Morgens Journalist, abends Romancier
Nenad Popovic steht im Berliner Regierungsviertel und raucht. "Es war die erste Amtshandlung der neuen kroatischen Regierung, das Rauchen zu verbieten", sagt der Verleger und macht das als europäische Marotte aus. Wenn Brüssel-Europa die rauchfreie Zone ist, dann ist der Balkan wohl das Raucherzimmer Europas. Popovic schaut sich um im Regierungsviertel. "Eine Mischung aus Stalinismus und Hertie", ätzt der 58-Jährige. Unter dem Arm hält Popovic, einer der wichtigsten Verleger Kroatiens, eine Ausgabe des Mallorca-Magazins und mehrere übersetzte Exemplare der buchstarken Literaturzeitschrift "Fantom slobode" ("Phantom der Freiheit"). Auch er hat eine Geschichte in dem 1000-Seiten-Wälzer verfasst.
Über den unspektakulären Abschied von Slobodan Milosevic aus dieser Welt und sein Vermächtnis: "Das war ein Krieg, der nicht nur 200.000 Menschen das Leben gekostet, sondern auch 20 Millionen seelische Krüppel geschaffen hat." Für die aktuelle Situation in Serbien findet Popovic keine rechten Worte: "Belgrad, das war einmal die offenste Stadt Jugoslawiens, und jetzt?" Seit der Machtübernahme Milosevics vor über 20 Jahren seien die Serben eingesperrt, könnten nirgendwo mehr hin, wegen der Visa-Politik. "Und dann zünden sie Botschaften an", sagt Popovic. Er vergleicht Serbien mit Bürgerkriegsstaaten wie Angola oder Ruanda. Und Kosovo? Die Kosovo-Albaner seien malträtiert worden, und jetzt spreche man ihnen die Unabhängigkeit ab. Er schüttelt den Kopf. Da steht einer im tosenden Berliner Regierungsbetrieb und raucht. Einer, der etwas verloren hat: "Ich bin ein echter Jugoslawist", sagt er.
Nenad Popovic / Stephan Ozsvath, n-ost
Anfang der 90er Jahre gründete der Journalist und Übersetzer Nenad Popovic den "Durieux"-Verlag in Zagreb. In den Kriegsjahren wurde er zum wichtigsten Verleger für bosnische Schriftsteller. "Wir waren praktisch der wichtigste bosnische Literaturverlag", sagt Popovic. Dzevad Karahasan war einer der bosnischen Autoren, die er unter seine Fittiche nahm. Auch die als "Nestbeschmutzerin" angefeindete kroatische Autorin Slavenka Drakulic konnte bei ihm publizieren. Nach dem Zerfall Jugoslawiens, sagt Popovic, "ist auch ein Markt mit 17 Millionen Menschen zusammengebrochen". Kleine Auflagen, große Medienkonzerne. Aktuell werde sehr wenig gelesen in Kroatien. "Neue Autoren sind froh, wenn sie 300, 400 oder 600 Bücher verkaufen", sagt Popovic. Wegen des kleinen Marktes gebe es auch keine Taschenbuch-Reihen, sprich: Gute Bücher für wenig Geld. Gelesen würden sie durchaus.
Die Literaturbewegung FAK der 90er Jahre sei "ein Befreiungsschlag" gewesen. Damals wurde - das Markenzeichen der Bewegung - kroatische Literatur in Kneipen gelesen, auch in Serbien. Es gab viel Bier und als Zugabe Literatur. Kroatische Autoren wie Miro Gavran oder Ante Tomic hätten aktuell im Land eine sehr gute Resonanz. Und die könnten dann auch bis zu 7000 Exemplaren im Jahr verkaufen. "Das ist sehr viel für uns", sagt Popovic. Der einzige Autor , der es geschafft habe, sowohl vom "normalen" wie auch vom "klassischen" Literaturpublikum gerne gelesen zu werden, sei Miljenko Jergovic, erklärt der Verleger. "Das ist das große Beispiel" - und die große Ausnahme. Schuld an der insgesamt schwierigen Situation von Verlagen und Autoren seien Medienkonzerne wie die WAZ-Gruppe oder Styria, die alles aufkauften und Bücher billig am Kiosk verkauften - und zwar nicht einmalig als Zeitungsbeilage, sondern über Jahre, sagt der Verlagschef. "Ohne jeden Anstand", empört er sich. Für die Konzerne seien "Bücher an der Supermarkt-Kasse" ein Riesengeschäft, stellt Popovic fest. Die andere Seite der Medaille aus seiner Sicht: "Damit haben sie die literarischen Verlage, die Übersetzer und die Autoren ruiniert." Und nicht nur das. Viele Autoren müssten sich bei diesen Konzernen auch noch zu prekären Bedingungen verdingen. "Erst nachmittags werden diese ‚kroatischen Journalistenknechte' zu Romanciers" von WAZ-Verleger Bodo Hombachs Gnaden, schimpft Popovic.
