Gefährlicher Luftraum über Abchasien / Interview mit Abchasiens de facto-Präsident, Sergej Bagapsch
Die von Georgien abtrünnige Provinz Abchasien im Südkaukasus bleibt Zankapfel zwischen Russland und dem Westen. Immer wieder werden über dem Gebiet Flugzeuge abgeschossen, deren Identität ebenso unklar ist wie die derjenigen, die sich gegen die Flüge zur Wehr setzen. Bestand haben allein gegenseitige Schuldzuweisungen. Georgien gegenüber stehen dabei nicht nur die abchasischen Separatisten, sondern auch deren Schutzmacht Russland. Denn während sich Moskau offiziell als Vermittler in Friedensverhandlungen gibt, unterstützt es Abchasien tatsächlich nach Kräften.
Den jüngsten Vorfall hat die in der Region stationierte UN-Beobachtermission untersucht und ist in dieser Woche zu dem Schluss gekommen, dass ein russisches Kampfflugzeug am 20. April die über abchasischem Territorium gesichtete georgische Aufklärungsdrohne abgeschossen habe. Das abchasische Verteidigungsministerium erklärte dagegen, ein abchasisches L-39-Flugzeug habe die Drohne abgeschossen. Die russische Regierung behauptet, zum fraglichen Zeitpunkt seinen keine russischen Flugzeuge über Abchasien geflogen. Sergej Bagapsch, seit 2005 Präsident der selbst ernannten Republik Abchasien, spricht im Interview über die Feindseligkeit zwischen Abchasen und Georgiern, die Unterstützung durch Russland und sein fehlendes Vertrauen in den Westen.
Der de facto-Präsident Abchasiens, Sergej Bagapsch. / Gaseta Respublika Abchasia
Frage: Immer wieder wird über Aufklärungsflüge gestritten, die angeblich abchasischen Luftraum verletzen. Wie werden Sie in Zukunft auf unbemannte georgische Aufklärungsdrohnen reagieren?
Bagapsch: Wir werden sie abschießen, egal ob sie bemannt oder unbemannt sind. Wir haben Georgien und die UN-Mission vorgewarnt.
Frage: Der georgische Präsident Michail Saakaschwili kritisiert, dass zur russischen Friedenstruppe Fallschirmspringer und schwere Technik gehören. Wozu braucht die russische Friedenstruppe solches Gerät?
Bagapsch: Die Russen brauchen gepanzerte Fahrzeuge. In den Bergen sind die Wege schlecht. Schon viele russische Soldaten sind bei der Ausübung ihres Friedensdienstes gestorben.
Frage: Was ist bei den Friedensverhandlungen zwischen Georgien und Abchasien in den vergangenen Wochen herausgekommen?
Bagapsch: Wir haben vorgeschlagen, dass in einer ersten Etappe Georgien seine Streitkräfte aus dem oberen Teil des Kodori-Tals an der Grenze zu Abchasien abzieht. Die Stationierung georgischer Truppen dort widerspricht der Waffenstillstandsvereinbarung von 1994. Erst wenn das geschehen ist, können wir einen Friedensvertrag unterzeichnen. Wir wissen nicht, wie die georgische Seite auf diesen Vorschlag reagiert. Die USA, die auch an den Gesprächen teilnehmen, sind besorgt darüber, wie sich die Situation in den letzten Jahren immer weiter verschlechtert hat. Von 1993 bis 2003 fanden regelmäßig Friedensverhandlungen statt. Doch seit dem Machtantritt von Michail Saakaschwili in Georgien gibt es nur noch die Sprachregelung, Georgien sei stark, werde von der ganzen Welt unterstützt und bekäme von überall her Waffen.
Zur Person: Der 59-jährige ehemalige Parteifunktionär und Sowchosen-Direktor Sergej Bagpapsch wurde 2005 zum Präsidenten der abtrünnigen georgischen Provinz Abchasien gewählt. Abchasien hatte sich 1992 für unabhängig erklärt, woraufhin georgische Truppen in die Region einrückten. Die Separatisten schlugen sie mithilfe russischer und nordkaukasischer Soldaten zurück. 1994 wurde ein Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet, doch offiziell befinden sich Georgien und Abchasien nach wie vor im Krieg. In dem 8.600 Quadratkilometer großen Gebiet leben 200.000 Menschen, darunter 50.000 nach dem Krieg zurückgekehrte Georgier. Zur Sowjetzeit war die Provinz am Schwarzen Meer wegen ihres subtropischen Klimas eine der wichtigsten Urlaubsregionen des Landes. Noch heute ist der Tourismus die wichtigste Einnahmequelle. Der Durchschnittslohn in Abchasien beträgt etwa 80 Euro, Rentner erhalten nur drei Euro monatlich. Die meisten Bewohner Abchasiens haben jedoch inzwischen die russische Staatsbürgerschaft angenommen und erhalten deshalb Renten in Höhe von 80 Euro aus Moskau.
