit seinen 75 Mitarbeitern die kosovarische Regierung, kann aber seit Sonntag auch Gesetze ändern oder Amtsträger entlassen, sofern er Verstöße gegen die Regeln aus dem Ahtisaari-Plan feststellt.

Das zweite Standbein der internationalen zivilen Präsenz in Kosovo stellt die EU-Rechtsstaats-Mission Eulex dar, die vom Franzosen Yves de Kermabon geleitet wird. Mit 1.900 Richtern, Staatsanwälten, Polizisten und Zollbeamten soll die Eulex – auf Einladung Kosovos – das Justizsystem im Land überwachen und gegen organisierte Kriminalität und Korruption vorgehen. Dazu ist sie mit weitreichenden Vollmachten ausgestattet, kann die kosovarischen Gerichte jederzeit von Fällen entbinden oder Beamte und Angestellte im Justizbereich entlassen.

Ein solches Instrument tut dringend Not. Laut Avni Zogiani von der kosovarischen Anti-Korruptions-NGO Cohu ist „die Mehrheit der Staatsanwälte und Richter in Kosovo in irgendeiner Form mit der organisierten Kriminalität verbunden“. Auch bei den großen politischen Parteien – gerade den beiden Koalitionspartnern PDK und LDK – sehe es nicht besser aus, sagte Zogiani dieser Zeitung.

Serbien und die Kosovo-Serben bezeichnen die Eulex jedoch als illegal und boykottieren sie. Bis jetzt sind lediglich rund 300 Eulex-Mitarbeiter in Kosovo angekommen. Der Grund für die Verzögerungen ist, dass die Eulex bislang mit keinem von der Uno abgesegneten Mandat ausgestattet ist, um im Justizbereich die Unmik zu beerben. Zwar stehen alle 27 EU-Staaten – auch jene, die Kosovo nicht als Staat anerkannt haben – hinter der Eulex.

Doch Russland, die Schutzmacht Serbiens im Kampf gegen die Unabhängigkeit Kosovos, hält strikt an der Weiterführung der Unmik fest. Alles andere sei ein Bruch des internationalen Rechts, heißt es aus Moskau. Mit einem Brief an die Präsidenten Serbiens und Kosovos und einem Bericht an die Mitglieder des Sicherheitsrates hat UN-Generalsekretär Ban Ki Moon nun letzte Woche versucht, einen Ausweg aus der verzwickten Lage zu finden. 

Dabei stellte er fest, dass sich die Realitäten in Kosovo aufgrund der Unabhängigkeitserklärung und der neuen Verfassung stark verändert hätten. Die Unmik könne nicht gegen den Strom schwimmen, übertrage ihre Administrativ-Funktionen an die kosovarischen Behörden und müsse deshalb kleiner und schlanker werden. Doch sie bleibt vor Ort präsent. 

Bezüglich des Status ist Ban Ki Moon neutral. Trotzdem liest die kosovarische Regierung den Brief so, dass für den Generalsekretär „die Verfassung eine Legalisierung des unabhängigen Staates Kosovo“ sei, wie der stellvertretende Ministerpräsident Hajredin Kuci sagte. Der amtierende serbische Regierungschef Vojislav Kostunica hatte den Brief dagegen umgehend als „inakzeptabel“ zurückgewiesen.

Ban Ki Moon will die Eulex als Pfeiler ins abgespeckte Unmik-System einbauen, sie „beschirmen“ lassen, wie es die Diplomaten in Prishtina nennen. Demnach wäre die Eulex trotzdem nur Brüssel unterstellt. Somit könnte Europa die Kompetenzen im Justizbereich wie geplant übernehmen, und aus Sicht Russlands bliebe das internationale Recht durch die Weiterführung der Unmik gewahrt. 

Der serbischen Seite bietet der Generalsekretär an, über einige Punkte, die die von Serben bewohnten Gebiete in Kosovo betreffen, nochmals zu reden. Dabei geht es um die Bereiche Polizei, Gerichte, Zoll, Grenzkontrollen, Verkehr und das kulturelle Erbe. Unmik-Chef Joachim Rücker nahm möglichen Falschinterpretationen allerdings jeden Wind aus den Segeln: „Der Generalsekretär beabsichtigt damit keine neuen Statusverhandlungen, und er will auch keine gemeinsame Verwaltung der serbischen Gebiete Kosovos durch die Unmik und die serbische Regierung. Er ist aber bereit, dass die Uno mit Belgrad über praktische Fragen spricht. Jede Umsetzung erfordert allerdings auch das Einverständnis der kosovarischen Regierung.“

Kosovo-albanische Kritiker befürchten trotzdem, man werde bereit sein, einen Teil der serbischen Parallelstrukturen vor allem in Nordkosovo zu tolerieren, wenn Serbien dafür die Eulex-Mission nicht mehr torpedieren wird. Konkret könnte dies zum Beispiel bedeuten, dass die Polizei in den serbischen Gebieten Kosovos direkt der Unmik unterstellt würde. Viele werten dies als weitere Zementierung der De-facto-Teilung Kosovos.

Ob Russland auf den von Ban Ki Moon aufgezeigten Ausweg aus der Krise einsteigt, wird sich erst am Freitag zeigen, wenn der UN-Sicherheitsrat darüber diskutiert. Im Umfeld des Internationalen Zivilvertreters ist man verhalten optimistisch. Moskau werde sich „eher nicht“ querlegen, heißt es dort hinter vorgehaltener Hand. Eine Grundsatzentscheidung wird der UN-Sicherheitsrat allerdings kaum treffen können, da er in der Kosovo-Frage wegen der gegensätzlichen Meinungen der Veto-Mächte blockiert ist. Deshalb wird Ban Ki Moon von sich aus Instruktionen an die Unmik schicken, wie deren Umbau genau vonstatten zu gehen hat.

Mit der neuen Phase, in die die Unmik dann eintritt, endet am Freitag auch Rückers Mandat als Unmik-Chef. Er hatte dieses Amt seit September 2006 inne. Sein Nachfolger als Vertreter des Generalsekretärs wird aller Voraussicht nach der italienische Diplomat Lamberto Zannier. Eine von Zanniers ersten Aufgaben wird sein, die geplante Übergabe der Kompetenzen im Justizbereich an die Eulex zu managen. Diese wird wegen des Gerangels auf der Bühne der Weltpolitik voraussichtlich erst im Oktober mit dem gesamten Personalbestand voll einsatzfähig sein und ihr Mandat übernehmen können. 

Ob die Eulex allerdings auch im serbischen bewohnten Nordkosovo arbeiten kann, bleibt offen. Entscheidend dafür, ob die EU-Rechtsstaatsmission nicht mehr wie bisher boykottiert wird, dürfte die Haltung Russlands sein – aber auch die Ausrichtung der neuen serbischen Regierung. Der Politologe Lulzim Peci, Direktor des angesehenen Think Tanks Kipred in Prishtina, glaubt, dass im Falle einer Machtübernahme durch Tadics Demokratische Partei einige Scharfmacher zurückgebunden werden und „so ein toleranteres Klima für den politischen Dialog“ entstehe.

Auch der Internationale Zivilverwalter Pieter Feith, der gleichzeitig EU-Sondergesandter in Kosovo ist, betont die Bedeutung der neuen serbischen Führung für das Kosovo-Problem: „Wir hoffen, dass es eine EU-freundliche Regierung sein wird und dass man auch in Belgrad mehr in die Zukunft schaut als in die Vergangenheit.“


Weitere Artikel