Slowakei

Majestätsbeleidigung

In gewisser Weise kann man sich auf Jan Slota verlassen: In schöner oder besser gesagt unschöner Regelmäßigkeit greift er in die unterste verbale Schublade und schleudert Giftpfeile gegen die Nachbarn in Ungarn. Das könnte man unter Folklore abtun, wäre Slotas rechtsextreme Slowakische Nationalpartei nicht Teil der Regierung in Bratislava. Da bekommen seine Äußerungen automatisch ein ganz anderes Gewicht. Jetzt hat Slota mit einer wortwörtlichen Majestätsbeleidigung ein mühsam vorbereitetes Gipfeltreffen der beiden Premiers, Robert Fico und Ferenc Gyurscany, torpediert.

Nach einer Sitzung des Koalitionsrates der drei slowakischen Regierungsparteien ereiferte sich Slota über ein Lehrbuch für die ungarnstämmigen Schüler in der Südslowakei. Schon auf dem Buchdeckel seien „nur ungarische Fahnen und dieser Clown auf dem Ross“ zu sehen. Bei besagtem „Clown“ handelte es sich aber um den in Ungarn hoch verehrten König Stephan (969 – 1038). In Budapest brauchte man eine Weile, ehe man sich wieder einkriegte. Dann aber wurde das volle Programm abgespult: der slowakische Botschafter wurde ins Außenministerium zitiert, die Zeitungen reagierten sauer, namentlich, weil Premier Fico, der bei der Äußerung Slotas zugegen gewesen war, seinen seltsamen Koalitionspartner nicht sofort in die Schranken gewiesen habe. Schließlich kam dann, was kommen musste: Premier Gyurscany sagte seinen Besuch in Bratislava ab.

Nun herrscht wieder Eiszeit zwischen den beiden Nachbarn. Die Slowaken bestellten ihrerseits den ungarischen Botschafter ein, nachdem die ungarische Außenministerin Kinga Göncz die Slota-Partei mit der rechtsextremistischen paramilitärischen „Ungarischen Garde“ auf eine Stufe gestellt hatte.Ärgerlich an der ganzen Sache ist, dass sehr viele Hoffnungen an das Gipfeltreffen Fico/Gyurscany geknüpft worden waren. Das beiderseitige Verhältnis nämlich ist alles andere als gut. Das hat viel mit der slowakischen „Urangst“ vor den Ungarn zu tun. 1000 Jahre war die Slowakei eine ungarische Provinz. Die Sorge der Slowaken wird dadurch geschürt, dass sich in Ungarn immer wieder Leute finden, die das „Unrecht von Trianon“ beklagen. Im Vertrag von Trianon 1920 verlor Ungarn zwei Drittel seines ursprünglichen Territoriums. Dagegen wettert bis heute auch die große bürgerliche Oppositionspartei Fidesz unter Viktor Orban, der sich in seiner Regierungszeit vor Gyurscany bewusst als Repräsentant auch der Ungarn in den Nachbarländern gesehen hatte – was bei den Slowaken verständlicherweise nicht sonderlich gut ankam.  Slowakische Kommentatoren meinen, Gyurcsany könne Slota dankbar sein. Der habe ihm jetzt einen perfekten Vorwand zur Absage der Reise gegeben. An der sei er eh nicht interessiert gewesen, weil er fürchten müsse, innenpolitisch bei womöglichen Zugeständnissen an die Slowaken unter Druck zu geraten.

Und Druck habe er schon genug nach dem Zerfall seiner Regierung und der faktischen Aufgabe seiner einstigen Reformpolitik. Außerdem habe Gyurscany in der Konfrontation mit Fico längst nicht mehr die besseren Karten. Schließlich feiere man in Bratislava und nicht in Budapest einen wirtschaftlichen Erfolg nach dem anderen. Jüngstes Beispiel: Anfang kommenden Jahres treten die Slowaken der Euro-Zone bei – ein Schritt, von dem die Ungarn derzeit nicht einmal zu träumen wagen. Doch auch Fico kann nicht wirklich glücklich über die Absage des Gyurscany-Besuchs sein. Er weiß ziemlich genau, dass der derzeitige ungarische Premier ein weit angenehmerer Partner ist als der derzeitige Budapester Oppositionschef und sichere künftige Premier Orban. Mit dem dürfte sich die unnormale Eiszeit zwischen zwei EU- und Nato-Nachbarn eher noch verfestigen.


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