Frage: Der georgische Präsident will nur auf die Anwendung von Gewalt verzichten, wenn die georgischen Flüchtlinge nach Abchasien zurückkehren können. Die Abchasen lehnen dies aber ab.
Bagapsch: An keinen Krisenherd der Welt, an dem Krieg geführt wurde, sind so viele Flüchtlinge zurückgekehrt wie nach Abchasien. In die Grenz-Region Gali kehrten 60.000 georgische Flüchtlinge zurück. Die internationale Gemeinschaft müsste den georgischen Flüchtlingen in Georgien finanziell helfen, damit sie sich dort integrieren. Außerdem ist es nicht unsere Schuld, dass diese Menschen nach Georgien fliehen mussten. Die Georgier sind 1992 mit Truppen in Abchasien einmarschiert. Als wir unser Territorium befreit haben, bekamen sie Angst und flüchteten.
Frage: In Europa haben viele damit gerechnet, dass Russland nach der Anerkennung Kosovos Abchasien anerkennt. Warum ist das nicht passiert?
Bagapasch: Wir wussten, das Russland uns nicht sofort anerkennt. Präsident Putin hat erklärt, Moskau wolle den Westen nicht nachäffen. Auch wir wollen nicht, dass man uns nur deswegen anerkennt, weil die USA den Kosovo anerkennt. Wir wollen die Unabhängigkeit, weil wir sie uns verdient haben.
Frage: Finden sich abchasische Unternehmer damit ab, dass russische Geschäftsleute in Abchasien Sanatorien und Hotels aufkaufen?
Bagapsch: Die Russen haben längst nicht alle Sanatorien gekauft. Viele Gebäude gehörten außerdem schon früher russischen Behörden. Für uns war es war richtig, die Sanatorien zu verkaufen. Wir brauchen Investitionen für den Wiederaufbau der Hotels, die im Bürgerkrieg ausgebrannt sind.
Frage: Mehr als die Hälfte der Abchasen hat einen russischen Pass. Jetzt hat Putin angekündigt, die Beziehungen zu Abchasien zu intensivieren. Russische Konsularbeamte sollen sich um Abchasen mit russischem Pass kümmern. Werden die Spannungen zwischen Abchasien und Georgien dadurch zunehmen?
Bagapsch: Die USA haben doch auch einen militärischen Beistandspakt mit Taiwan geschlossen. Man kann Abchasien nicht etwas verbieten, was zum Beispiel im Kosovo möglich ist. Warum verdient der Kosovo mehr Unabhängigkeit als Abchasien? Als 1992 georgische Truppen in Abchasien einmarschierten, hat der Westen geschwiegen. Dem kleinen Volk der Abchasen drohte die Vernichtung – und niemand protestierte, außer Russland.
Frage: Wie kann Deutschland den Friedensprozess unterstützen?
Bagapsch: Deutschland kann darauf drängen, dass Georgien seine Truppen aus dem Kodori-Tal abzieht. Deutschland könnte ein Garant eines Friedensprozesses sein, denn es ist in der ganzen Welt anerkannt.
Frage: Können Sie sich vorstellen, dass die Friedenstruppe in Abchasien von Russen und Europäern gemeinsam gestellt wird?
Bagapsch: Wir werden hier keine europäische Friedenstruppe zulassen, weil die Europäer gegen die Abchasen sind. Die russische Friedenstruppe kam nach Abchasien, um uns zu beschützten. 106 russische Soldaten haben hier während ihres Dienstes ihr Leben gelassen. Wenn hier keine russische Friedenstruppe meht stationiert ist, tritt Georgien in die Nato ein. Nach einem Nato-Beitritt Georgiens würde eine europäische Friedenstruppe aus Abchasien abziehen und dann würde Georgien einen neuen Krieg gegen Abchasien führen.
Frage: Russische Medien berichten, dass in Abchasien Zementfabriken für die Winterolympiade 2014 in Sotschi gebaut werden.
Bagapsch: Ja, wir werden Zement-, Beton- und Asphalt-Fabriken bauen und Baumaterial für die Olympiade verkaufen. Geschäftsleute aus Südkorea, Singapur, Österreich und Tschechien waren bereits hier und wollen sich am Bau der Fabriken beteiligen. Auch Chinesen und Griechen interessieren sich für Investitionen bei uns. Türken bauen ein Hotel und fangen Fische in unseren Gewässern. Viele Leute wollen in Abchasien Geschäfte machen.