Nato ja, Berisha nein
Von einem historischen Moment sprach der albanische Ministerpräsident Sali Berisha in Bukarest, als sein Land die ersehnte Einladung in den Aktionsplan zur Nato-Mitgliedschaft erhielt. Endlich kehre Albanien „in die Familie der euro-atlantischen Nationen zurück“. Doch während das offizielle Tirana in der mit Fahnen geschmückten Stadt feiert, ruft die Opposition zu einer Kundgebung gegen die Regierung auf. Mehrere zehntausend Menschen wurden am Freitagabend zu einer Demonstration der oppositionellen sozialistischen Partei erwartet. Unter dem Motto „Nato ja, Berisha Nein“ richten sich die Proteste allerdings nicht gegen das Militärbündnis, sondern gegen die Regierung. Berishas Kabinett steht nach den folgenschweren Explosionen in einem Munitionslager Mitte März heftig in der Kritik.
Roma-Kind vor einer Nato-Flagge / Hans-Ulrich Lempert, n-ost
Bei dem Unglück waren mindestens 25 Menschen getötet und mehr als 400 Häuser zerstört worden. In einem Depot nahe des Dorfes Gerdec sollten alte Munitionsvorräte vernichtet werden. Albanische Medien berichteten vor dem Nato-Gipfel über katastrophale Arbeitsbedingungen, illegalen Waffenhandel und Korruptionsvorwürfe. Die Opposition fordert eine vollständige Aufklärung der Hintergründe und den Rücktritt Berishas, der für das Unglück verantwortlich sei. Die amtierende Regierung sei nicht in der Lage, die für eine Integration in westeuropäische Strukturen notwendigen Werte und Prinzipien in Albanien umzusetzen, so der Vorwurf der Sozialisten.
Als einziges kommunistisches Land war Albanien während des Kalten Krieges sowohl von westlichen als auch von östlichen Bündnissen vollständig isoliert. 1961 hatte es die Beziehungen zur Sowjetunion abgebrochen und war 1968 aus dem Warschauer Pakt ausgetreten. Zehn Jahre später endete schließlich auch das Bündnis mit China. Albanien sah sich danach von Feinden umzingelt und trainierte die Verteidigung sowohl gegen den Westen als auch gegen den Osten. Gerade wegen dieser jahrzehntelangen Abschottung setzten ab 1991 alle demokratischen Parteien eine Demokratisierung des Landes mit der Rückkehr nach Europa gleich, also mit der Integration in westliche Strukturen. Seit 1995 ist Albanien im Europarat vertreten, bereits 1994 stellte es den Antrag auf vollständige Nato-Mitgliedschaft. Durch sein militärisches Engagement in Afghanistan und Irak, wo Albanien mit insgesamt 280 Soldaten vertreten ist, hat Tirana seinen Wunsch nach Westintegration unterstrichen. Nach der Einladung in Bukarest könnte die vollständige Mitgliedschaft nun bereits nach einem Jahr ausgesprochen werden.
Anders als in den meisten westeuropäischen Mitgliedsstaaten der Nato wird in Albanien so gut wie keine Kritik an dem Militärbündnis laut. Es besteht ein breiter gesellschaftlicher, alle Parteien umfassender Konsens, dass Albanien Mitglied der Nato sein sollte. Nach einer Meinungsumfrage des Fernsehsenders KLAN befürworten fast 90 Prozent der Befragten die Mitgliedschaft. Begründet wird dies vor allem mit dem Wunsch nach Integration in westeuropäische Strukturen und der Hoffnung auf Stabilität in der Region. 81 Prozent der Befragten glauben, dass die Aufnahme in die NATO den Beitritt zur Europäischen Union beschleunigt.
Tirana: Kind mit Nato-Fahnen / Hans-Ulrich Lempert, n-ost
Die mit einer Mitgliedschaft verbundenen zusätzlichen militärischen Aufgaben und Ausgaben werden hingegen kaum öffentlich debattiert. Insgesamt sind bis 2010 über 50 Millionen Euro an militärischen Investitionen geplant. Zwar hat Albanien einen vergleichsweise geringen Verteidigungsetat von nur zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts, aber die technisch veraltete Armee braucht eine enorme Modernisierung, um westeuropäische Standards zu erreichen – eine Aufgabe, die angesichts der verbreiteten Armut in Albanien in Zukunft für Spannungen sorgen wird.
Auch wenn die Einladung zur Nato-Mitgliedschaft ein außenpolitischer Erfolg für die Regierung in Tirana ist, werden die Probleme des Landes bestehen bleiben – allen voran die ineffiziente Politik und die schwachen, durch Korruption behinderten staatlichen Strukturen. Auf die Frage, was er sich von einer Mitgliedschaft in der Nato erhoffe, antwortete ein albanischer Student: „Dass die Politiker, wenn sie in den Westen integriert sind, mehr Verantwortung für ihre Politik übernehmen müssen. Erst dann besteht eine reelle Chance auf Entwicklung in Albanien.“