Kicken für Verständigung
Der bosnische Mittelfeldspieler Zvejzdan Misimovic gilt nicht gerade als Mann der großen Worte. Vor den Playoffs gegen Portugal aber können die Sätze auch für den sonst so zurückhaltenden 29-Jährigen nicht pathetisch genug sein. „Wir wollen dafür sorgen, dass das Lächeln auf die Gesichter der Bosnier zurückkehrt“, erklärte Misimovic in einem FIFA-Gespräch. An diesem Freitag (11. November) tritt er mit seinen Teamkollegen in der EM-Qualifikation gegen Portugal im Stadion von Zenica an, vier Tage später gibt es das Rückspiel in Lissabon. Erstmals könnte sich Bosnien-Herzegowina damit für ein großes Fußballturnier qualifizieren. Für Misimovic würde „ein Traum in Erfüllung gehen“.
Eine Teilnahme an der EM 2012 wäre aber nicht nur eine sportliche Sensation. Sie gilt auch für die Bevölkerung des Balkan-Staats als Aufbruchssignal. 16 Jahre nach Kriegsende ist die bosnische Gesellschaft noch immer tief gespalten. Das Daytoner Friedensabkommen hatte 1995 zwar die Waffen zum Schweigen gebracht, gleichzeitig aber die ethnische Teilung des Landes festgeschrieben. Noch heute besteht das Staatsgebiet aus einer Republik der bosnischen Serben und einer muslimisch-kroatischen Föderation. Das Misstrauen gegenüber den jeweils anderen Volksgruppen ist nach wie vor groß, seit den Wahlen im Oktober 2010 gibt es keine gesamtstaatliche Regierung mehr.
Man dürfe den Einfluss des Sports natürlich nicht überschätzen, sagt Ajla Kasumovic von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Sarajevo. Bosnien-Herzegowina fehlt eine nationale Identität. Viele Bürger haben zwar einen bosnischen Pass, sehen sich aber als Serben oder Kroaten. „Ich habe aber durchaus die Hoffnung, dass ein Erfolg der multiethnischen Nationalmannschaft die Bosnier zumindest zeitweise zusammenführen könnte“, sagt Kasumovic. Auch Valentin Inzko, EU-Sonderbeauftragter in Bosnien-Herzegowina, glaubt an den Fußball. Dieser bilde, so sagte er bereits vor einigen Monaten in einem Interview, eine seltene Kraft, „die helfen kann, das Land zu vereinen“.
Da stört es auch nicht, dass Bosniens Nationalspieler fast alle bei ausländischen Vereinen unter Vertrag stehen, im Gegenteil. Misimovic kickt in Moskau, Edin Dzeko in Manchester und Vedad Ibisevic in Hoffenheim. Allein schon, weil sie in der Ferne weilen, haben die Stars in der Regel wenig mit den ethno-nationalistischen Grabenkämpfen in ihrer Heimat am Hut. Das allerdings hält die Politiker und Funktionäre in Bosnien-Herzegowina nicht davon ab, den Fußball für ihre Zwecke und Interessen zu missbrauchen.
Nachdem sich der entlang der drei Volksgruppen zerstrittene bosnische Fußballverband nicht auf einen gemeinsamen Präsidenten einigen konnte, schlossen ihn UEFA und FIFA im April dieses Jahres kurzerhand von allen Wettbewerben aus. Allein ein eilig einberufenes Notkomitee konnte erreichen, dass die Nationalmannschaft die EM-Qualifikation nun doch noch zu Ende bestreiten kann und die Spieler weiter auf die versöhnende Wirkung ihres Sports hoffen können. Mittelfeldregisseur Misimovic ist sicher: Sollte seine Mannschaft gegen Portugal gewinnen, die Menschen in Bosnien-Herzegowina würden ein großes Fest feiern, „alle miteinander“.