Kosovo

Euphorie auf den Straßen Pristinas

Jahre, wenn nicht Jahrzehnte haben die Albaner im Kosovo auf diesen Tag gewartet, den Tag an dem Kosovo ein eigener Staat werden würde. Manche glaubten bis zum Schluss nicht daran. Zu oft waren Erwartungen geweckt worden, bis zuletzt hatte sich Kosovos Premierminister Hashim Thaci geziert, den genauen Termin bekannt zu geben.

Die meisten Kosovaren aber waren vorbereitet. Die Hauptstadt des 47. Staates Europas, Pristina, glänzte wie noch nie. Ganze Schulklassen meldeten sich freiwillig, um den Müll aufzulesen. Es gab kein Haus, an dem nicht die albanische Flagge wehte, der schwarze doppelköpfige Adler auf rotem Grund - bis zur Unabhängigkeit wurde geheim gehalten, wie die neue kosovarische Flagge aussieht. In den Modeboutiquen der Stadt waren die Schaufensterpuppen schwarz-rot angezogen. Und das Feiern begann für viele schon am Samstagabend, bei minus acht Grad tanzten die Menschen auf den Straßen.

Von überall her sind Exilkosovaren in die Heimat zurückgekehrt. Der 35-jährige Feta Rashiti aus dem baden-württembergischen Kehl hat sich drei Wochen Urlaub genommen, um am "schönsten Tag meines Lebens" in Pristina sein zu können. Obwohl er seit mehr als 13 Jahren in Kehl lebt, dort im Gegensatz zu Pristina viele Menschen auf der Straße kennt und inzwischen ebenso gut deutsch und französisch wie albanisch spricht, fühlt er sich doch zur Hälfte immer noch als Kosovare. Er fühlt sich beiden Ländern so verbunden, dass er neben der deutschen am liebsten auch die neue kosovarische Staatsbürgerschaft annehmen würde.

Am Tag der Unabhängigkeit lag eine kaum erträgliche Spannung in der Luft: eine Mischung aus Vorfreude und schlimmen Erinnerungen. Viele dachten an diesem Tag an das zurück, was sie vor knapp einem Jahrzehnt erlebt haben, als Serben und Albaner im Kosovo Krieg gegeneinander führten. Erst seit Sonntag haben sie das Gefühl, dass ein neues Kapitel in ihrem Leben beginnt und der Krieg endlich der Vergangenheit angehört. 

Bevor der 30-jährige Hili Nrecaj sich unter die Menschen auf den Straßen Pristinas mischte, verfolgte er die Bilder, die das Fernsehen den ganzen Vormittag über ausstrahlt: Flugzeuge, Raketen und monströse Explosionen aus dem NATO-Krieg gegen Serbien, jubelnde Menschen, die die in das Kosovo einrückenden NATO-Soldaten begrüßen, und Menschen, die als erste in das verwüstete Pristina zurückkehren.

Hili war unter ihnen. Er wollte so schnell es ging in sein Haus im Kosovo zurückkehren. "Seit 1999 hat sich die Stadt grundlegend verändert", sagt er. Tatsächlich lassen sich heute nur wenige Spuren im Stadtbild entdecken, die an den Krieg erinnern. Pristina boomt, in unglaublichem Tempo werden große Häuser gebaut, und Geschäfte, Banken, Cafés und Clubs eröffnet.

Durch das Zentrum der Stadt schoben sich am Sonntag den ganzen Tag zehntausende feiernde Menschen. Sie prosteten sich mit dem von der kosovarischen Brauerrei Peja gespendeten Freibier zu und versuchten, ein Stück des 25 Quadratmeter großen Kuchens zu ergattern, den das Café Fellini zur Stärkung des neuen Staates gebacken hatte. Viele trugen das speziell für diesen Tag gedruckte T-shirt mit der Aufschrift: "Jetzt habe ich einen Staat".

Alle bekannten Sänger des Kosovo traten bei einem Konzert in der Innenstadt auf. Und der Präsident des Kosovos, Fatmir Sejdu weiht das Denkmal zur Unabhängigkeit ein: meterhohe Buchstaben, die das Wort "Newborn" bilden. Schon nach wenigen Stunden hat sich ein Großteil der vorbeiströmenden Menschen darauf verewigt. Wohin man auch schaut - nur strahlende, euphorische Gesichter.

Die 23-jährige Vali Qollaku meint, sie könne ihre Gefühle gar nicht in Worte fassen, es sei wie Fliegen. Sie verbindet dies, wie viele in diesen Tagen, mit sehr versöhnlichen Worten. Für Kosovo sei es wichtig, dass man jetzt nicht mehr auf das zurückblicke, was die Serben den Kosovo-Albanern angetan hätten. Vielmehr müssten Serben und Kosovaren jetzt in die Zukunft schauen und gemeinsam Hand anlegen, um für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes zu sorgen.

Auf dem neu eingeweihten Denkmal zur Unabhängigkeit des Kosovos "Newborn" verewigen sich die Menschen Pristinas.Dass noch harte Arbeit bevorsteht, bestätigt Shkelzen Hadri. Der 40-Jährige ist aus England gekommen, um in seinem früheren Zuhause die Unabhängigkeit mitzufeiern. Er zieht einen Vergleich zu den Nachkriegsjahren in Deutschland, als die Menschen fünf Jahre lang von nichts als Kartoffel gelebt und trotzdem die Kraft gefunden hätten, ihr Land wieder aufzubauen. Dies müsse auch im Kosovo möglich sein, meint er. 

Nach dem großen Feuerwerk kurz vor Mitternacht leerten sich Pristinas Straßen. Vor allem die Jüngeren zog es in die Cafés und Clubs der Stadt. Dort hakten sie sich ein und tanzten zu alten albanischen Hochzeitsliedern. Später wurde elektronische Musik aufgelegt. Die Bilder aus Serbien erreichen sie erst am nächsten Tag: Dort ist es inzwischen zu Ausschreitungen zwischen Demonstranten und der Polizei vor der amerikanischen Botschaft gekommen.


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