Polen

Von Feuerlöschern und Autodieben

100 Tage nach dem Schengenbeitritt von Polen und Tschechien sind nicht Kriminelle zum Problem geworden, sondern absurde kleine Grenzstreitigkeiten(n-ost) – Der Transporter der Bundespolizei wartet am ehemaligen Grenzübergang von Görlitz hinter dem polnischen Zgorzelec. Die Beamten beobachten die vorbeifahrenden Autos und fischen Fahrzeuge aus dem Verkehr. Vor über drei Monaten verschwand die Personenkontrolle, doch ein polnischer Taxifahrer muss gerade seine Dokumente vorzeigen und den Kofferraum aufmachen. Sein Fahrgast wird ebenso kontrolliert. Wenige hundert Meter weiter in Richtung Altstadt steht ein anderer mobiler Polizeistreifenwagen einsatzbereit.  Die starke Präsenz der Polizei in Görlitz und der Oberlausitz soll die Zahl der Autodiebstähle drosseln. Seit dem Wegfall der Grenzkontrollen am 22. Dezember 2007 wurden in Görlitz bis zum 29. Februar 42 Fahrzeugdiebstähle gemeldet. Im gleichen Zeitraum waren es im vergangenen Jahr nur drei. Die Polizei reagierte mit verschärften Kontrollen, die jedoch zu Spannungen an beiden Ufern der Neiße führten. „Die Polizei hat gezielt Autos mit polnischen Kennzeichnen gejagt“, erzählt Andrzej Nowakowski aus Zgorzelec. Der Pole will sogar dreimal kontrolliert worden sein, als er eines Tages in Görlitz unterwegs war. Die polnische Seite warf den Beamten Diskriminierung ausländischer Autofahrer vor. Nach einigen Wochen milderte die Polizei ihre Sicherheitsvorkehrungen. Einer gründlichen Kontrolle wurde auch Piotr Woroniak, der Landrat von Zgorzelec, unterzogen. Das Auto sowie seine privaten Sachen wurden durchsucht. „Es war schlimmer als vor der Schengen-Öffnung“, sagt Woroniak, „das waren Schikanen“. Der Landrat protestierte bei seinen Vorgesetzen in Breslau gegen das Vorgehen der deutschen Polizisten. Schnell reagierte auch Konrad Szymanski, Europaparlamentarier aus Niederschlesien. Szymanski, wie Woroniak Mitglied der Partei von Jaroslaw Kaczynski, forderte die Europäische Kommission vergeblich zur Intervention auf. Am 28. März wollte Szymanski die sächsischen Europaabgeordneten zur Rede stellen, musste aber den Termin absagen, nachdem die Polizei die Kontrollen gelockert hatte.    Wieso wird gerade Görlitz zu einem Brennpunkt an der deutsch-polnischen Grenze? Die Polizei beider Länder bemüht sich seit fast zwei Jahrzehnten um die Antwort. Bereits Anfang der 90er Jahre galt das polnische Zgorzelec als Hochburg organisierter Kriminalität. „Die Stadt Görlitz bildet einen idealen kriminalgeographischen Raum für Autoschieber“, erklärt Landespolizeipräsident Bernd Merbitz. Nirgends sonst könne man aus dem inneren Stadtgebiet so schnell und unkompliziert ins Nachbarland gelangen. Nach einem Autoaufbruch vergehen seinen Erkenntnissen zufolge nur durchschnittlich sechs Minuten, bis das gestohlene Fahrzeug in Zgorzelec auftaucht.
 
