Rumänien

Jagd auf Hundefänger in Bukarest

30.000 Straßenhunde belagern die Straßen der rumänischen Hauptstadt – und werden bisweilen militant verteidigt(n-ost) - Mihai kommt am Morgen im Trainingsanzug zur Arbeit, weil er im Job sprinten muss – als Hundefänger von Bukarest. Der junge Mann schlurft über den Hof eines städtischen Tierheims, in zwei Betonbaracken hausen mehrere hundert Straßenhunde. Die Luft riecht süßsäuerlich – nach Urin. Mihai nippt genüsslich einen Kaffee, bevor es an die Arbeit geht. „An den Stress“, wie ihn der 26-Jährige nennt. Es könnte sein, dass der Hundefänger heute „wieder Prügel bezieht, von den Bukarestern, die uns hassen.“
„Die Hunde riechen uns schon von weitem.“
Annett MüllerMihai hätte eine Menge zu tun, Schätzungen zufolge gibt es in Bukarest rund 30.000 Straßenhunde – ein Überbleibsel der Ceausescu-Zeit. „Altstadt abreißen!“, befahl der rumänische Diktator Mitte der 80er Jahre. Er brauchte Platz für seinen gigantischen Prunkpalast: mächtig, majestätisch, größenwahnsinnig. Die Altstadt wirkte hingegen an vielen Orten idyllisch: Einfamilienhäuser mit Ziergarten und Wachhund. Zehntausende Bukarester wurden zwangsumgesiedelt, in mehrgeschossige Neubauten gesetzt, wo ein Wachhund plötzlich überflüssig war. Gegen die ausgesetzten Tiere ließ das Ceausescu-Regime Gift auslegen, „die Köter werden schon irgendwie krepieren“, hieß es. Die herrenlosen Hunde aber haben im Großstadtdschungel überlebt, sich massiv vermehrt und wurden zum Dauer-Problem.
Dieses zu lösen, versprach Traian Basescu, der heutige rumänische Staatschef und einstige Bürgermeister von Bukarest. Er verfügte Anfang des Jahres 2001 als Hauptstadt-Chef eine rabiate Strategie: Die Hunde sollten getötet werden, wenn niemand sie adoptieren will. Das Konzept sorgte für Empörung. Prominenteste Protestlerin: Brigitte Bardot. Die als Tierliebhaberin bekannte Schauspielerin offerierte finanzielle Hilfe, würde Bukarest, die Straßenhunde am Leben lassen und stattdessen sterilisieren. Basescu – geläutert durch einen Besuch Bardots – willigte ein. Rund 3.000 Straßenhunde seien damals innerhalb eines Monats sterilisiert und wieder freigelassen worden, erinnert sich der Bukarester Tierschützer Kuki Barbuceanu von der Tierschutzorganisation „Vier Pfoten“. „Bei diesem Tempo wären bis heute alle Bukarester Straßenhunde schon mehrfach sterilisiert worden.“ Doch die Wirklichkeit sah anders aus: Nur wenige Wochen nach dem Bardot-Besuch wurde das Tötungsprogramm doch noch eingeführt. Die Tierorganisation „Vier Pfoten“ stieg aus der Kampagne aus, Brigitte Bardot kündigte später ihre Spendenbereitschaft und die städtischen Hundefänger bekamen ein Problem: Die Bukarester, die sich in Tierliebhaber und Hundehasser unterteilten. Kuki Barbuceanu sagt: „Die Stadtverwaltung hat mit ihrem Tötungsprogramm einen Krieg in Bukarest ausgerufen.“ „Von einem Krieg“, spricht auch Mihai. Geht er auf Hundefang, wird er zum Freiwild: „Die Leute gehen mit Schlagstöcken, Pistolen und Schwertern auf uns los. Manchmal kommen sie auch nur mit einer Schaufel oder werfen faules Gemüse“. Es herrscht zweifaches Reißaus – für die Hunde, für ihre Fänger. Mihai ist mit seinen Kollegen „an Brennpunkten, wo besonders viele Tierliebhaber wohnen“ inzwischen mit Polizeischutz unterwegs, „der garantieren soll, dass die Hundefänger ihrer Arbeit nachgehen können“, heißt es. Die Szene könnte einem Comic entsprungen sein: An der Spitze läuft eine Schar von Straßenhunden, verfolgt von Hundefängern, gefolgt von Tierliebhabern, denen die Polizei folgt. Sieger ist, wer schneller läuft.
Dösen in der Mittagssonne.
Annett MüllerWas ist Mihai nicht schon gerannt, chancenlos. Hunde sind nun mal flinker. Sie lungern vor Wohnblocks, U-Bahn-Stationen oder auf Parkplätzen von Behörden, überall da, wo sie gefüttert werden. Eine Adoption steht hingegen für viele außer Frage, weil „die Hunde so räudig wie die Straße sind“. Man hat Mitleid, Liebe ist das noch nicht. Hundefänger Mihai schleicht sich vor einem Wohnblock an ein Rudel heran, ein Drahtseil unterm Arm, ein paar Käsepasteten als Köder. Sein Kollege trägt ein Gewehr, das mit Injektionsspritzen geladen ist - Schlafmittel für die Hunde, um sie besser einzusammeln. Jetzt müssten die Hunde schön ruhig sitzen bleiben, doch sie wittern die Gefahr. Mihai war schon öfter da. Schwupps, auf und davon! Der Wettlauf beginnt: einmal um den Block, zweimal, beim dritten Mal gibt Mihai auf, jappst nach Atem. Fangerfolg: Vier Hunde. Zehn andere sind entwischt. Über die geringe Ausbeute sagt Mihai: „Die sind intelligent, auch wenn es Straßenhunde sind.