Deutsche Schule für die türkische Oberschicht
Anfang Februar löste der türkische Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan mit seinem Vorschlag, türkischsprachige Schulen und Universitäten in Deutschland einzuführen, eine heftige Integrationsdebatte aus. Kritiker befürchten, durch dieses Bildungsangebot könnten sich türkischstämmige Migranten noch mehr in Parallelgesellschaften zurückziehen. Doch umgekehrt stellt sich die Frage: Wenn deutsche Schüler mehr Möglichkeiten hätten, Türkisch zu lernen, wenn Türkisch als Fremdsprache in Schulen genau so selbstverständlich wäre wie Englisch oder Französisch, wie würde sich das auf den Integrationsprozess auswirken? In der Türkei gibt es bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts deutsche Schulen. Sie zeigen, welchen Beitrag das Schulsystem zum gegenseitigen kulturellen Verständnis leisten kann.Schon von außen macht das Schulgebäude einen imposanten Eindruck. An der Pforte werden Besucherausweise ausgestellt. Ein türkischer Schüler weist in fehlerfreiem Deutsch den Weg zum Büro von Georg Michael Schopp, Leiter der deutschen Abteilung. „Das erste Jahr dient den Schülern hauptsächlich dem Erwerb der neuen Fremdsprache. Zusätzlich werden die Naturwissenschaften in Deutsch unterrichtet“, beginnt der aus Deutschland an den Bosporus entsandte Lehrer ein Gespräch über bilingualen Unterricht, Eliteschulen und interkulturelle Erziehung.
Istanbul Lisesi / Kathrin Lemke, n-ost
Momentan arbeiten 35 deutsche Lehrer und Lehrerinnen am Istanbul Lisesi und etwa genauso viele türkische. Die meisten Schüler sind türkischer Herkunft und kommen aus der bildungsorientierten Mittel- und Oberschicht. Jedes Jahr gibt es rund Tausend Bewerbungen, doch nur die besten 180 Schüler schaffen es auf die Eliteschmiede. Mit dem Erwerb des Sprachdiploms oder des deutschen Abiturs wollen sie sich auf eine internationale Karriere vorbereiten. Am Istanbul Lisesi werden gezielt Spezialisten mit naturwissenschaftlichem Schwerpunkt ausgebildet. Nicht wenige von ihnen besetzten später verantwortungsvolle Positionen in Politik und Wirtschaft. Prominenter Absolvent des Istanbul Lisesi ist etwa der ehemalige Ministerpräsident Mesut Yilmaz.
Die Tradition der deutschen Schulen in der Türkei reicht bis zum Ende des 19.Jahrhunderts zurück. Sie entstanden damals als Folge der Arbeitsmigration deutscher und österreichischer Arbeitssuchender in das
Osmanische Reich während der Industrialisierung. Gleichzeitig war der „Orient“ Teil der wilhelminischen Expansionspolitik im östlichen Mittelmeerraum. Die „informellen“ Kolonisationsbestrebungen brachten dem osmanischen Vielvölkerstaat nicht nur deutsche Schulen und Krankenhäuser, sondern dem Kaiserreich auch profitable Aufträge, wie den Bau der Bagdad-Bahn 1903/04. Nach den politischen Wirren des Ersten und Zweiten Weltkriegs erreichte die Bildungszusammenarbeit 1957 mit dem deutsch-türkischen Bildungsabkommen ihren Höhepunkt. Initiiert hatte dieses der ehemalige türkische Erziehungsminister Celal Yardimci, auch ein Absolvent des Istanbul Lisesi.Den Auftrag der deutschen Schulen in Istanbul beschreibt Georg Michael Schopp so: „Wir wollen Türen öffnen, Herzen öffnen, Köpfe öffnen.“ Neben dem Istanbul Lisesi gibt es noch ein weiteres deutschsprachiges Gymnasium. Außerdem arbeiten 30 deutsche Lehrer an den so genannten Anadolu-Schulen im ganzen Land. Sie werden seit 1986 entsandt, um den Rückkehrerkindern die Reintegration zu erleichtern.
Schulleiter Georg Michael Schopp / Kathrin Lemke, n-ost
Ende Februar wurde zudem auf Anregung von Außenminister Frank-Walter Steinmeier eine Initiative der Zentrale für das Auslandsschulwesen gestartet. Als Teil einer neuen, umfassenden Bildungsoffensive soll neben den 117 bestehenden deutschen Auslandsschulen und rund 439 Schulen mit deutschsprachigem Unterricht ein Netz von weiteren 1.000 Partnerschulen in der gesamten Welt aufgebaut werden. Damit sich die deutsche Sprache und Kultur in den jeweiligen nationalen Bildungssystemen etablieren kann, werden im Jahr 2008 zusätzliche 48 Millionen Euro von den Trägern der Zentralstelle zur Verfügung gestellt. Georg Michael Schopp verweist auf die Leistungen des deutschen Bildungsexports. „Die bikulturelle Arbeit nützt der Türkei und Deutschland gleichermaßen. Die Absolventen dieser Schulen sind es gewohnt, in beiden Kulturen zu leben, international und global zu denken.“
Schopp hat die Debatte über Türkisch-Unterricht in Deutschland sehr genau verfolgt. „Warum keine türkischen Lehrer oder Schulen in Deutschland?“, fragt er und verweist auf erste Ansätze in Köln. Das dortige Privatgymnasium Dialog bietet neben besonders intensivem Deutsch-Unterricht Englisch als erste, und Türkisch als zweite Fremdsprache an. An regulären Schulen fehlt dagegen ein solches Angebot.Ein parallel laufender Türkisch- und Deutsch-Unterricht würde nach Ansicht von Schopp die Integration der Türken in Deutschland fördern, die selbst mangels Unterricht oft nur ein einfaches Türkisch sprechen könnten. Die Schüler des Istanbul Lisesi bekämen durch die bilinguale Erziehung an der Schule die Möglichkeit, sich mit einer anderen Sprache auseinanderzusetzen. Ihr Deutsch sei nach der ein Jahr dauernden Vorbereitungsklasse oft besser als das von Migrantenkindern nach Jahren im deutschen Schulsystem.