Belarus

Opposition setzt auf Hilfe Europas

Ljawon Barschtscheuski ist Vorsitzender der größten Oppositionspartei in Weißrussland, der Belarussischen Volksfront. Sie hat 8.000 Mitglieder, von denen sich aber nur ein Bruchteil offiziell registrieren lässt – aus Angst, verfolgt zu werden oder die Arbeit zu verlieren. Barschtscheuski saß Anfang der 90er Jahre als Abgeordneter im Parlament. Doch seit der Machtantritt Alexander Lukaschenkos 1994 wurden Regimegegner konsequent aus der Volksvertretung verdrängt. Barschtscheuski arbeitet im Untergrund, denn das Lyzeum, an dem er lehrte, wurde vor fünf Jahren verboten. Im n-ost-Interview spricht er über den Alltag belarussischer Oppositioneller und seine Hoffnung auf die Unterstützung durch Europa. 

Frage: In Weißrussland werden regierungskritische Studenten exmatrikuliert, manche Oppositionelle dürfen das Land nicht mehr verlassen, Hausdurchsuchungen sind eine beliebte Einschüchterungsmethode der Regierung. Die Oppositionspartei Partei „Volksfront“, deren Vorsitzender Sie sind, zählt dennoch mehrere tausend Mitglieder. Wie schaffen Sie es, unter diesen Bedingungen derart viele Anhänger zu mobilisieren?

Barschtscheuski: Wir sind ganz offiziell als Oppositionspartei registriert. Formell haben wir 1.500 Mitglieder, das ist die Mindestanzahl, mit der sich eine Partei im Justizministerium registrieren lassen kann. In Wirklichkeit hat unsere Partei aber 8.000 Mitglieder. Allerdings melden sich nur diejenigen offiziell an, die nichts mehr zu verlieren haben. Das sind Mitglieder, die ohnehin keine feste Arbeit haben, die praktisch hauptberufliche Parteimitglieder sind. Sollte die „Volksfront“ ganz und gar verboten werden, wird sie dank ihrer Ideen und zahlreichen Unterstützer als Struktur überleben.    

Frage: Wie sieht Ihr Alltag als Oppositioneller aus?

Barschtscheuski: Wie für alle anderen regierungskritischen Bürger des Landes ist es auch für mich schwer, Arbeit zu finden. Als Philologe wurde mir eine Universitätsstelle verwehrt, auch meine älteste Tochter, von Beruf ebenfalls Philologin, ist mangels Alternativen gezwungen, bei einer privaten Astrologie-Firma zu arbeiten. Meine Frau, eine Mathematiklehrerin, und ich unterrichten im Lyzeum, das 2003 von Präsident Lukaschenko verboten und geschlossen wurde. Wir arbeiten im Untergrund weiter. 

Frage: Wie schätzen Sie den Ausgang der Parlamentswahlen im Herbst ein?

Barschtscheuski: Wir werden keine echten Wahlen haben, denn die Behörden haben unsere Vorschläge, die Wahlprozedur zu demokratisieren, abgelehnt. Im Wahlkampf werden wir versuchen, der Bevölkerung dies bewusst zu machen. Wir wollen den Menschen zeigen, dass sich ihr Leben nur dann bessern wird, wenn die Wahlen frei und demokratisch sind. Lukaschenko versucht derzeit, seine Söhne als Nachfolger zu installieren. Sein älterer Sohn Viktor Lukaschenko gehört zum Sicherheitsrat und ist einer der einflussreichsten Politiker des Regimes. Das ist die aserbaidschanische Methode frei nach Ex-Präsident Heydar Alijew, der dort 2003 seinen  Sohn Ilham ins Präsidentenamt hob. Das heißt aber noch lange nicht, dass dies auch bei uns funktioniert. Denn in Weißrussland ist die Idee der Erbmonarchie nicht so populär wie in asiatischen Ländern. 

Frage: Wie effektiv kann denn eine Wahlkampagne der Opposition sein? Schließlich werden Fernsehen und Rundfunk zu 100 Prozent, politikrelevante Printmedien zu 80 Prozent vom Staat gelenkt.

