Polen

KACZYNSKI BLOCKIERT VERTRAG VON LISSABON

Der mühsam ausgehandelte Kompromiss droht wegen der polnischen Opposition zu scheitern(n-ost) - Gerade erst hatten sich die europäischen Politiker erfreut die Hände geschüttelt und sich gegenseitig zu ihrer Einigung über den Lissabon-Vertrag gratuliert - da ist die Reform der EU schon wieder bedroht. Protest kommt erneut aus Polen, trotz der inzwischen pro-europäischen Regierung. Diesmal sitzen die Störenfriede auf der Oppositionsbank - und wieder meldet sich Ex-Premier Jaroslaw Kaczynski zu Wort. Als am Donnerstag die Ratifizierung des Vertrags im polnischen Parlament geplant war, forderte er mehr Zeit, um noch einmal über das Werk nachzudenken."Wir wollen nicht, dass Polen eine Wojewodschaft in der EU wird", erklärte Jaroslaw Kaczynski überraschend im Sejm, dem polnischen Parlament - eine Wojewodschaft, eine polnische Region also, die Brüssel vollkommen untergeordnet und kein souveräner Staat mehr wäre. Damit spielt Kaczynski auf die alte Angst vieler Polen an, das Land könnte seine Unabhängigkeit innerhalb der EU verlieren. Der Vertrag von Lissabon sei eine Gefahr, weil er das europäische Recht über polnische Gesetze stelle, begründen Kaczynski und seine Anhänger ihre Position. Das bedrohe die polnische Tradition - national-konservative Politiker fürchten, dass gleichgeschlechtliche Ehen erlaubt und die Abtreibungsgesetze liberalisiert werden könnten.
 
Die polnische Wende im Ratifizierungsprozess kam überraschend. Hatten doch Jaroslaw Kaczynski und sein Bruder Lech als Staatspräsident den Vertrag erst im vergangenen Sommer in Brüssel ausgehandelt und die erzielten Kompromisse als persönlichen Erfolg präsentiert. Das wichtigste Zugeständnis, das die EU damals machte, war eine Ausnahmeregelung bei der Grundrechtecharta im so genannten britischen Protokoll. Polen und Großbritannien hatten dem Vertrag nur unter der Bedingung zugestimmt, dass für sie nicht alle Punkte der Charta rechtlich verbindlich werden. Die polnische Regierung fürchtete vor allem deren Antidiskriminierungsklauseln, die Diskriminierung aus verschiedenen Gründen, darunter auch aus sexuellen, im Arbeits- und Privatleben verbieten. Kaczynskis Partei Recht und Gerechtigkeit hatte Angst, sie könnte dadurch entgegen ihres Wahlversprechens gezwungen werden, homosexuelle Ehen zu akzeptieren. Durch das britische Protokoll sah sie diese Gefahr gebannt. Doch nun reicht der mittlerweile oppositionellen Partei mit Jaroslaw Kaczynski an der Spitze dieses Zusatzprotokoll offenbar nicht mehr aus. Seine Zustimmung zum Vertrag von Lissabon macht Kaczynski jetzt von einer Präambel abhängig, in der festgelegt werden soll, dass die polnische Verfassung oberstes Gesetz bleibe, Polen ein souveräner Staat sei und diese Souveränität auch als EU-Mitglied behalte. Die Grundrechtecharta solle nur begrenzt Anwendung finden und dürfe Polens Souveränität im "Moral-" und Familienrecht nicht verletzen. Die Diskussion über die Ratifizierung des Vertrags im polnischen Parlament wurde am Donnerstagnachmittag abgebrochen. Zbigniew Chlebowski, der Chef der Parlamentfraktion der liberalen Bürgerplattform von Ministerpräsident Donald Tusk, schätzte die Situation als sehr schwierig ein. "Polen droht eine Blamage vor der EU", sagte er vor Journalisten. Hätte die Abstimmung wie geplant gestern stattgefunden, hätten die Befürworter des Vertrages die erforderliche Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen nicht erreicht. Regierungschef Tusk selbst hingegen gibt sich vorerst gelassen. Auf einer Pressekonferenz in Brüssel erklärte er, Staatspräsident Lech Kaczynski habe ihm persönlich garantiert, dass er sich ebenfalls für die Ratifizierung des EU-Vertrags einsetze. Tatsächlich hatte der Präsident in Warschau verlauten lassen, im Großen und Ganzen sei er für den Vertrag. Der Forderung nach einer zusätzlichen Präambel allerdings steht Lech Kaczynski genau wie sein Bruder Jaroslaw positiv gegenüber. Sie würde die Stellung Polens in der EU stärken, glaubt der Präsident. Die regierende Bürgerplattform und ihr Koalitionspartner, die polnische Volkspartei, sowie die oppositionellen Linken hingegen halten die Forderung nach einer Präambel für sinnlos und unakzeptabel. Doch um den Vertrag von Lissabon zu ratifizieren, ist im Sejm eine Zweidrittel-Mehrheit erforderlich. Zu dieser fehlen der Bürgerplattform, der Volkspartei und den Linken einige Stimmen. Sollte Kaczynskis Partei Recht und Gerechtigkeit sich also geschlossen gegen den EU-Vertrag ohne Präambel stellen, steht die polnische Regierung vor einem großen Problem. Genau wie die gesamte EU. Denn bis zum 1. Januar 2009 müssen alle Mitgliedstaaten den Vertrag ratifiziert haben. "Es wäre eine Tragödie", fasste der Vorsitzende des Europaparlaments, Hans-Gert Poettering, dieses pessimistische Szenario kurz vor Beginn des EU-Gipfels in Brüssel zusammen. "Ich hoffe, die polnischen Kollegen können sich noch einigen", so Poettering. Der EU-Vertrag muss in allen 27 Mitgliedstaaten ratifiziert werden. Bisher haben dies erst fünf Staaten getan, Deutschland ist nicht darunter. 
 
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