Litauen

Litauens zweite Religion

Die Luft in der Basketballhalle von Kaunas steht. Es riecht nach Schweiß. Der Trainer pfeift, ein Spieler läuft los, passt den Ball und bekommt ihn zurück. Dann dribbelt er durch einen Stangenparcours und wirft den Basketball von der Drei-Punkte-Linie in den Korb. Manchmal nickt der Trainer zufrieden, meist mahnt er zu mehr Konzentration. Seit einer Stunde trainieren die Zwölfjährigen im Basketball-Zentrum in Kaunas, der zweitgrößten Stadt Litauens.

Das Basketball-Zentrum trägt den Namen der litauischen Basketball-Ikone Arvydas Sabonist, der die Schule bereits in den 90-er Jahren gründete. Sabonist schaffte es in die US-Profiliga NBA. Beim amerikanischen Spitzenklub Portland Trail Blazers wurde er zum Millionär und führte Litauen zwischen 1992 und 2000 zu drei olympischen Bronzemedaillen. Die jungen Litauer bewundern ihn, weil er die litauische Traditionsmannschaft „Zalgiris Kaunas“ zu einem europäischen Spitzenteam gemacht hat. Auch für die ältere Generation ist Sabonis eine Ikone: Drei Mal in Folge wurde er mit seinem Team sowjetischer Meister. Von 1985 bis 1987 besiegte der 2,21 Meter große Sportler mit „Zalgiris“ im Meisterschaftsfinale den Rivalen „ZSKA Moskau“.

Für die Litauer ist Basketball wie eine Religion. Je näher die Europameisterschaft, die vom 31. August bis zum 18. September stattfindet, rückt, umso mehr wächst die Spannung. „Der Druck ist immens: Das ganze Land erwartet den Titel“, sagt Tomas Degutis, der Geschäftsführer der Basketball-Schule in Kaunas.

Schon während der Sowjetzeit waren die Litauer verrückt nach Basketball, erinnert sich der 32-Jährige: „Die Menschen warfen vor Begeisterung ihre Fernseher aus dem Fenster. ‚Zalgiris Kaunas‘ war mehr als ein Team, die Spieler waren unsere Armee.“ 1988 sorgte Teamchef Sabonis bei den Olympischen Spielen für Aufsehen: Er trug ein T-Shirt mit der Aufschrift „Lietuva“, um die Unabhängigkeitsbewegung zu unterstützen. Die Sowjetfunktionäre tobten und trauten sich dennoch nicht, auf ihren besten Spieler verzichten.

1994 gründete Sabonis die Basketball-Schule in Kaunas. „Damit die Kinder nicht so trainieren müssen wie er: ohne Turnschuhe in einer eiskalten Halle mit alten Bällen“, sagt Geschäftsführer Degutis. Ein Jahr zuvor hatte schon NBA-Profi Sarunas Marciulionis eine Basketballschule in Vilnius eröffnet. Das Besondere war, dass Basketball und Pädagogik verbunden wurden. Es gab einen Lehrplan, der den Jugendlichen abseits des Platzes Computerwissen, Englischkenntnisse und gute Manieren vermittelte.

Am Sabonis-Zentrum wurde die Idee anfangs übernommen. Heute würden diese Zusatzfähigkeiten in den Schulen vermittelt, sagt Degutis. Die Kooperation mit den Lehrern sei trotzdem eng: „Wenn ein Spieler schlechte Noten hat, dann darf er nicht am Training teilnehmen. Wir machen den Jugendlichen klar: Zuerst kommt die Schule, dann der Basketball. Denn eine Verletzung reicht, um alle Träume zerstören“. Dann sei es wichtig, noch ein zweites Standbein zu haben.

Momentan trainieren 500 Jungen zwischen seschs und 17 Jahren unter optimalen Bedingungen. Vier Mal pro Woche übt das Team des 12-jährigen Margiris, der stolz das grüne Schultrikot trägt: Nirgends sei die Ausbildung besser und kein europäischer Spieler komme an Arvydas Sabonis heran – abgesehen von Dirk Nowitzki, sagt er. Vor dem Würzburger, der mit Deutschland am 31. August gegen Israel antritt, haben die Litauer großen Respekt. „Nowitzki ist momentan der beste Spieler der Welt. Unser Star Linas Kleiza ist dagegen verletzt“, analysiert Margiris' Vater. Er hofft auf den Heimvorteil der Litauer, die 2003 den EM-Titel holten und bei der WM 2010 Bronze gewann.

Die Litauer hoffen, dass sich ihr Land dies Mal als guter Gastgeber präsentiert. Besser als 2009, als Vilnius den Titel „Europäische Kulturhauptstadt“ trug. Damals hatte die Finanzkrise die Baltenrepublik schwer getroffen. Da die nationale Fluglinie Bankrott ging, war Litauen für Touristen kaum erreichbar. Nun wächst die Wirtschaft wieder und es gibt genug Flüge und Hotelbetten für die erwarteten 30.000 ausländischen Fans. Linas Kunigelis vom Organisationskomitee verspricht einen besseren Service: „Wir nutzen alle Möglichkeiten der modernen Informationstechnik. Die Fans können alles mit dem Mobiltelefon bezahlen: Tickets, Essen und Fanartikel.“

Auch Tomas Degutis von der Basketballschule in Kaunas hofft auf einen Imagegewinn. Der Sport sei ideal, um sein Heimatland bekannter zu machen: „Basketball ist der einzige Grund, warum die Welt überhaupt weiß, dass Litauen existiert. Warum sollten wir nicht ausnutzen, dass wir in diesem Sport so gut sind?


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