Polen

POLNISCH-DEUTSCHE VERSUCHUNG

Aneta und Florian Belgard machen mit ihrer Bonbon-Manufaktur in Gdansk Furore.(n-ost) - "Jetzt gehen wir hier rein und sehen, wie man Bonbons macht", sagt der Lehrer seinen Schülern, als sie vor dem Ciuciu-Cukier-Artist-Laden in der Altstadt von Gdansk (Danzig) stehen. Für die Kinder ist es offensichtlich keine große Überraschung, dass sie gleich Bonbonmachern über die Schulter schauen dürfen - denn das Geschäft von Aneta und Florian Belgard ist nicht nur in der polnischen Hafenstadt wohl bekannt. "Gehen wir schon rein!", ruft einer der Jungs ungeduldig und schiebt sich gemeinsam mit zwanzig Klassenkameraden in die Produktionsstube samt Laden in der Ulica Powroznicza 19/20. Nicht nur der intensive Duft, der den Kindern entgegen schlägt, lässt die Kinder vor Begeisterung raunen. Vor allem fasziniert sie das süße Treiben der Mitarbeiter, die hinter einer Glasscheibe - wie in einem Schaukasten - vor aller Augen die Bonbonzubereitung zelebrieren.
Aneta und Florian Belgard in ihrem Danziger Bonbonladen
BelgardDie zu 100 Prozent in Handarbeit hergestellten Leckereien in ihrer Entstehung zu zeigen und natürlich auch zu verkaufen - das ist das Konzept von Florian und Aneta Belgard, dem deutsch-polnischen Gründer- und Inhaber-Ehepaar. Es ist zugleich das süße Erfolgsrezept von Ciuciu. "Ich bin nicht mehr auf der Suche, ich habe das gefunden, was ich bis an mein Lebensende machen will: Bonbons herstellen", sagt Florian Belgard - ganz ohne Pathos, aber voller Überzeugung. Es macht den Eindruck, als dampften aus allen Poren seines Körpers Bonbonaromen und als steckten diese die Besucher des Ciuciu-Ladens, die großen wie die kleinen, duftvoll an.
 
