Leben zwischen zwei Welten
Solange Franca Landau denken kann, fühlt sie sich als Ausländerin. „Ich bin eine Insulanerin”, sagt sie stolz. Die ersten sieben Jahre ihres Lebens verbrachte die 19-Jährige im Iran, die nächsten zwölf in der Türkei. Francas Vater ist Leiter der deutsch-türkischen Industrie- und Handelskammer. Ihre früh verstorbene Mutter war Islamwissenschaftlerin und hatte an der Universität Türkisch gelernt. Sie übernahm in den ersten Jahren die Kommunikation mit der türkischen Umgebung. In der deutschen Grundschule ist die Unterrichtssprache für Franca Deutsch. Von ihrem iranischen Kindermädchen lernt sie etwas Persisch, vergisst das jedoch schnell wieder. Und Türkisch bleibt für sie eine Sprache, die sie bis heute kaum benutzt.
Die hübsche blonde Frau lacht viel, wenn sie über ihr deutsches Leben in Istanbul spricht. Sie hängt sehr an der türkischen Metropole am Bosporus. Istanbul sei ihre Traumstadt, sagt Franca ernsthaft. Doch das Sprachproblem bleibt. Beim Tod ihrer Mutter war Franca erst elf Jahre alt. Nach der Grundschule besuchte sie ein englischsprachiges Elitegymnasium, denn der Vater konnte nicht absehen, wohin sein Beruf ihn verschlagen würde. Und Englisch ist zumindest international die gebräuchliche Sprache der Wirtschaftswelt. Franca und ihr Bruder allerdings fingen irgendwann an, ein seltsames Kauderwelsch zu sprechen, einen Mischmasch aus Deutsch und Englisch. „Als mich ein Lehrer sagen hörte: ‚Brüderchen, where are wir going’, wurde uns nahe gelegt, Deutsch als Fremdsprache zu belegen”, erinnert sich Franca Landau an ihr linguistisches Problem. Tatsächlich musste sie zwei Jahre lang ihr Deutsch in der Schule aufpolieren. Schließlich erleichtert ein solides Fundament der eigenen Sprache auch die Beherrschung von Fremdsprachen. Ihr Türkisch versucht sie nun nach Abschluss der Schule zu verbessern.
Die 19-jährige Türkdeutsche Franca Landau. / Franca Landau, n-ost
„Ein Vorteil ist, dass mein schlechtes Türkisch mir hier nie zum Vorwurf gemacht wird”, sagt sie, „aber es hat mich leider schon oft in peinliche Situationen gebracht.” Grammatikalisch ist die türkische Sprache völlig anders aufgebaut als das Deutsche. Es kommt ohne Artikel und Präpositionen aus und verkettet Satzteile zu komplizierten Wortwürmern, die für den Ausländer kompliziert klingen. Gleichzeitig existieren einige Laute, die im Deutschen nicht existieren, zum Beispiel das I ohne Punkt. Es wird wie ein „Öeh” ausgesprochen – für einen deutschen Muttersprachler eine schwierige Zugenakrobatik, die er innerhalb der Wortwürmer dann auch noch durchdeklinieren muss. „Beim Zahnarzt bezeichne ich dann aus Versehen Zahnschmerz als Nebelschwaden im Mund“, sagt Franca, „weil ich das türkische I wie ein deutsches I ausspreche.”
Da kaum ein Türkdeutscher fehlerfrei Türkisch spricht, garantieren selbst geringe Sprachkenntnisse statt Befremden stets begeisterten Beifall. Gleichzeitig lieben es die Istanbuler, mithilfe der Ausländer ihre Fremdsprachenkenntnisse zu vertiefen. „Jeder zweite Taxifahrer spricht deutsch”, erklärt Franca – für sie ein weiterer Stolperstein auf dem Weg zum korrekten Türkisch. Wie viele Deutsche oder Deutschstämmige in der Türkei leben, ist statistisch nicht genau zu bestimmen. Es werden Zahlen zwischen 50.000 und 100.000 genannt. Viele von ihnen bleiben Pendler zwischen den Welten: Rentner, die einen Teil des Jahres in Deutschland und den anderen in der Türkei verbringen. „Expatriates“, die einst aus beruflichen Gründen kamen und dann länger blieben als geplant. Dass sie die Sprache nie richtig lernen, liegt – ähnlich wie bei den türkischen Gastarbeitern der ersten Generation in Deutschland – daran, dass sie anfangs meist nur einen kurzen Aufenthalt einplanten.
Franca Landau sieht durchaus Parallelen zu türkischen Migrantenkindern in Deutschland, wenn sie ihre Kindheit als überbehütet beschreibt. Die Ängste des Vaters führten zu vielen Verboten, die sicherlich in einer deutschen Umgebung nicht so streng ausgefallen wären. „Ich durfte erst mit 16 Jahren allein Taxi fahren und fing mit 17 an, mein soziales Leben aufzubauen”, erzählt Franca. Passiv ist ihr Türkisch mittlerweile sehr gut. Sie versteht 90 Prozent dessen, was um sie herum gesprochen wird. Ihr eigenes Vokabular jedoch ist auf bestimmte Situationen abgestimmt. „Ich kann kein Türkisch“, artikuliert sie akzentfrei. Doch obwohl Franca nach ein paar Monaten Türkisch-Unterricht die Grammatik inzwischen gelernt hat, kann sie sich bislang nicht als sprachlich „integriert“ bezeichnen.
Blick auf den Bosporus. / Franca Landau, n-ost
Ihr türkischer Freund ist das Gegenstück zu ihr. Er ist in Deutschland geboren, war auf einer deutschen Schule und hat deutsche Freunde. Als er dann in die Türkei kam, musste er erst einmal Türkisch lernen. Denn die Migration hat auch unter türkischen Migranten eine eigene Sprache entstehen lassen, eine vereinfachte türkische Grammatik, die mit deutschen Vokabeln gespickt ist. Und Türken, die aus Deutschland in ihre Heimat zurückkehren, können sich nicht auf den Ausländer-Bonus verlassen wie Franca. Sie machen zum zweiten Mal die Erfahrung, als nicht integriert und sprachlich unterbemittelt zu gelten. „Ich habe es da in vieler Hinsicht leichter”, weiß Franca. „In Deutschland befremdet es, wenn die ganze türkische Familie ins Krankenhaus kommt, oft um zu übersetzen. Hier gehen wir gleich zu einem Arzt, der Deutsch kann, weil er in Freiburg Medizin studiert hat.”
Den Transit zwischen den Welten erlebt die junge Frau als positiv. Ihr Leben in der Türkei sieht sie realistisch als priviligiertes Insulanertum an. Studieren will Franca Landau ab dem kommenden Semester in Deutschland. In der ersten Zeit wird der schriftliche Ausdruck im Deutschen dabei für sie eine Hürde sein, weil ihre erste Schriftsprache Englisch ist. Als Istanbulerin nutzt auch Franca bei jedem Deutschlandbesuch die türkische Migrantenkultur, wenn sie Heimweh bekämpfen will. „Sie können sich gar nicht vorstellen, wie begeistert der türkische Gemüsehändler in der süddeutschen Kleinstadt meiner Großeltern ist, wenn ich schlechtes Türkisch mit ihm spreche”, sagt sie. Sogar ihr türkischer Freund Cem wird dann neidisch. In Deutschland achtet er akribisch darauf, sprachlich nicht als Türke identifiziert zu werden – und in der Türkei gilt er als “Almanci”, als Deutschländer.