“ Rund sechs Millionen Euro hat die Bukarester Stadtverwaltung in den vergangenen Jahren ausgegeben, um die Zahl der Straßenhunde drastisch zu senken. Geplant war eine Erfolgsgeschichte, sie ist zur Parodie verkommen – wie so viele rumänische Reformvorhaben. Um die Hunde vor einer Tötung zu retten, gab es massenhaft Adoptionen – jedoch nur zum Schein, denn zu Hause angekommen, setzten die neuen Eigentümer die Hunde wieder vor dem Wohnungsblock aus. Hier konnten die Vierbeiner immerhin überleben. „Inakzeptabel“, findet Simona Panaitescu, die Chefin der zuständigen städtischen Tierbehörde (ASA), dass in Bukarest Hunde wild auf der Straße leben: „In dieser Stadt muss doch Ordnung herrschen.“ Dass hingegen Chaos waltet, ist nicht zu übersehen.Auf Panaitescus Schreibtisch häufen sich Beschwerden über kläffende Hunde, die die Bukarester nachts nicht schlafen lassen und die schlimmstenfalls zubeißen – rund zehntausend Vorfälle soll es jährlich laut Statistik geben. Manche enden tödlich: Im Jahr 2006 wurde ein japanischer Geschäftsmann von einem Straßenhund zu Tode gebissen. Der Fall kam vor Gericht – einmalig bis dato für die rumänische Justizgeschichte: Angeklagt war jedoch nicht die Stadtverwaltung, sondern ein Straßenhund, der von einem der prominentesten Anwälte vertreten wurde. Monate später fand die Staatsanwaltschaft heraus, der Hund besitzt ein Alibi - man ließ ihn frei.
Warten auf eine Adoption, doch die Nachfrage ist gering.
Annett MüllerAnstehende Wahlkämpfe lassen die Straßenhunde erneut zum Politik-Thema werden. Anfang 2008 ließ das Parlament das Tötungsprogramm verbieten, es sei zu rabiat. Alternative: Die Hunde kommen in ein Tierheim. Allerdings besitzt die Bukarester Stadtverwaltung nur zwei, sie sind bereits hoffnungslos überfüllt. Auf einen vier-Quadratmeter-Käfig kommen bis zu vier Hunde, es herrscht tierisches Wehklagen in den Baracken. Die Vierbeiner tapsen im Urin - für einen täglichen Ausgang existiert kein Personal, stattdessen wird ausgewischt. „Tierheime sind nicht die Lösung, auch wenn wir die Hunde liebend gern von der Straße hätten“, sagt Kuki Barbuceanu. Der Tierschützer rechnet: 30.000 Straßenhunde in der Hauptstadt bedeuten mindestens 120 Tierheime. „Bei den astronomischen Grundstückspreisen, die derzeit in Bukarest herrschen, wäre das finanzieller Wahnsinn. Von den Unterhaltungskosten ganz zu schweigen.“Bukarest ist also da angelangt, wo es 2001 schon einmal hätte starten können: mit einem massiven Sterilisationsprogramm. „Damit lässt sich immerhin die Vermehrung stoppen und in ein paar Jahren wäre die Stadt ihre Straßenhunde los“, sagt Tierschützer Barbuceanu. Seine Organisation hat in anderen rumänischen Städten bislang mehrere tausend Straßenhunde kostenlos sterilisiert. „Hätten wir die Hunde selbst einfangen müssen, wären wir nie auf diese Zahl gekommen“, sagt der Tierschützer, „doch sie wurden uns massenweise zugetragen, weil die Leute wussten, dass wir sie nicht töten würden.“Ohne die Hilfe der Tierfreunde wird auch die Bukarester Stadtverwaltung ein Sterilisationsprogramm nur schwerlich umsetzen können. Hinzu kommt: Der Ruf der städtischen Hundefänger ist längst ruiniert. Mihai kann das täglich spüren. Wie oft hat er sich von Bukarestern anhören müssen, dass er die Hunde zu „Seife, Handschuhen und Taschen“ verarbeite. „Man vergleicht uns mit Auschwitz“, sagt der Hundefänger, auch wenn er seit einem Vierteljahr nicht mehr töten darf. Ein letzter Versuch an diesem Arbeitstag. In einem Bukarester Wohnviertel hat sich ein Anwohner über die Straßenhunde beschwert. Sie halten gerade Mittagsschlaf. Bevor sich Mihai ans Rudel heranschleichen kann, herrscht Gezeter. „Was wollen Sie hier!“, kreischt ein Mann. In Windeseile stehen ihm drei Mieter bei. „Das sind unsere Blockhunde“, rufen sie. Eine Debatte beginnt mit einer Schar Schaulustiger, die stetig wächst. „Mein Kind ist unlängst gebissen worden“, ruft empört eine Frau in die Menge. Ein Nachbar antwortet gelassen: „Doch nicht von einem Hund.“ Mihai steht geduldig mittendrin, beschützt von einem Polizeitrupp. Die Beamten verlangen Hundepässe, die keiner vorzeigen kann. Verhandlungen folgen. Nach einer halben Stunde erklärt sich ein Anwohner bereit, die Tiere gleich morgen adoptieren zu wollen. „Vermutlich bleibt es nur beim Versprechen“, schmunzelt Mihai. Er packt sein Fangseil in den Wagen. Was soll er noch hier? Die Hunde des Blocks sind längst auf und davon gelaufen. Wenn Mihai abgezogen ist, werden sie in aller Seelenruhe zum Wohnblock zurückkehren. ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 30 83 11 87


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