Barschtscheuski: Seit anderthalb Jahren gibt es einen unabhängigen Fernsehsender, der sein Programm aus Polen nach Belarus ausstrahlt.  Allerdings braucht er finanzielle Unterstützung. Wir setzen stark auf das Internet, das Lukaschenko allerdings ebenfalls unter seine Kontrolle zu bringen versucht. 

Frage: Was unterscheidet einen Weißrussen von einem Russen?

Barschtscheuski: Der größte Unterschied zwischen Russen und Weißrussen ist, dass wir keine imperialen Ideen im Kopf haben. Es ist für uns ganz komfortabel, in einem kleinen Staat zu leben. Wir betrachten die Integration in Europa als ein gutes Ziel, ohne uns dabei in geopolitische Angelegenheiten einzumischen. 

Frage: Will denn die belarussische Bevölkerung überhaupt in die EU? Schließlich geht es den Weißrussen wirtschaftlich vergleichsweise gut. Nach Angaben der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung zählt das Land zu den wenigen Staaten der ehemaligen Sowjetunion, deren Wirtschaft seit 1989 deutlich gewachsen ist und in denen die Reallöhne steigen.

Barschtscheuski: Das stimmt. Rund 60 Prozent der Bevölkerung schätzen ihre Lage als positiv ein, etwa 15 Prozent sprechen von einer Verbesserung. Das liegt allerdings eher daran, dass die ineffektive Wirtschaft Weißrusslands stark von Russland gestützt wurde. Zeitweise durch Direktinvestitionen von bis zu 12 Milliarden US-Dollar jährlich, im Moment immer noch von etwa 5 Milliarden pro Jahr. Allerdings meinen Experten, dass sich die wirtschaftliche Lage in den nächsten Jahren verschlechtern wird. Diese Entwicklung will die Opposition nutzen, wir sehen darin unsere große Chance. Wenn erst einmal ein bestimmter Lebensstandard erreicht ist, müssen wir den Menschen klar machen, wie wichtige demokratischen Werte sind, um die Korruption zu bewältigen. Denn die Bevölkerung spürt, wie korrupt die Machthabenden sind, auch wenn darüber in den Medien nicht berichtet wird. Den Menschen fehlen ausreichende Informationen, aber sie sehen, dass etwas nicht klappt in Lukaschenkos Staat. Rund 40 Prozent der Weißrussen befürworten den sofortigen Beitritt des Landes zur EU.

Frage: Wie können die Europäer bei der Demokratisierung Weißrusslands helfen?

Barschtscheuski: Wir, die Opposition, brauchen dringend Mittel – Multimedia-Ausrüstung, Druckmaterialien und so weiter, damit wir eine effektive Wahlkampagne organisieren und unsere Ideen publik machen können. Die Bevölkerung muss erkennen, welchen Nutzen enge Kontakte zwischen Weißrussland und der EU für sie persönlich hätten. Wir erwarten da konkretere Schritte von den europäischen Organisationen. 

Frage: Wie lange, denken Sie, wird Weißrussland noch von Lukaschenko regiert? 

Barschtscheuski: Das Regime der Diktatur ist ein Regime, das unter bestimmten Bedingungen sehr lange überleben kann. Nichtsdestotrotz können bestimmte Ereignisse eine Diktatur innerhalb einer Nacht stürzen. Das haben wir in der frühen Geschichte erlebt. Wie sich die Dinge entwickeln, hängt von vielen Faktoren ab, unter anderem davon, wie aktiv wir Oppositionellen in in Belarus arbeiten, aber auch von einer kontinuierlichen Unterstützung durch unsere Partner im Westen. Es war ein strategischer Fehler der Europäer in den 90er Jahren zu glauben, Russland würde Belarus demokratisieren. Die jüngste Entwicklung in Russland macht deutlich, dass das eine Fehlprognose war. Weißrussland kann selbst mehr schaffen als mit Hilfe von Russland, das auf keinen Fall demokratischer ist als Weißrussland. Es war ein Fehler der EU, auf Russland zu setzen. 


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