Tschechien

Metalldieb schändet Gräber in Theresienstadt

327 Bronzetafeln mit den Namen von Holocaust-Opfern entwendet(n-ost) - Den Grabstein ziert eine Tafel mit der Zahl 1.146. Es ist die Nummer eines der jüdischen Opfer des ehemaligen Gestapo-Gefängnisses im tschechischen Theresienstadt (Terezin). Den Namen des Toten und das Geburtsdatum kann der Besucher des Nationalfriedhofs indes nicht mehr erkennen. Ein Unbekannter hat den Toten nach den Nationalsozialisten ein zweites Mal auf eine bloße Nummer reduziert und die dazugehörige Bronzeplatte mit den Angaben zum Opfer abmontiert. Die Tat geschah am Donnerstag vergangener Woche, wie erst jetzt bekannt wurde. Innerhalb von nur einer Nacht entwendeten Diebe nach Angaben der tschechischen Polizei 327 solcher Platten. Der Nationalfriedhof liegt vor der kleinen Festung, die von den Nationalsozialisten als Gestapogefängnis genutzt wurde. Die Gräberreihen bilden eine gut einsehbare Freifläche an der eine befahrene Straße vorbeiführt. Trotzdem konnten der oder die Diebe offenbar ungestört ganze Arbeit verrichten. „Mit einem Meisel ist das eine Sache von Sekunden“, vermutet der Direktor der Gedenkstätte, Dr. Jan Munk. Die Bronzeplatten seien nur mit Metallstiften am Grabstein fixiert. „Das Gelände wird nicht extra bewacht. Die Polizei unternimmt Routinefahrten, das ist alles.“ Vor Jahren hatte die Gedenkstätte einen Wachdienst angeheuert, dem wurde aber aus Geldmangel nach einem Jahr wieder gekündigt. Aus dem gleichen Grund gibt es nachts auch keine Beleuchtung für den Friedhof.Die Gedenkstätte in Theresienstadt ist die einzige dieser Art in ganz Tschechien, die an die Opfer des Holocaust erinnert. Sie gedenkt einerseits der fast 3.000 Opfer des Gestapogefängnisses, unter ihnen die Mehrzahl Juden, aber auch der 200.000 Insassen des Konzentrationslagers Theresienstadt, von denen nur rund ein Drittel überlebte. Jährlich kommen über 300.000 Besucher hierher. „Mir ist nichts aufgefallen. Ich dachte die Namen fehlen, weil man sie nicht kennt“, wundert sich  Anthony Princy, ein Tourist aus London.Wie sich herausstellt, ist es nicht das erste Mal, dass auf dem Nationalfriedhof Bronzeplatten verschwinden. Deswegen schließt die Gedenkstätte auch einen antisemitischen Hintergrund der Tat aus. „Hier wird alles Mögliche geklaut, nicht nur Gedenkplatten. Aber dieser Diebstahl hat eine völlig neue Dimension“, sagt der technische Direktor der Gedenkstätte Stanislav Krejný resigniert. Er spricht damit ein Phänomen an, das nicht nur Tschechien erfasst hat. Die steigenden Rohstoffpreise auf den Weltmärkten machen Metalle aller Art zu einer lohnenswerten Diebesbeute. In Tschechien wurden in jüngster Vergangenheit bereits Eisenbahnschienen sowie eine ganze stillgelegte Eisenbahnbrücke entwendet. Sehr beliebt sind auch Fallrohre von Regenrinnen. In der Slowakei demontierten Diebe Panzerteile vom Denkmal der tschechoslowakischen Armee am Dukla-Pass. Auf ukrainischen Straßen fehlen Gullydeckel und sogar in Deutschland wurden mehrfach Kupferkabel an Bahnstrecken entwendet. Der Raub auf dem Nationalfriedhof von Theresienstadt zeigt, dass die Metalldiebe selbst vor Toten nicht haltmachen.Die Bronzeplatten sind je nach Länge des Namens unterschiedlich groß. „Bei einem Gewicht von insgesamt rund einem Kilo, dürfte der Raubzug bis zu 1.600 Euro einbringen“, schätzt Krejný. Allerdings müsse der Dieb erstmal einen Altstoffhandel finden, der Metallplatten mit den Namen von Holocaustopfern annimmt. Die Polizei baut denn auch auf die Ehrlichkeit der Händler und bittet gleichzeitig die Bevölkerung um Hinweise. Den Gesamtschaden schätzt der technische Direktor Krejný auf rund 40.000 Euro, denn die Plaketten müssten aufwändig neu graviert werden.Den Großdiebstahl nimmt die Gedenkstätte zum Anlass, eine Lösung ins Auge zu fassen, die einer Verzweiflungstat gleicht. Gedacht ist weder an einen Wachschutz, noch an die Beleuchtung des Geländes. Die Bronzeplatten sollen schlicht durch Platten aus Kunstharz ersetzt werden, um Dieben die Lust am Klauen zu nehmen. Bis alle Gräber wiederhergestellt sind, wird allerdings eine ganze Zeit vergehen. Die traditionelle Theresienstädter Totenfeier, die alljährlich am 18. Mai auf dem Nationalfriedhof stattfindet, wird damit auch zu einem traurigen Gedenken an die Schändung der Gräber.ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 30 83 11 87


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