Chips-Steuer für die Volksgesundheit
Wer sich über den körperlichen Zustand der Ungarn ein Bild machen will, sollte im Sommer einen ungarischen Strand aufsuchen. Er wird feststellen: Körperfülle gilt bei ungarischen Männern von 40 aufwärts als „Statussymbol”. Hat man keinen Wanst, ist man sozusagen kein Mann.
In den Restaurants und Imbissbuden bekommt man auch gleich eine Erklärung für die Körperfülle vieler Ungarn. Gemüse? Ach wo! Salat? Fehlanzeige. Stattdessen gibt es Bohnensuppe mit Eisbein, Zigeunerschnitzel mit reichlich Knoblauch und einer Speckschwarte drauf. Natürlich darf auch der obligatorische Kuttelgulasch nicht fehlen. Hauptsache, es ist Fleisch drin.
Fetttriefende Esskultur
Nicht zuletzt wegen ihrer fetttriefenden und schwer verdaulichen Esskultur ist der Gesundheitszustand der Ungarn im europäischen Vergleich schlecht. Den miserablen Gesundheitszustand der Magyaren führt die Medizinerin Roza Adany mit folgenden Beispielen vor Augen: Gut dreimal mehr ungarische Männer und Frauen sterben an Herz- und Gefäßkrankheiten als im EU-Schnitt. Todesfälle, die auf Krankheiten der Verdauungsorgane zurückzuführen sind, sind bei ungarischen Männern 5,5-mal, bei ungarischen Frauen 4,4-mal so häufig wie im EU-Durchschnitt.
Angesichts dieser Situation hat sich die Regierung von Viktor Orban auf ihre Fahne geschrieben, den Ungarn die ungesunden Essgewohnheiten auszutreiben. Dies will sie nun mithilfe der sogenannten Chips-Steuer tun, die am 1. September in Kraft treten wird. Wer indes gedacht hat, dass die neue „Volksgesundheitsabgabe”, wie sie offiziell heißt, gerade bei extrem fetthaltigen und schwer verdaulichen Speisen wie dem Zigeunerschnitzel zur Anwendung kommt, der irrt.
Einnahmen fließen ins marode Gesundheitssystem
Die Steuer wird lediglich auf Nahrungsmittel mit hohem Zucker-, Salz-, Kohlenhydrate- und Koffeingehalt, auf Erfrischungsgetränke mit einem niedrigeren Fruchtgehalt als 25 Prozent, Energiedrinks, vorverpackte Feinbackwaren, salzhaltige Snacks sowie auf einen Teil der Würzmittel erhoben.
Teurer werden vor allem zuckrige Getränke, Backwaren und Snacks wie Chips und Schokolade mit einem hohen Zuckergehalt. Auf Kekse und abgepackten Kuchen schlägt der Fiskus umgerechnet etwa 40 Cent pro Kilogramm und auf Chips etwa 80 Cent drauf. Für Energydrinks müssen die Ungarn ab dem September sogar knapp einen Euro mehr pro Liter bezahlen. Die Einnahmen aus der Chips-Steuer sollen nach den Plänen der Regierung ins marode und finanzschwache ungarische Gesundheitssystem fließen.
Steuer beeinflusst Essgewohnheiten nicht
Laut einer Erhebung des Marktforschungsinstituts Szinapszis Piackutato begrüßen zwei Drittel der Ungarn die Einführung der Chips-Steuer. Gemäß einer anderen Befragung hat eine Mehrheit der Befragten allerdings gesagt, dass sie ungeachtet der Chips-Steuer von ihren bisherigen Essgewohnheiten nicht Abstand nehmen will.
Allein die ungarische Nahrungsmittelindustrie kann den möglichen positiven Wirkungen der Chips-Steuer von vornherein nichts abgewinnen. Laut dem Verband der Ungarischen Marken würden als Folge der Chips-Steuer mindestens vier ungarische Fabriken der Lebensmittelindustrie bis Ende des Jahres stillgelegt. Rund 2.000 Menschen drohe der Jobverlust, und das bei einer ohnehin schon hohen Arbeitslosenquote von 10,8 Prozent. Sollten auch die ausländischen Lebensmittelimporteure mit Kosteneinsparungen und Entlassungen auf die neue Abgabe reagieren, könnte die Zahl der Personen, die ihre Arbeit verlieren sogar auf etwa 4.000 steigen, warnt die Organisation.
Der ungarische Landesverband der verarbeitenden Industrie (EFOSZ) stößt ins gleiche Horn. Auch er lehnt die „Volksgesundheitsabgabe” ab. So heißt es aus dem EFOSZ, dass die Einführung der Chips-Steuer zu einer Erhöhung der Preise und zum Verlust vieler Arbeitsplätze führen werde.
In Rumänien war eine ähnliche Steuer im vergangenen Jahr gescheitert, weil Lebensmittel sonst zu teuer geworden wären. Auch in Ungarn sind die Preise in den Supermärkten sehr hoch. Viele Magyaren, die an der ungarisch-österreichischen Grenze leben, fahren deshalb zum Einkaufen regelmäßig ins westliche Nachbarland, wo die Lebensmittel deutlich günstiger sind. Dabei verdienen die Ungarn mit 1.165 brutto im Schnitt weit weniger als der EU-Durchschnitt.