Tschechien

Gnade für freche Künstler

Wohl noch nie in seiner Geschichte hat das Gericht im böhmischen Trutnov (Trautenau) am Fuße des Riesengebirges einen solchen Auflauf erlebt wie am Dienstag. Den Angeklagten kam eine regelrechte Fangemeinde zu Hilfe – und das gleich per Bus. Nicht alle fanden Platz in dem kleinen Gerichtssaal, um ein juristisches Spektakel zu verfolgen, das es so in Tschechien noch nicht gegeben hatte.Sieben Aktionskünstler hatten sich zu verantworten, weil sie sich im vergangenen Sommer in die Live-Bilder des tschechischen Fernsehens aus Erholungsgebieten des Landes eingehackt und per Computer einen virtuellen Atompilz mitten in die heile Landschaft des Riesengebirges gezaubert hatten.

Die Künstler wollten damit zeigen, wie leicht man Fernsehzuschauer manipulieren kann.War das nun „künstlerische Freiheit“ oder die „böswillige Verbreitung falscher Nachrichten zum Zweck der Störung des öffentlichen Friedens“, wie die Staatsanwaltschaft in umständlichem Jura-Tschechisch meinte? Keine leichte Aufgabe, vor der Richterin Stanislava Suchankova da stand.

Das Fernsehen hatte die Klage angestrengt, nachdem dort verängstigte Zuschauer beschwert hatten. Andere Zuschauer hatten dagegen sofort auf die Internetadresse geklickt, die neben dem Atompilz auf dem Bildschirm eingeblendet war. Und die gehörte den Aktionskünstlern, die sich „Ztohoven“ nennen, was man ins Deutsche mit „Raus hier“, phonetisch ähnlich aber auch mit „hundert Scheißhaufen“ übersetzen kann. Hinter „Ztohoven“ verbergen sich junge Leute, die schon wiederholt auf witzige Weise auf sich aufmerksam gemacht hatten. Etwa, als sie im vergangenen Jahr die Ampelmännchen an Prager Kreuzungen aufpeppten.

Die standen und gingen nun nicht mehr einfach so, sondern humpelten plötzlich am Stock, lagen herum, tranken oder urinierten gar. Die Tschechen fanden das urkomisch. „Ztohoven“ hatte vor Zeiten auch ein etwas peinliches rotes Neonherz auf der Prager Burg, das dort zum Abschied Vaclav Havels aus dem Präsidentenamt installiert worden war, mit Folie so abgedunkelt, dass bloß noch ein Fragezeichen übrig blieb. Die Künstler trafen damit die Stimmung vieler Prager, die sich Sorgen darüber machten, dass ihre geliebte Burg bald aussehe wie eines der vielen elenden Bordelle im tschechischen Grenzland.

Ein großes Maß an Verrücktheit, List und Tücke gehöre nun mal zum typisch tschechischen Humor, sagt Roman Tyc, der Chef der Truppe. „Österreich, der Kommunismus, der Faschismus – uns Tschechen fällt doch immer jemand in den Rücken. Da bleibt uns nur, herumzuschwejken.“Schwejksches Format bewies auch ein Sachverständiger im Prozess von Trutnov. Auf die Frage der Richterin, ob sich die Fernsehzuschauer nicht ernsthaft hätten erschrecken müssen, erklärte er lakonisch: „Die aus der mittleren und älteren Generation sicher nicht.

Die haben doch bei den Kommunisten laufend Übungen der Zivilverteidigung absolvieren müssen. Irgendwann, so werden die sich gesagt haben, muss ja nun auch wirklich mal eine Bombe explodieren.“Der Bürgermeister des Ortes, über dem der virtuelle Atompilz aufgeblitzt war, nahm die Künstler ebenfalls in Schutz: „Panik hat hier niemand bekommen. Als die Leute davon hörten, haben sie mehrheitlich nur gegrinst.“Die Künstler, die im Prozess noch einmal ihre ausschließlich künstlerische Absicht bekundeten, haben in der Öffentlichkeit zahlreiche Fürsprecher.

Der Chef der Prager Nationalgalerie, Milan Knizak, verlieh ihnen für die Aktion mit der virtuellen Atombombe einen gut dotierten Förderpreis. Und vor einiger Zeit veröffentlichten namhafte Professoren der Prager Karlsuniversität eine Petition, in der sie der Justiz vorwarfen, mit dem Gerichtsprozess wegen einer „eindeutigen künstlerischen Performance“ bloß unsinnig Steuergelder zu verschwenden. Eine Verurteilung wäre hochnotpeinlich: „Tschechien wäre damit vermutlich das einzige Land der demokratischen Welt, das in heutiger Zeit Künstler hinter Gitter sperrt.“

Die Professoren forderten Präsident Vaclav Klaus auf, im Fall der Fälle sofort Gnade walten zu lassen. Die Petition trägt bereits an die 15.000 Unterschriften.Am Ende hatte Richterin Stanislava Suchankova ein Einsehen: Sie sprach die sieben Angeklagten frei. Hätte sie sich auf die Seite der humorlosen Staatsanwaltschaft geschlagen, hätten den Künstlern bis zu drei Jahre Haft gedroht.


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