In Ebersbach etwa 35 km südöstlich von Görlitz führt die Grenze zu Tschechien über die Felder hinweg. Man kann hier überall zu Fuß ins Nachbarland gehen. Auf Umwegen dringen auch Kriminelle ein. Seit dem 22. Dezember verzeichnet die Ortschaft mit rund 8.000 Einwohnern den zweitgrößten Anstieg von Einbrüchen und Diebstählen in der Region. „Am Tag kommen tschechische Roma mit Fahrrädern herüber und schauen sich nach Beute um. Bei Dunkelheit kommen sie wieder und nehmen sie einfach weg“, sagt Rentner Erich aus Ebersbach. Alles werde geklaut, von Autos bis zu Gartenzwergen. Er habe nichts gegen Ausländer, sagt er, aber ein Einbruch in sein Auto kostete ihn kürzlich eine Seitenscheibe und einen CD- Player. Und auch ein Gartenschlauch ging eines nachts verloren.Rund um Ebersbach wimmelt es von Polizeistreifen, doch Rafal Gronicz, der Bürgermeister von Zgorzelec, hält wenig von solchen Maßnahmen. „In Görlitz machten diese Kontrollen nur die Polizisten zufrieden. Sie haben die Autodiebstähle nicht gestoppt, sondern gegenseitiges Misstrauen hervorgerufen“, sagt Gronicz. Der Bürgermeister fordert von der Polizei mehr zivile Beamte im Einsatz. In Görlitz habe man es mit organisierten Gruppen zu tun, nicht mit spontanen Einbrüchen, so Gronicz.  Auch die Beamten haben inzwischen erkannt, dass präventive Überwachung allein Autoeinbrüche nicht verhindert. Die Polizeidirektion Oberlausitz-Niederschlesien setzte eine Belohnung von 1000 Euro aus für Hinweise, die zur Ergreifung von Autodieben führen.
 
An der Oder ist vom Görlitz-Syndrom nichts zu spüren. Die Polizei in Vorpommern registriert im Grenzgebiet genauso viele Vorfälle wie im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Im Brandenburger Innenministerium und im Polizeipräsidium Frankfurt (Oder) hat man auch keine Anzeichen für einen Kriminalitätsanstieg. „Bei uns haben sich die düsteren Prognosen nicht bewahrheitet”, sagt Frank Ehling, Direktor des Amtes Barnim-Oderbruch im Landkreis Märkisch-Oderland. „Die Gemeinden profitieren von der Erweiterung der Schengen-Zone“. Doch die Kriminalität ist keine Einbahnstraße. Auch Deutsche begehen Straftaten in Polen. „Die Nachbarn fahren Müll und Abfälle zu uns herüber und laden sie illegal in umliegenden Wäldern aus“, sagt Bartlomiej Bartczak, Bürgermeistenter von Gubin in der Niederlausitz. Die Stadt grenzt über die Neiße an das deutsche Guben.  Im Oderbruch richten sich die mobilen Kontrollen der deutschen und polnischen Grenzer größtenteils gegen illegale Einwanderer. Wie erwartet nahmen die rechtswidrige Einreisen von Ausländern seit dem 21. Dezember stark zu. Im ersten Monat nach der Schengen-Öffnung wurden laut Bundesinnenministerium an der Binnengrenze zu Polen und Tschechien insgesamt 604 Personen festgenommen. Im gesamten ersten Halbjahr 2007, also vor der Erweiterung des Schengen-Raumes, wurden an der deutschen Ostgrenze nur knapp 500 Illegale aufgegriffen.Trotz nur mäßiger Beamtenpräsenz ließ sich die Polizei an der Grenze in einen deutsch-polnischen Verbandskastenstreit verwickeln. In polnischen Medien machten Geschichten von deutschen Grenzbeamten die Runde, die mit Ferngläsern auf der Lauer lägen, gezielt Fahrzeuge mit polnischen Kennzeichen anhielten und nach Winterreifen und dem Verbandskasten fragten. Die kleinste Abweichung von der deutschen Norm bedeutete sofort einen Strafzettel. Die deutsche Presse hingegen berichtete von uniformierten Polen, die Autofahrer aus Deutschland wegen fehlender Feuerlöscher bestraft hätten. Der Streit  wurde nach wenigen Wochen beigelegt, die Polizeibehörden annullierten die verteilten Strafzettel. Auch die Einwohner von Görlitz und Zgorzelec hoffen nun, dass die Probleme in ihren Städten bald gelöst werden. Die Polizei verzichtet inzwischen auf verschärfte Kontrollen – und vielleicht geben ja auch die Verbrecher in Görlitz bald auf.   ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 30 83 11 87


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