Buchmesse Leipzig wichtiges Forum
Veranstaltungen wie die Leipziger Buchmesse seien deshalb wichtige Foren, um die jungen Autoren bekannt zu machen, sagt Popovic. Es sei gut für das Selbstbewusstsein der Schriftsteller, plötzlich im Rampenlicht zu stehen. "Das macht Spaß und das soll es auch", findet der Verleger. Allerdings verließen die Autoren damit nicht nur den Rahmen beschränkter Zirkel und Mini-Auflagen. "Die Buchmesse ist eine Stunde der Wahrheit", glaubt Popovic. "Denn die Autoren werden auch Kritiken hören. Und das ist wichtig für sie. Zu Hause mag einer sehr bekannt sein, aber das heißt noch lange nicht, dass er auch in Deutschland oder Frankreich ankommt." Das Wichtigste sei jedoch, einmal eine andere Luft zu atmen. "Denn viele unserer Schriftsteller leben in kleinen, beschränkten Milieus", so der Verleger. Ein Edo Popovic, eine Ivana Sajko, ein Miljenko Jergovic, ein Igor Stiks - sie alle verdienten es, wahrgenommen zu werden. "Kroatien hat einfach viel Geld investiert in seine Kultur, in seine Literatur", sagt Popovic, "und das ist gut so. Es muss nicht immer Fußball sein." In vielen aktuellen kroatischen Neuerscheinungen prangt der Hinweis. "Unterstützt vom Kulturministerium der Republik Kroatien". Und dieses Kroatien sei ein anderes Land als während der Ära Tudjman, sagt Popovic, es sei eine Demokratie. Obwohl er gut findet, "dass eine junge Generation präsentiert wird, die auch das hässliche Kroatien unter Tudjman erlebt hat", möchte er nicht, dass Kroatien nur durch die Tudjman-Brille wahrgenommen wird. Deutschland wolle ja auch mit Günter Grass in Verbindung gebracht werden statt nur mit Adolf Hitler.
Essayisten kommen zu kurz in Leipzig
"Allerdings", sagt Popovic und zeigt auf das dicke, rot leuchtende Exemplar der Literaturzeitschrift "Phantom der Freiheit", kämen die kroatischen Geistesgrößen, die Essayisten bei der Buchmesse in Leipzig zu kurz. Das Kroatien-Programm trage sehr deutlich die "Handschrift der Alida Bremer". Die Übersetzerin ist verantwortlich für den Länderschwerpunkt und die Auswahl der Autoren. Sie habe stark auf junge Autoren, auf Romanciers, auf Kurzgeschichten gesetzt, meint Popovic. "Es gibt aber auch andere Dimensionen der schriftlichen Kultur". Er meint damit vor allem die Kraft kroatischer Essays. Wenn er das Programm zusammengestellt hätte, hätte er "einige sehr wichtige Holocaust-Zeugnisse" gebracht. Er würde, sagte er, "ein grundlegendes Buch übersetzen lassen: ‚Die nationale Frage in Jugoslawien' von Ivo Banac. Oder das vielleicht wichtigste Buch über die Kultur des Krieges der 90er Jahre, von Ivo Zanic: ‚Die betrogene Geschichte' .
Überhaupt der Krieg. In vielen Texten, die jetzt erscheinen, ist er gegenwärtig. Die Aufarbeitung werde sicher noch "mindestens 50 Jahre dauern", glaubt Nenad Popovic. Denn "Leute haben sich wegen der ethnischen Zugehörigkeit sogar scheiden lassen". Diese Tendenz hatte es seiner Ansicht nach schon im Vielvölker-Staat Jugoslawien gegeben. "Die Kosovo-Albaner waren die ‚Neger' in Jugoslawien", sagt er. "Einen Albaner zum Mittagessen einzuladen - das wäre in den besseren Häusern von Belgrad, Zagreb und Ljubljana unmöglich gewesen." Jemand, der während des Krieges 18 oder 20 Jahre alt gewesen sei, habe all dies als "Bildungsgepäck" zu schultern. Popovics Fazit: "Diese Generation wird immer in irgendeiner Form über den Krieg schreiben. "Das ist letztlich Vergangenheitsbewältigung." Die sei allerdings in Südosteuropa schwieriger als hierzulande. Die aus dem zersplitterten Jugoslawien entstandenen Kleinstaaten machten jetzt ihre Gründerzeit durch, dazu gehöre viel Nachdenken und viel Trauma. "Wir müssen eine demokratische Gesellschaft aufbauen", resümiert der Kroate, "ohne Marshall-Plan oder Wiedervereinigungskredite". Dabei gibt es allerdings, so Nenad Popovic, ein entscheidendes Problem: "Aus einem Völkermörder wie Karadzic kann man eben keinen Gysi machen".