Er wächst immer noch
Einen Führerschein hat Leonid Stadnik noch nicht. Aber endlich ein Auto, in das er einigermaßen hineinpasst. Der ukrainische Präsident Wiktor Juschtschenko persönlich übergab den blauen Mini-Van an den 2-Meter-58-Mann – eine Spezialanfertigung des ukrainischen Autoherstellers ZAZ. Und weil der größte Mann der Welt noch keine Fahrerlaubnis besitzt, drehte der Präsident mit Stadnik auf dem Beifahrersitz eine Proberunde vor seinem Amtssitz.
Der größte Bürger hatte den ersten Mann des Landes um Hilfe gebeten, weil es nirgends ein passendes Auto für ihn gab. Was wie ein Happy End klingt, ist aber allenfalls eine kleine Erleichterung im Leben des Riesen, der mit Mutter und Schwester in einem kleinen Dorf in der Zentralukraine lebt. Denn im Alltag ist der 37-Jährige durch seine Größe stark beeinträchtigt. Gebrauchsgegenstände sind zu klein, Türen und Möbel zu niedrig für ihn. Er schläft in zwei Betten, die er hintereinander gestellt hat. Ständig muss Stadnik sich bücken. Seine 200 Kilogramm Körpergewicht belasten die Gelenke. Er hat häufig Knieschmerzen und geht dann an Krücken. Seinen Beruf als Tierarzt musste Stadnik aufgeben, als er sich Erfrierungen an den Füßen holte – weil er im Winter in Socken durch den Schnee zur Arbeit lief. Er fand einfach keine Schuhe, die groß genug für seine 43 Zentimeter langen Füße waren – das entspricht Schuhgröße 68. Zuhause kümmert sich Stadnik um den Garten und die Tiere: drei Kühe, ein Pferd, Schweine und Hühner.
Seit einer Gehirnoperation im Alter von zwölf Jahren produziert Leonid Stadniks Körper vermehrt Wachstumshormone. Und deshalb wächst er immer noch – fast einen Zentimeter pro Jahr. Wie groß er genau ist, war lange unklar, weil Stadnik sich weigerte, seine Größe messen zu lassen. Erst seit diesem Jahr führt ihn das Guinness Buch der Rekorde offiziell als größten Menschen der Welt. Stadnik löste den bisherigen Titelhalter Bao Xishun aus China ab, der mit 2,35 Meter deutlich kleiner ist.
Dem Ukrainer ist seine Berühmtheit unangenehm. Trotz seiner imposanten Erscheinung ist er ein scheuer Mensch. Größeren Menschenansammlungen geht er lieber aus dem Weg. „Ich mag es nicht, wegen meiner Größe Aufmerksamkeit zu erregen“, entschuldigt sich der Riese.
Seine Bekanntheit hat aber auch gute Seiten. Menschen aus der ganzen Welt schicken ihm Kleidung in Übergröße. Mit Spendengeldern konnte er das Haus seiner Mutter endlich an das Wassernetz anschließen lassen. Im ganzen Dorf wurden die Stromleitungen erneuert. Auch ein passendes Fahrrad und Fitnessgeräte bekam er geschenkt. Ebenso Handy, Satellitenschüssel und einen Computer mit Internet-Anschluss. Seither hat Stadnik per E-Mail Freundschaften in aller Welt geschlossen.
Das Auto, das er nun bekam, wird Stadnik mobiler machen. In seinem Heimatdorf Podoliantsi in der Region Schitomir gibt es keine Schule, keine Geschäfte, keine Kirche. Und obwohl die nächste Provinzstadt nur drei Kilometer entfernt liegt, war sie für Stadnik bisher fast unerreichbar. „Endlich werde ich auch mehr reisen können“, freut sich der Riese, der vor einigen Jahren schon einmal in Deutschland war. Ein entfernter Verwandter hatte ihn eingeladen. Stadnik kostete Froschschenkel und sah zum ersten Mal in seinem Leben eine Achterbahn in einem Freizeitpark. Solche Erlebnisse sollen nun häufiger möglich werden. Stadnik sucht jetzt einen Fahrer. Sein Heimatort will ihm das Benzin bezahlen. „Ich habe immer davon geträumt, dass mein Leben und das meiner Lieben erträglicher wird“, sagt Stadnik. Dieser Traum sei nun in Erfüllung gegangen. Nun träumt er weiter: Der größte Mann der Welt wünscht sich eine Gefährtin. So wie sein chinesischer Vorgänger Bao Xishun, der vor einem Jahr heiratete. „Ich glaube, die Zukunft hält noch viel für mich bereit”, sagt Stadnik voller Optimismus.