HARTES URTEIL GEGEN JUNGE OPPOSITIONELLE
Von der Sportlerin zur Regimekritikerin: Die Geschichte der 20-jährigen Tatjana Tischkewitsch(n-ost) – Tatjana Tischkewitsch ist zwanzig Jahre alt und eine Sportlerin mit Talent. Schon als Kind saß sie mit Begeisterung auf dem Pferd. In der Schule wurde sie zum „Sportler der Meisterklasse“ mit besonderen Leistungen, nach dem Abitur schrieb sie sich an der Fakultät für Sportliche Spiele und Zweikampf der Staatlichen Universität Belarus ein. Dass sie wenig später zu einer von den weißrussischen Behörden verfolgten politischen Aktivistin werden würde, ahnte sie damals nicht. Ende April verhängte das Zentrale Gericht des Landes im so genannten „Prozess der 14“ nach Protestaktionen harte Strafen gegen sie und ihre Mitstreiter.Dabei fing alles ganz harmlos an. Tatjana Tischkewitsch war alles andere als eine überzeugte politische Oppositionelle, als sie sich vor einem Jahr der Zivilkampagne „Jeans – Za svabodu!“ („Jeans - Für die Freiheit“) anschloss. Nach einer öffentlichen Aktion allerdings wurde sie festgenommen, saß einen Monat lang im Gefängnis und wurde zu einer Geldstrafe von 450.000 Rubel (ca. 135 Euro) verurteilt. Die junge Weißrussin aber schüchterte das nicht ein. Kaum war sie aus dem Gefängnis entlassen, nahm sie erneut an einer friedlichen Kundgebung teil. Da wurde sie zum ersten Mal von Sondereinheiten der Polizei zusammengeschlagen. Neben Blutergüssen an Armen und Beinen erlitt sie ein Schädel-Hirn-Trauma.
Erste Festnahme im Mai 2007 durch Sonderneinheitskräfte in Zivil
FOTO: privatDas war im Mai 2007 und erst der Anfang einer Reihe von Verhaftungen und Misshandlungen seitens der Sicherheitskräfte. Mehrmals wurde Tatjana Tischkewitsch dabei zusammengeschlagen. Eine Klage gegen die Täter ignorieren die Behörden bis heute. Das schonungslose Vorgehen des Staates hat das Leben der Studentin radikal verändert. Seit den brutalen Übergriffen hat sie sich vollkommen der Idee von Freiheit und Gerechtigkeit im Staat verschrieben. Keine Demonstration, keine Protestaktion in der belarussischen Hauptstadt Minsk, an der sie nicht teilnimmt. „Solidarität ist, wovor sich die Machthaber am meisten fürchten“, sagte die 20-Jährige während ihres letzten Gerichtsverfahrens. „Ich wurde ja auch für Solidarität mit den Gefangenen und den Unternehmern verurteilt.“Im Januar hatte Tatjana Tischkewitsch zusammen mit anderen jungen Weißrussen Solidarität mit den Unternehmern des Landes demonstriert. Durch ein neues Gesetz werden diese zu immer höheren Steuern und Abgaben gezwungen, sodass sich aus vielen Geschäften kaum mehr Gewinn erwirtschaften lässt. Für Tatjana war damit das Studium und der Traum vom professionellen Reitsport zu Ende: Sie wurde – erst im zweiten Studienjahr – von der Universität exmatrikuliert und zu 20 Tagen Haft verurteilt. Mit dem Vorgehen der Behörden war sie inzwischen schon fast vertraut: Polizisten der Sondereinheit in Zivil nahmen sie fest, schlugen sie zusammen und übergaben sie der Zentralen Bezirksverwaltung für Innere Angelegenheiten, die sie nicht weniger brutal behandelte. Die Aufnahme eines Strafverfahrens gegen die Sicherheitskräfte wurde wiederum abgelehnt. Im Gefängnis erkrankte Tatjana Tischkewitsch an Bronchitis und Nierenentzündung.
Von einer begeisterten Sportlerin zur überzeugten Oppositionellen.
FOTO: privat“Prozess der 14” nannten die Weißrussen den Gerichtsprozess, den die Behörden nach den Protesten vom Januar gegen die jungen Oppositionellen anstrengten. Zusammen mit 13 anderen Demonstranten wurde Tatjana Tischkewitsch verhört, streng bewacht im Minsker Zentralgericht, zu dem Beobachter kaum Zutritt hatten. Was im Gerichtssaal geschah, charakterisierte Richterin Elena Iljina selbst sehr treffend als Zirkus. Und auch Tatjana berichtet: „Die Zeugen – Angehörige der Miliz – machten so widersprüchliche und lächerliche Aussagen, dass die Gerichtssekretärin immer wieder lachen musste.“ Richterin Iljina habe sich keine Mühe gegeben, ihre Nervosität zu verbergen. „Sie ärgerte sich darüber, dass wir nicht schuldbewusst aussahen und unsere Taten nicht bereuten“, glaubt Tatjana. „Stattdessen lächelten wir sie an und gaben ihr zu verstehen, dass ihr hysterisches Verhalten und das verlogene Urteil unsere Auffassungen und Werte nicht verändern.“ Am dritten Prozesstag wurde die aufmüpfige Studentin aus dem Saal entfernt – weil sie gelächelt hatte. „Die Richterin sagte: 'Ich verbiete Ihnen, im Gerichtssaal zu lächeln'“, erinnert sich Tatjana. „Aber angesichts dieser Show war das unmöglich.“ Das härteste Urteil aber wurde schließlich nicht über sie verhängt, sondern über den 22-jährigen Studenten Andrej Kim. Obwohl das vorhandene Videomaterial alle Punkte der Anklage gegen Kim widerlegte, muss er für eineinhalb Jahre ins Gefängnis. Grundlage ist ein vor einigen Jahren im Vorfeld der Präsidentenwahl ins weißrussische Strafgesetzbuch aufgenommener Artikel, der das Land vor Aktivitäten solcher Politiker schützen soll, die die Volksgemeinschaft gefährden. So erklärt es zumindest der Vorsitzende des Komitees für Sicherheit, Stepan Suchorenko. Aufgrund dieses Gesetzes werden nicht genehmigte oppositionelle Aktivitäten – in diesem Fall die Vorbereitung einer Protestaktion durch die Jugendlichen – strafrechtlich verfolgt. Ihnen wird „Gewaltanwendung oder Androhung von Gewalt gegen Mitarbeiter der Miliz“ zur Last gelegt. Neben Haftstrafen wurden die Jugendlichen zu 1.000 Euro Geldstrafe, zur Abgabe von 20 Prozent ihrer Einkünfte oder zu zwei Jahren Zwangsarbeit am Wohnort verurteilt. „Dieses Urteil war ein Schock für uns“, sagt Tatjana Tischkewitsch. „Wahrscheinlich sollte ein Exempel statuiert und die Jugend eingeschüchtert werden. Die Wirkung war das Gegenteil – Andrej zeigte weder Angst noch Unsicherheit, wie wir alle.“Sie selbst wurde zu zwei Jahren Hausarrest verurteilt. Bei der kleinsten Verletzung der Richtlinien – etwa, wenn sie sich auf dem Weg von der Arbeit nach Hause verspätet oder Alkohol trinkt – kann dieser in eine in eine Haftstrafe umgewandelt werden. Beobachter rechnen angesichts der derzeitigen politischen Situation fest damit, dass dies geschieht – auch ohne Regelverletzung wird sich ein Vorwand leicht finden.ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 30 83 11 87