Dynamisch, extrovertiert, manchmal gar cholerisch - so sieht sich der 35-jährige Vater einer 10-monatigen Tochter. In den ersten beiden Punkten irrt er nicht: mit großen Zuckertöpfen hantiert er hinter dem Tresen, scherzt mit Besuchern über den "Affenkäfig", in dem die Bonbons an heißen Tagen bei 40 Grad Celsius gemischt, gekocht und geschnitten werden, bespricht lautstark die nächsten Bonbon-Mixturen mit seinen Angestellten Basia und Robert. Zwischendurch schmust er innig mit seiner Tochter Leonie, wirbelt sie durch die Luft und will von seinem Besuch sofort geduzt werden. Florian und Aneta also.   Aneta, die sehr gut Deutsch spricht und eigentlich gelernte Werbetechnikerin ist, wirkt ruhiger, überlegter, und auch ein Stück weit geerdeter als ihr Mann. Sie ist für Organisation und Werbung zuständig - und momentan vor allem für die kleine Leonie. "Der Name unseres Geschäfts kommt daher, dass viele kleine Kinder in Polen ‚ciuciu' sagen, wenn sie das Wort für Bonbons - cukierki - noch nicht aussprechen können", erläutert sie. "Und ich sage den deutschen Besuchern, ciuciu sei das Geräusch, das man macht, wenn man Bonbons lutscht", ergänzt Florian. Kurios ist die Geschichte, wie Ciuciu und die Bonbonmacherei überhaupt entstanden sind. Kennen gelernt haben sich die beiden in Deutschland, wo Aneta alle möglichen Jobs machte, eigene Bilder verkaufte, als Kellnerin und als Babysitterin arbeitete. Florian arbeitete als Friseur und machte sich später in der Fortbildung selbständig. "Unser Ziel war es aber, gemeinsam unabhängig zu arbeiten", sagt Aneta. Und so kam es: Florian stieß bei einem Urlaub in Spanien auf einen Bonbonmacher-Laden und entschied kurzerhand, einen eben solchen eröffnen zu wollen. Die Grundlagen der Bonbonmacherei hat er sich abgeschaut. "Wenn ich etwas lernen möchte, muss ich in erster Linie mit den Augen lernen. Das ist der Leitspruch, den mir mein alter Friseurchef einmal nahe gelegt hat." Florian Belgard verkaufte sein gesamtes Hab und Gut auf dem Flohmarkt, Aneta arbeitete vier Wochen lang auf einem Weihnachtsmarkt. "Das Geld haben wir dann zusammen geschmissen. Als wir merkten, dass es für ein Geschäft in Deutschland nicht reicht, sind wir erst mal in Urlaub gefahren - nach Polen", sagt er. Bei einem Spaziergang durch die Danziger Altstadt fiel ihm ein leer stehender Laden auf. "Da wollte ich unser Geschäft haben", sagt der Überzeugungstäter. "Und ich muss sagen: Ich bin froh, dass ich Aneta habe. Denn jede andere Frau hätte gesagt: Du spinnst doch, Du willst hier etwas machen, was Du überhaupt nicht kannst." Seine Angetraute lacht, als er das erzählt.     Gemeinsam gingen die Belgards das Wagnis ein: Im März 2005 mieteten sie mit Hilfe eines kleinen Kredits von den Eltern die Ladenfläche an, schon drei Monate später eröffneten sie ihren Laden. Im November 2006 wurde das Ehepaar mit dem Business-Award der Stadt Gdansk ausgezeichnet, der so genannten Kogge. "Vor der Eröffnung haben wir uns drei Monate lang mit 300 Kilogramm Zucker und etlichen Aromastoffen im Laden verbarrikadiert und alle möglichen Rezepte probiert. Schließlich mussten wir öffnen, denn wir hatten kein Geld mehr", sagt Florian schmunzelnd. Von da an sei es steil bergauf gegangen. In saisonalen Hochzeiten und zu Markttagen beschäftigen die beiden mittlerweile bis zu 15 Mitarbeiter. Regulär sind vier Voll- und vier Teilzeitkräfte bei Produktion und Verkauf mit im Bonbon-Boot.
Verkaufsraum im Artist Ciuciu.
Jan Opielka"Am besten gefällt mir an dieser Arbeit der Kontakt mit den Kindern", sagt Robert Urbanowicz, einer der Mitarbeiter. Er ist gerade dabei, die dicke Bonbonmasse hin- und her zu rollen, um sie auf einen schneidbaren Umfang zu bringen. Zwischendurch, vielmehr mittendrin, spricht er mit Besuchern und Kunden, erklärt die Arbeitsvorgänge und neckt sich mit den Kindern, die mit großen Augen durch die Glasscheibe auf die Bonbons in spe starren. Seine Kollegin Basia, die von Anfang an dabei ist, schneidet die dünner werdende Masse in etwa 1,50 Meter lange Stangen. Im Hintergrund kochen und dampfen in Riesentöpfen die nächsten süßen Versuchungen. Auch Ladenchef Florian macht mit bei der Produktion. Gerade schneidet er die langen Bonbonstangen mit einem scharfen Spachtel gekonnt in mundgerechte Stücke. Dafür gäbe es sicherlich eine geeignete Maschine - doch würde er die benutzen, wäre Ciuciu wohl nicht Ciuciu. Die eigentlich mühevolle Arbeit macht dem 34-Jährigen sichtlich Spaß, auch wenn auf seiner Stirn etliche Schweißtropfen glänzen.In dem Zweierteam Belgard ist Florian der extrovertierte (Ideen-)Verkäufer, die treibende Kraft, der Macher und Gestalter hinter der Theke - seine Frau Aneta hingegen der kühle Kopf hinter dem Familiengeschäft, die gut organisierte Werbestrategin und Verwalterin von Ciuciu. Die beiden arbeiten dabei vollkommen gleichberechtigt. Trotz augenscheinlicher Dominanz von Florian Belgard steht seine Frau Aneta keinesfalls an zweiter Stelle im Geschäft, selbst wenn sie momentan wegen der kleinen Tochter etwas kürzer treten muss. Doch obgleich die Belgards ein klassisches polnisch-deutsches Ehepaar sind, erkennen sie sowohl in ihrem Zusammenleben als auch in ihrer Zusammenarbeit weniger nationale Besonderheiten als personenbezogene. "Ein anderes deutsch-polnisches Pärchen würde das Geschäft absolut anders betreiben. Um so ein Business aufzuziehen, darf man nicht gleich gepolt sein, und muss dennoch miteinander harmonieren", sagt Florian. Zwei deutsch-polnisch Aspekte seien dann aber doch ganz hilfreich beim Geschäft: die deutsche Zielstrebigkeit gepaart mit der polnischen Gelassenheit.Die Belgards wollen in Danzig bleiben. Den Businessplan, den sie für fünf Jahre konzipiert hatten, haben sie innerhalb nur eines Jahres erfüllt. Mittlerweile haben die Ciuciu-Macher Inventar aus einer Manufaktur in Bydgoszcz aufgekauft, ihr Geschäft wollen sie vergrößern. Auch in Deutschland sind sie bereits aktiv - etwa auf Weihnachtsmärkten in Hamburg und Köln. Außerdem denken sie darüber nach, ein Geschäft zu eröffnen, in Berlin vielleicht oder in München. Ob das eine Art Lounge oder ein Cafe werden soll, wo man den Bonbonmachern bei Kaffee und DJ-Musik über die Schulter schauen kann, ist noch nicht klar. Danzig verlassen wollen die Belgards indes nicht. "Die Danziger würden uns Bomben ins neue Geschäft werfen, wenn wir hier wegziehen", sagt Aneta Belgard lachend.Ob es an dem Produkt liegt, an seinen beiden Mädels, oder an ihm selbst: Florian Belgard ist ein leidenschaftlicher Geschäftsmann, Bonbonmacher und Kommunikator - und in seiner Art so gar nicht typisch, männlich, hart. "Einmal hat eine sehr alte Frau in unserem Geschäft angefangen zu weinen", erzählt er. "Ich habe sie gefragt, was los sei. Sie sagte nur: Ach, ich habe mich als ich hier reinkam zum ersten Mal nach fast achtzig Jahren daran erinnert, dass in meiner Heimatstadt auch ein Zuckerbäcker war, bei dem ich als Siebenjährige immer einen Bonbon gegessen habe. Das war, das ist so schön." Die Belgards bekommen immer noch jedes Mal Gänsehaut, wenn sie davon erzählen - und wollen solche Erlebnisse auch künftig nicht missen.         ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 30 83 11 87


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