Polen ratifiziert EU-Vertrag
Das polnische Parlament (Sejm) mit 384 von 460 möglichen Stimmen den Vertrag von Lissabon ratifiziert. 56 Parlamentarier stimmten dagegen. Die Regierungskoalition aus Bürgerplattform (PO) und der Bauernpartei (PSL) sowie Abgeordnete der oppositionellen Linken und Demokraten (LiD) unterstützten geschlossen die Ratifizierung. Notwendig war jedoch eine Zwei-Drittel-Mehrheit – mindestens 307 von 460 Abgeordneten –, die ohne Stimmen aus den Reihen der oppositionellen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) von Ex-Premier Jaroslaw Kaczynski nicht zustande gekommen wäre. Im Vorfeld der Ratifizierung war daher ein Kompromiss notwendig geworden, andernfalls wollte Kaczynski das Vertragswerk scheitern lassen – obwohl seine Vorgängerregierung das Abkommen mit ausgehandelt hatte.Bis zum Beginn der Abstimmung im Sejm war nicht klar, wie die PiS-Fraktion mehrheitlich votieren würde.
Premier Donald Tusk und Staatspräsident Lech Kaczynski mahnten im Vorfeld eindringlich und fast einvernehmlich, den Vertrag zu ratifizieren. Beide unterstrichen die Notwendigkeit des Vertrags mit Zitaten des 2004 verstorbenen Papstes Johannes Pauls II. Präsident Kaczynski lobte gar Kanzlerin Angela Merkel, die bei den Vertragsverhandlungen in Brüssel im Juni 2007 Polen entgegengekommen sei. Die Ratifizierung im Sejm fiel auf den 1. April – auch in Polen ein Tag, an dem traditionell Scherze getrieben werden. Tatsächlich nannten viele Kommentatoren die Auseinandersetzung um den Lissabonner Vertrag und die Vorgehensweise von Ex-Premier Jaroslaw Kaczynski eine Farce. Erst den Vertrag mit aushandeln, dann dagegen stimmen? Dies stieß nicht nur in großen Teilen der polnischen Öffentlichkeit, sondern auch im Ausland auf Unverständnis. War es doch die Regierung Jaroslaw Kaczynski, die im Juni 2007 auf dem EU-Gipfel in Brüssel unter der Parole „Quadratwurzel oder Tod“ Zugeständnisse für Polen erreichte.
Durch seine Blockade-Drohung brachte sich Jaroslaw Kaczynski, der seit einigen Monaten die Rolle des Oppositionsführers einnimmt, auch unter der eigenen Anhängerschaft in eine Zwickmühle. Nur schwerlich ließ sich dem europafreundlichen Teil der PiS-Wähler darlegen, dass man einen noch vor kurzem als guten Kompromiss für Polen bezeichneten Vertrag nun scheitern lassen wollte. Im Gegenzug war für die klerikal-konservativen PiS-Anhänger, die sich um den einflussreichen Pater Tadeusz Rydzyk und seinen Radiosender Maryja scharen, beinahe jeder Kompromiss ein Verrat an der Nation.
Die regierende Bürgerplattform (PO) mit Premierminister Donald Tusk ging gezwungenermaßen teilweise auf die PiS-Forderungen ein. In mehrstündigen Verhandlungen am Wochenende zwischen Präsident und Premier vereinbarten beide unter anderem, dass vor der Ratifizierung des Vertrags von Lissabon ein Beschluss im Sejm gefasst werden sollte. Dieser beinhaltet nun die Vorbehalte von PiS – insbesondere in Fragen der Grundrechtscharta sowie der so genannten Joannina-Klausel. Zudem soll das polnische Parlament in naher Zukunft ein Reformgesetz auf den Weg bringen, dass das Verhältnis zwischen dem polnischen Staat und der EU neu festschreiben soll. Trotz der Zugeständnisse der Regierung Tusk gilt Jaroslaw Kaczynski in der Auseinandersetzung als Verlierer.
Denn seine Partei konnte nicht – wie ursprünglich gefordert – ein Gesetz durchbringen, das den Lissabonner Vertrag für Polen maßgeblich schwächt. Die PiS-Fraktion zeigte Zerrissenheit in einer wichtigen Frage. Einer pro-europäischen Gruppe stand eine interne Fraktion von Vertragsgegnern gegenüber, die letztlich gegen die Fraktion gestimmt hat. Wohl nicht zufällig werden selbst in konservativen Blättern Forderungen laut, Kaczynski innerparteilich zu entmachten.