Ungarn

REFERENDUM GEGEN GYURCSÁNY

Ungarn stimmen am Sonntag über Krankenhaus- und Studiengebühren ab / Kampagne gegen Regierung (n-ost) - Viktor Orbán kann die magische Zahl herunterbeten: "Zwei-Millionen-Elftausend-Siebenhundert-Zweiundreißig" rattert der ungarische Oppositionsführer vor der Auslandspresse herunter. So viele Stimmen braucht "sein" Referendum gegen zentrale Reformprojekte der sozial-liberalen Regierung von Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány. Viktor Orbán, der ehemalige Ministerpräsident und Vorsitzende der größten Oppositionspartei Fidesz will die Praxis- und Krankenhausgebühr von 300 Forint, umgerechnet 1 Euro 20 kippen, und auch die Studiengebühr von umgerechnet 85 Euro, die zum Wintersemester eingeführt werden soll. Das Volk weiß der Rechtskonservative dabei hinter sich: Seit Wochen geht es auf die Straße. Die Gesundheitsreform und die verhassten Gebühren müssen weg, fordern die Demonstranten. Aber sie und allen voran Viktor Orbán wollen noch etwas anderes: "Gyurcsány, hau ab", heißt es immer öfter. Der sozialistische Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány soll zurücktreten. Dieser Ruf ist seit der so genannten "Lügenrede" Gyurcsánys vom Frühjahr 2006 Standardparole auf jeder Demonstration. Damals hatte der Sozialist vor Parteigenossen zugegeben, die Wähler vor dem Urnengang über den wahren Kassenstand Ungarns belogen zu haben. Das Land hat das höchste Defizit der EU, auch wenn es mittlerweile etwas aufwärts geht. Die Rede wurde der Presse zugespielt, es folgten verlorene Kommunalwahlen, Krawalle, Massendemonstrationen und ein dramatischer Absturz Gyurcsánys in den Sympathien der Bevölkerung. Unter anderem deshalb, weil die sozialliberale Regierung einen harten Reformkurs ankündigte. Gyurcsány und seine Gesundheitsministerin Àgnes Horváth von den Liberalen sind mittlerweile die meistgehassten Politiker Ungarns. Regierung und Opposition werben um die UngarnGyurcsánys Kontrahent Viktor Orbán bündelt den Frust der Wendeverlierer, Alten und Rechtsextremen. Offenbar mit Erfolg, denn laut Umfragen würden bis zu 39 Prozent der Ungarn ihn und seine Partei wählen. Die Sozialisten mit Gyurcsány an der Spitze sind in der Wählergunst rapide abgestürzt und dümpeln seit anderthalb Jahren bei 17 Prozent dahin. Und genauso lange stänkern Orbán und seine Partei gegen die Regierung. Orbán sagt: "Diese Regierung ist illegtim." Geschlossen verlässt seine Fidesz-Fraktion den Saal, wenn Gyurcsány Grundsatzreden im Parlament hält. Vor dem Referendum hat sich Viktor Orbán völlig verausgabt und tourte wochenlang durch Ungarn. Eine Veranstaltung jagte die nächste, fast wie im Wahlkampf. Orbáns Motiv ist klar: Er will seine Landsleute dazu bewegen, an der Volksabstimmung teilzunehmen. Sein Kalkül ist: Je mehr Leute ihr Votum abgeben, desto größer ist die Chance für einen Erfolg der Volksabstimmung, die er zur Chefsache erklärt hat. Es ist sein Projekt. Er würde am meisten profitieren. Die Regierung hingegen fährt eine andere Strategie. Sie appelliert an die Ungarn, zu Hause zu bleiben und versucht, den politischen Gegner und sein Anliegen zu diskreditieren. Auf rot-gelbem Grund schaut der Ministerpräsident im "Gyurcsány-Blog" auf die Internet-Nutzer. Nachdenkliche Pose, Kinn auf die Hand gestützt, daneben ein Plakat aus guten alten sozialistischen Zeiten: Eine junge Frau in Kopf-Tuch und Arbeitsdress hat die Ärmel hochgekrempelt und zeigt ihren Bizeps - und es wirkt wie eine Drohung in Richtung Fidesz."Zauberer oder Betrüger?", fragt der sozialistische Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány im Blog und gibt die Antwort selbst. "Der Unterschied", belehrt der Regierungschef seine Bürger, "ist, dass der Zauberer Tricks ankündigt, während der Betrüger behauptet, die Wahrheit zu sagen." Die Botschaft des "Lügenredners" lautet: Ich bin zwar Pinocchio, aber die Nase von Orbán ist länger. Dieser sei nur "auf seinen eigenen Vorteil aus". Das Philosophieren über Gegensätze gipfelt in der Feststellung, dass sich die "größte ungarische Oppositionspartei des permanenten Betrugs schuldig" mache, so der umstrittene Premier. Für alle Fälle hat Gyurcsány aber bereits sein Kabinett umgebildet. Im Februar hat er Justizminister Albert Takács entlassen und durch seinen Vertrauten Tibor Draskovics ersetzt, der schon einmal Finanzminister war, dann aber von Gyurcsány selbst an die Luft gesetzt wurde. Die Rochade begründete der Regierungschef damit, dass er einen "starken Mann" an seiner Seite brauche, der die öffentliche Ordnung im Griff habe. Bei den gewalttätigen Demonstrationen der vergangenen anderthalb Jahre war genau das nicht der Fall. Die Polizei reagierte entweder zu spät oder knüppelte brutal auf Demonstranten ein. In Budapest wird nun befürchtet, dass es bei einem erfolgreichen Referendum am Nationalfeiertag, dem 15. März, zu ähnlichen Szenen kommen könnte wie vor einem Jahr. Damals brannten Barrikaden vor der Oper und die Polizei lieferte sich stundenlange Straßenschlachten mit jugendlichen Randalierern. ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 30 83 11 87


Weitere Artikel