Tschechien

PRAGER REGIERUNG SCHWÄCHELT

Premier Topolanek hat die Koalition mit Christdemokraten und Grünen nicht mehr im Griff (n-ost) – “Erinnern Sie sich noch? Vor vier Jahren war die Regierung von Vladimir Spidla am Ende und Tschechien zog bei der Fußball-Europameisterschaft ins Halbfinale ein. Jetzt spricht Mirek Topolanek vom Ende seiner Regierung, und unsere Elf gewann glücklich ihr EM-Auftaktspiel. Der Unterschied: Heute macht es keinen Spaß mehr, den Fußballern zuzusehen.” Immerhin, die meisten Tschechen nehmen das derzeitige Geschehen mit ähnlichem Galgenhumor wie der zitierte Kommentator der Wirtschaftszeitung “Hospodarske noviny”. Die Stimmung in Prag könnte in der Tat besser sein. Am Montag streikten die Lehrer, demnächst steht ein landesweiter Warnstreik an, an dem sich auch viele andere Branchen beteiligen wollen. Sie stören sich an den Reformen der Regierung, die aber vergleichsweise harmlos ausfallen. Doch wenn – wie anderenorts – alles teurer wird oder zu werden scheint, dann drückt das zusätzlich aufs Gemüt. Erwähnte Wirtschaftszeitung schrieb am Montag auf ihrer Titelseite, die tschechischen Spediteure hätten ihren Brummi-Fahrern untersagt, an den teuren tschechischen Tankstellen zu tanken. Das signalisiert neues Ungemach. Vor kurzem noch fuhren Deutsche zuhauf als Tanktouristen ins Nachbarland. Das hat sich bei Literpreisen von bis zu 1,45 Euro für Superbenzin und noch mehr für Diesel jetzt erledigt. Doch neue Reformen, an denen sich die Tschechen stoßen könnten, sind nicht in Sicht. Premier Topolanek spricht von „Zerrüttung“ der Koalition seiner Konservativen mit den Christdemokraten und den Grünen, hält ein Ende der Regierung, die noch nicht einmal eineinhalb Jahre amtiert, für wahrscheinlich. Auch wenn die oppositionellen Sozialdemokraten in Umfragen bis zu 10 Prozentpunkte vorn liegen – deretwegen sorgt sich Topolanek nicht. Es sind die Leute aus den eigenen Reihen, die ihm die Haare zu Berge stehen lassen. Die Christdemokraten verwässern beständig die Gesundheitsreform. Eine Bevölkerungsgruppe nach der anderen soll von den vergleichsweise lächerlichen Zahlungen beim Arztbesuch befreit werden. Die Grünen sind uneins, wie man mit dem Projekt der US-amerikanischen Radarstation in Tschechien umgehen soll. Selbst ein grüner Minister ist dagegen. Und in Topolaneks eigener Partei, der ODS, rebellieren seit Monaten ein paar Leute permanent gegen den mühsam ausgearbeiteten Kompromiss zur Rückgabe des unter den Kommunisten verstaatlichten Eigentums an die Kirchen und Religionsgemeinschaften. Dem Wortführer der letzten Gruppe, dem Finanzexperten Vlastimil Tlusty, geht es dabei weniger um die Kirchenfrage; er ist Topolanek gram, weil der ihn nicht zum Finanzminister gemacht und das von ihm ausgearbeitete Modell einer Einheitssteuer (Flat-tax), wie sie erfolgreich in der Slowakei eingeführt wurde, ausgebremst hat. Topolanek rechnete seinerseits scharf mit Tlusty ab, sieht ihn de facto nicht mehr als Teil der ODS-Fraktion an. Die Regierung kann aber eigentlich auf niemanden verzichten: sie verfügt nur dank zweier abtrünniger Sozialdemokraten über eine hauchdünne Mehrheit im Abgeordnetenhaus.  Kommentatoren sehen in der Warnung Topolaneks vor dem Ende der Koalition einen Versuch, die eigenen Reihen wieder in den Griff zu bekommen. Doch das dürfte ihm kaum gelingen. Es sind nicht nur skizzierten aktuellen Probleme, die ihm Bauchschmerzen bereiten. Das Vertrauensverhältnis in der Koalition ist spätestens seit der chaotischen Wahl des Präsidenten zerstört. Teile der Christdemokraten sowie geschlossen die Grünen legten sich da quer und wollten den Herausforderer von Vaclav Klaus, den Wirtschaftsprofessor Jan Svejnar, zum Staatsoberhaupt küren. Das Unternehmen scheiterte zwar knapp, aber seither driftet das Regierungslager immer wieder auseinander. Dazu trägt auch Topolaneks eigene Partei bei. Die ODS-Fraktion im Senat, der zweiten Kammer des Parlaments, hat das Verfassungsgericht in Brno (Brünn) angerufen, um zu überprüfen, ob der EU-Reformvertrag von Lissabon mit dem tschechischen Grundgesetz vereinbar sei. Christdemokraten und Grüne, anders als die ODS europafreundlich, reagierten darauf pikiert. Was tun in dieser verfahrenen Situation? Ein Minderheitskabinett wäre eine Möglichkeit. Die ODS hat Erfahrungen damit, stützte einst eine sozialdemokratische Regierung ohne Mehrheit im Parlament. Doch diese „geheime“ Große Koalition war dem Land äußerst abträglich. Die Alternative wären vorgezogene Wahlen. Doch die brauchen eine gewisse Vorbereitung. Der Zeitpunkt dafür könnte nicht ungelegener kommen: Anfang kommenden Jahres übernimmt Tschechien die EU-Ratspräsidentschaft. Nicht auszudenken, wenn das Land dann ohne arbeitsfähige Regierung dastünde. Nebenbei: die Bürger wollen auch keine Neuwahlen. 60 Prozent, so eine Umfrage vom Wochenende, lehnen sie ab. Triste Zeiten also. Und es sieht nicht danach aus, als sollten die Fußballer in Österreich und der Schweiz für bessere Stimmung unter den Tschechen sorgen können.ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 259 32 83 - 0


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