Polen

SCHLIMMER ALS IN ITALIEN

In den polnischen Fußballskandal sind bislang 29 Clubs verstrickt – und es gibt 116 Beschuldigte(n-ost) - Öffentlich gibt Dariusz Wdowczyk gerne den Weltgewandten; in Polen kommt das gut an. Im grauen Anzug parliert der Trainer auch gerne auf Englisch. Schließlich stand der ehemalige polnische Nationalspieler auch mal für Celtic Glasgow auf dem Platz. Ein Video der polnischen Anti-Korruptionsbehörde CBA zeigt ihn nun im Trainingsanzug, zerknirscht an seinem Wohnzimmertisch sitzend – bei seiner Verhaftung. Wdowczyk wird vorgeworfen, in seiner Zeit als Trainer des damaligen Drittligisten Korona Kielce Schiedsrichter gekauft und so den Aufstieg Kielces beschleunigt zu haben. Die Mannschaft spielt aktuell in der polnischen ersten Liga, der „Orange Ektraklasa“, muss nun aber zwangsweise absteigen. Wdowczyk hat bereits ein Geständnis abgelegt. „Schade, es ist passiert“. Wäre der holländische Kosmopolit Leo Beenhakker nach der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland nicht nach Polen gegangen, um die Nationalmannschaft schließlich zu ihrer ersten EM-Teilnahme – in diesem Jahr in Österreich und der Schweiz – zu führen, wäre Wdowczyk wahrscheinlich sogar polnischer Nationaltrainer geworden. Stattdessen spielt er nun eine der Hauptrollen in einem Korruptionsskandal, in den bislang 29 Vereine aus den ersten vier Ligen, sowie bislang 116 Beschuldigte verwickelt sind.Die Methode der verschobenen Spiele hatte System. Ins Visier der ermittelnden Staatsanwaltschaft in Breslau sind zusätzlich der Fußballverband PZPN, sowie regionale Schiedsrichterverbände geraten. Bereits während der WM 2006 schlug der Skandal erste Wellen in Polen. Damals wurde ein ehemaliger Funktionär des Vereins Amica Wronki festgenommen, der – wie Kielce – den Durchmarsch aus den Niederungen der Provinz in die „Ekstraklasa“ schaffte – mit ähnlichen Methoden. Im übrigen Europa aber interessierte das seinerzeit nicht. Schließlich stellte damals der gerade bekannt gewordene Korruptionsskandal in Italiens „Serie A“ alles in den Schatten. Doch die polnischen Verhältnisse sind im vergleich dazu viel schlimmer.Polen gehört zu den korruptesten Ländern innerhalb der EU. Auch deshalb, weil Korruption von weiten Teilen der Gesellschaft mitgetragen wird. In vielen Arztpraxen etwa ist eine ordentliche Behandlung nur durch ein zusätzliches Trinkgeld für Arzt oder Arzthelferin möglich. Und in diesem Klima gedeiht auch die Korruption im Sport. Erst im vergangenen Jahr wurde der ehemalige Sportminister Tomasz Lipiec verhaftet – unter Korruptionsverdacht. Er soll bei der Auftragsvergabe zum Bau öffentlicher Sportsstätten Bestechungsgeld angenommen haben. Das Verfahren gegen ihn läuft noch.Nach dem Regierungswechsel im Oktober 2007 wurde die ehemalige Vorsitzende von Transparency International Polen, Julia Pitera, zur Korruptionsbeauftragten der Regierung – im Rang einer Staatssekretärin. Sie wundert sich nur, warum das Thema erst jetzt auf Interesse in Europa stößt: „Korruption im polnischen Fußball ist mir persönlich bereits seit dem Jahr 2001 ein Begriff. Seit der Zeit, als solche Vorgänge unter den Schiedsrichtern bekannt wurde. Aber das hat lange Zeit niemanden interessiert.“ Sie gibt dem polnischen Fußballverband daher eine Mitschuld daran, dass das Problem immer größer wurde, und nun sogar Polen als Austragungsland der Fußball-EM 2012 in Bedrängnis bringt.Der Verband hat lange Zeit versucht, das Problem zu verschweigen, zumal einzelne Vorstandsmitglieder selbst unter dem Verdacht der Korruption stehen. Mittlerweile bemühte sich der in die Kritik geratene Verbandschef Michal Listkiewicz mit einer öffentlichen Büßerrede um Beschwichtigung: „Entschuldigung! Wir entschuldigen uns! Wir entschuldigen, dass wir dieses Problem nicht zeitig in den Griff bekommen haben. Die Dimension dieses Problems war zu groß für uns. Es tut uns leid! Wahrscheinlich haben wir zu spät reagiert, aber für das Wort Entschuldigung ist es niemals zu spät.“Nationaltrainer Leo Beenhakker hat nun reichlich damit zu tun, das Thema „Korruption“ aus der EM-Vorbereitung raus zu halten. Nach Bekanntwerden des Falls Wdowczyk zeigte sich der Niederländer entsprechend besorgt: „Ich hoffe, und ich bete dafür, dass die verantwortlichen Leute in Polen dazu in der Lage sein werden, die Situation zu bereinigen.“ In dieser Woche wird Beenhakker den 23er Kader für die EM bekannt geben. Aus den vom Skandal betroffenen Clubs wird nur der dritte Torwart dabei sein. Die erste Elf besteht fast ausschließlich aus Spielern, die im Ausland ihr Geld verdienen, die aber natürlich in der korrupten polnischen Liga groß geworden sind.Seit Beenhakkers Amtsantritt nerven ihn die Zustände im polnischen Fußball, der eine einzige Vetternwirtschaft darstellt. Als erste Amtshandlung verbot er, dass Verbandsfunktionäre sowie Journalisten mit in den Spielerhotels übernachten. Während der WM 2006 fühlten sich nämlich einzelne Spieler von den Funktionären gestört, die im WM-Quartier in Barsinghausen kräftig feierten. Für das EM-Abschneiden seiner Elf, die unter anderem am 8. Juni in Klagenfurt auf die deutsche Nationalmannschaft trifft, baut Beenhakker vor: „Wenn wir bei der Euro nicht die Erwartungen erfüllen, dann werde ich garantieren, dass wir zumindest unsere Spiele auf dem Spielfeld verlieren, und nicht außerhalb.“Das war in den letzten Jahren in den polnischen Ligen nicht immer so: „Wir kommen alle ins Stadion, aber wissen gar nicht, ob das Spiel nicht vorher schon entschieden wurde. Da können wir auch gleich zuhause bleiben, und uns eine ausländische Liga im Fernsehen angucken“, regt sich ein Fan von Groclin Grodzisk auf, während seine Mannschaft gegen Widzew Lodz antritt. Der Traditionsclub Lodz wurde neben Kielce und Vorjahresmeister Zaglegbie Lubin inzwischen zum Zwangsabstieg verdonnert. Auch Lodz war über gekaufte Spiele in die erste polnische Liga gelangt.Um den Ligabetrieb nicht gänzlich einstellen zu müssen, forderte Ligachef Andrzej Rusko unlängst eine Amnestie für sämtliche in den Skandal um verschobene Spiele verwickelte Clubs  – auch eine Variante, sich ein tief sitzendes Problem vom Hals zu schaffen.ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 30 83 11 87


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