„Abgang“ als Wiederkehr
Ein Hauch von Broadway lag über der Straße Na porici im Herzen Prags. Applaus begleitete die Ehrengäste ins Theater „Archa“, eine kleine, aber feine Bühne in der tschechischen Hauptstadt. Gelassener als erwartet entstieg der 71-jährige Vaclav Havel dem Wagen, am Arm seine Ehefrau, die Schauspielerin Dagmar Havlova. Havel hatte bereits die Generalprobe gesehen und ahnte daher vermutlich, dass sein Comeback zum Triumph werden würde.Zwanzig Jahre ist es her, dass Havel sein letztes Stück als Dramatiker abgeliefert hat.
Jahre, in denen er vor allem Reden geschrieben, sein Land repräsentiert und seinen Tschechen moralisch ins Gewissen geredet hatte. Dem Präsidenten blieb keine Zeit für seine eigentlich Liebe, das Theater. Das Urmanuskript für „Abgang“ hatte er schon 1988 begonnen, noch vor der „Wende“, die ihn auf den Schultern seiner Landsleute auf die Prager Burg hievte. Nach dem Ende seiner langen Amtszeit als Präsident kramte er das Stück wieder aus der Schublade hervor, überarbeitete es und brachte es zur Bühnenreife.
Die Überarbeitung dürfte ihm nicht schwer gefallen sein: „Der Abgang“ (tsch. Odchazeni) handelt von den Gefühlen eines Staatsmannes, dessen Zeit abgelaufen ist. Auch wenn das Stück nicht autobiografisch ist – Havel weiß, wovon er schreibt. Auch ihm selbst ist es nicht leicht gefallen, der Macht zu entsagen. Eigentlich hatte er sich in den Revolutionstagen 1989 geschworen, das Land nur bis zu den ersten freien Wahlen führen zu wollen. Am Ende war er insgesamt 13 Jahre tschechoslowakischer und später tschechischer Präsident.
Und er hatte in all diesen Jahren immer auch einen Gegenspieler, wie in „Abgang“ sein Hauptheld Vilem Rieger. Jener Gegenpart hieß im wahren Leben Vaclav Klaus. Beider Verhältnis war stets schwierig, um es vornehm auszudrücken. Einblicke in diese Beziehungen bietet derzeit auch der Dokumentarfilm „Bürger Havel“, der in den tschechischen Kinos ein Kassenschlager ist und auch auf der Berlinale gezeigt wurde. Ausgerechnet Klaus war es am Ende, der Havel 2003 im Präsidentenamt nachfolgte und noch immer in der Burg residiert.
Hartes Brot für Havel, auch wenn der seine Dauerfehde mit Klaus gegenüber der Öffentlichkeit immer zu relativieren bemüht war. Auch im Zusammenhang mit dem „Abgang“. Nein, es gebe keine Verbindungen zwischen seinem Stück und dem wahren Leben, betonte Havel vor Journalisten. Doch sein schelmisches Lächeln war unübersehbar.Das Stück sprüht vor Selbstironie, zeigt, wie ein Mensch in einer ganz anderen Welt lebt, als er glaubt. Havel hat als Politiker immer die Angst umgetrieben, den Blick für die Realitäten zu verlieren. Er wollte nicht zum selbstverliebten Schwächling werden, der einst Prinzipien hatte, im Angesicht des Machtverlustes aber seine Wertvorstellungen leichthin opfert, wie das seinem Haupthelden passiert.
In der Prager Uraufführung ist ein grandioser Jan Triska in der Hauptrolle zusehen. Triska ist eine Schauspiellegende in Tschechien, obgleich er meist in den USA lebt und spielt. Die weibliche Hauptrolle hatte Havel eigentlich seiner 54-jährigen Ehefrau Dagmar auf den Leib geschrieben. Doch die musste die Proben drei Wochen vor der Premiere abbrechen. Wie es um den „Abgang“ ohnehin riesige Querelen gegeben hatte. Havel hätte die Weltpremiere gern am ersten Haus des Landes, dem Prager Nationaltheater, gesehen. Doch dort weigerte man sich, die Hauptrollen mit Havels Wunschakteuren Triska und Havlova zu besetzen. Dann scheiterten Verhandlungen mit dem renommierten Prager Theater in den Weinbergen.
Als die Gefahr bestand, dass das Stück seine Uraufführung womöglich im Ausland erleben könnte, sprang das Theater „Archa“ in die Bresche. Für Regisseur David Radok war es eine besondere Ehre, Havel inszenieren zu dürfen. Beide kennen sich schon seit Kinderjahren. Radoks Vater Alfred, auch eine Theaterlegende in Tschechien, hatte einst Einakter von Havel auf die Bühne gebracht.Dass das Stück überhaupt im „Archa“ pünktlich über die Bühne gehen konnte, kam einem Wunder gleich. Seit Jahresbeginn wird das Theater wie sehr viele andere in Prag nicht mehr staatlich bezuschusst.
In der Inszenierung steckt nicht eine Krone aus öffentlichen Mitteln. Radok hat das Vorhaben nur mit Hilfe von privaten Sponsoren stemmen können, die Theaterdirektor Ondrej Hrab aufgetan hatte. „Es wäre eine Schande gewesen, wenn dieses Stück nicht an einem Prager Theater seine Uraufführung erlebt hätte“, betonte Hrab.Mehr als zehnminütiger Applaus, stehende Ovationen und Bravo-Rufe belohnten das Projekt.
Havel, auf die Bühne geholt, stand dort so, wie ihn seine Tschechen kennen- und liebengelernt hatten: wie immer ein bisschen verlegen. Aber sichtlich auch glücklich und zufrieden. Und auch die Kritiker sind sich einig: auch wenn das Stück „Abgang“ heißt, so markiert es doch die Rückkehr eines großen Dramatikers.London und Bratislava werden die ersten Orte im Ausland sein, in denen man den neuen Havel demnächst wird sehen können. Auch deutsche Bühnen, so heißt es, stünden in den Startlöchern.