Wein statt Wodka
Malgorzata Krojcig schwenkt kreisartig das Weinglas in der Luft. Verführerisch glänzt die tiefrote Flüssigkeit im Gegenlicht. Die Winzerin atmet das Aroma ein, nimmt einen kleinen Schluck, schließlich lächelt sie:„Richtig gut.“ In ihrem Glas ist ein Pinot Noir 2008. „Ein guter Jahrgang. Soviel Sonne wie damals würde man sich immer wünschen.“ Malgorzata Krojcig wirft einen hoffnungsvollen Blick durch das Fenster auf den Berghang. In der Sonne reifen die Trauben. Weiter unten erstrecken sich Wiesen, man sieht die Dächer der Stadt Zielona Gora, Grünberg.
Malgorzata Krojcig, ihr Mann und ihre Eltern sind Winzer mit Leib und Seele. Bereits seit 2005 ist Polen, das bisher eher mit Bier oder Wodka assoziiert wird, ein von der EU offiziell anerkanntes Weinland. Die Gründung neuer Betriebe wird wie in Deutschland, Österreich oder Frankreich seitdem mit Brüsseler Geldern gefördert. Doch schon seit der Wende entstehen viele neue Weinberge: In Kleinpolen an der Tatra, den Vorkarpaten im Südosten, sowie in Niederschlesien rund um Breslau. Sogar in den nördlichen Masuren werden neuerdings Trauben angebaut. Im Lebuserland, wo sich die Krojcigs etwa 90 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt angesiedelt haben, gibt es mehrere Dutzend Winzer.
Die Region östlich der Oder, die vor dem Krieg zu Deutschland gehörte, blickt bereits auf eine 1.000-jährige Weintradition zurück. Vor 200 Jahren wuchsen dort auf 1.400 Hektar die Rebstöcke. Aus den heimischen Trauben stellte die Firma Grempler & Co. im Jahr 1826 den ersten deutschen Sekt her. die Meinungen über den Lebuser Tropfen gingen damals allerdings auseinander: Lange Zeit trug er den Beinamen „Strumpfwein“, weil sich wegen des sauren Geschmacks angeblich sogar die Strumpflöcher zusammenziehen würden. Nach dem Zweiten Weltkrieg war dann Schluss mit dem Weinbau im polnischen Lebuserland. Im Kommunismus war „Grünberger Wein“ ein süßer Obstcocktail aus den heimischen Kirschbäumen.
Riesling, Pinot Noir, Saint Laurent: Heute schimmern wieder tausende Trauben in der Sonne auf „Stara Winna Gora“, dem „Alten Weingut“ im Lebuserland. 1995 kaufte die Familie das alte Gut, ursprünglich, um Pferde und Kirschbäume zu züchten. Beim Unkrautjäten fand Marek Krojcig ein paar verwilderten Weinreben. Er stützte sie ab, und nach einem Jahr erntete er schmackhafte Trauben. Krojcig setzte einige neue Pflanzen an, danach noch weitere. Bald steckte sich die ganze Familie mit dem Wein-Bazillus an. Sie besuchte Lehrgänge in Deutschland und Spanien, experimentierte mit verschiedenen Sorten. Nur kopieren wollen sie die etablierten Sorten aber nicht. „Wein erzählt eine Geschichte. In jedem Tropfen steckt ein Teil von uns, unsere Träume und Gefühle”, sagt Malgorzata Krojcig.
Mehrere Hundert Winzer gibt es zurzeit in Polen, die jedoch insgesamt nur auf knapp 500 Hektar Wein anbauen. Die Fläche ist zwar verschwindend gering gegenüber Österreich mit 45.000 oder gar Deutschland mit über 100.000 Hektar. Doch sie ist in den vergangenen acht Jahren um das Fünffache gewachsen – Tendenz steigend.
Die Krojcigs betreiben mit ihren sechs Hektar das zweitgrößte Weingut im Lebuserland. Für die meisten Winzer in der Region ist der Weinbau eher noch Hobby als Beruf. Denn verdienen kann man mit den polnischen Reben noch nicht viel. Auch Marek Krojcig finanziert den Weinbau durch die Einkünfte seiner Firma, die Schaumstoff produziert. Im familieneigenen Restaurant bewirtet die Familie ihre Gäste mit dem heimischen Wein.
Hinzu kommt: In Polen ist die Weinherstellung teuer. Vor allem die Bürokratie macht der Familie zu schaffen. Man braucht etliche Erlaubnisse und Konzessionen, muss Gebühren bezahlen, um überhaupt Wein produzieren zu dürfen. Das überträgt sich auf den Preis. Zwischen umgerechnet neun und dreizehn Euro kostet eine Flasche bei den Krojcigs.
Im vorigen Jahr produzierte die Familie ca. 6.000 Flaschen. Vor allem Riesling gelingt im Lebuserland, besser als Rotwein. Zusätzlich gibt es Rosé und roten Rondo und Regent, beides Mareks Spezialitäten. Einige Flaschen hat die Familie in diesem Jahr zum ersten Mal an Touristen und Einheimische verkauft. Eine Neuerung, denn bisher durfte polnischer Wein nicht vertrieben werden. Sogar auf dem jährlichen Weinfestival in Grünberg gab es bislang nur Importwein. Das lag an den strengen Vorschriften und fast unüberwindbaren Formalitäten: Um den polnischen Wein auf den Markt zu bringen, waren Genehmigungen von fast 40 Ämtern nötig, jeder Betrieb musste zudem ein eigenes Labor vorweisen. Dann lockerte die Regierung die Vorschriften. Etwa 30 polnische Winzer besitzen nun die ersehnte Zulassung für den Verkauf.
Im Laden können sich die Krojcigs ihren Wein aber nicht vorstellen. Man solle ihn dort kosten, wo man die Reben wachsen und reifen sieht, findet Malgorzata. Gemeinsam mit anderen Winzern legte die Familie eine Route an, „den Wein- und Honigweg“, auf dem Touristen von Gut zu Gut fahren können. „Die unterschiedlichen Noten zu erleben, das macht richtig Spaß“, sagt Malgorzata.
Ein deutscher Gast sitzt im gemütlichen, holzgetäfelten Restaurant „Alter Weinberg“, vor sich ein Glas Lebuser Riesling. Mit solch einem Wein hätte er in Polen nicht gerechnet: „Der rote war in Ordnung, der weiße schmeckt richtig gut“, sagt er. „Ich hätte ihn von deutschem Riesling nicht unterscheiden können.“ Aber auch immer mehr Einheimische besuchen das Gut. „Oft haben sie Tränen in Augen. Sie sagen, es ist schön, dass wir an die Tradition anknüpfen“, sagt Malgorzata. „In solchen Momenten wissen wir, dass wir die richtige Entscheidung getroffen haben.“