Aufruhr auf dem Balkan
Eine ganz große Party wird am Sonntag in Pristina erwartet. Hotels und Flüge sind schon seit Wochen ausgebucht. Die Regierung hat ausreichend Strom gekauft, wenigstens für ein paar Tage soll der Kosovo von Stromausfällen verschont bleiben. Das Philharmonie-Orchester probt Beethovens "Ode an die Freude", die Hymne der Europäischen Union, und die noch streng geheime neue Fahne ist im Druck.
Die Kosovo-Albaner, die 90 Prozent der kosovarischen Bevölkerung stellen, wollen sich mit der Ausrufung der Unabhängigkeit endgültig der Kontrolle der Regierung in Belgrad entziehen. Die 90er Jahre mit dem von den Serben errichteten Repressionsregime und die massenhafte Vertreibung aus dem Kosovo haben sie noch sehr klar in Erinnerung.
Die 14-monatigen Verhandlungen zwischen Serben und Albanern, die erst vom UNO-Sonderbeauftragten Martti Ahtisaari, später von einer Troika aus je einem Vertreter der EU, USA und Russland geführt wurden, haben zu keiner Einigung über den zukünftige Status des Kosovos geführt. Auf kosovo-albanischer Seite wollte niemand von einer überwachten Unabhängigkeit abrücken. Zu präsent sind die Erfahrungen mit der Regierung in Belgrad und zu sicher konnte man sich der Unterstützung der Amerikaner sein, die sich frühzeitig auf die Seite der Albaner gestellt hatten.
Wenig oder keine Beachtung haben die Kosovo-Albaner hingegen den mit einer Unabhängigkeit verbundenen Problemen geschenkt: den Spannungen zwischen den EU-Staaten über die Kosovo-Frage, den noch größeren Differenzen zwischen der EU und Russland und schließlich dem völkerrechtlichen Problem, dass die territoriale Integrität eines Landes verletzt und damit ein Präzedenzfall geschaffen würde, über den auch die historische Einzigartigkeit des Kosovo nicht hinwegtäuschen kann.
Mit der Erklärung der Unabhängigkeit wollen die Kosovo-Albaner aber nicht nur eine größere Selbstbestimmung gegenüber den Serben erreichen, sondern auch gegenüber der internationalen Gemeinschaft. Nach 1999 konnten die Kosovaren ihre Provinz nicht selber regieren, die Regierung wurde von einer UNO-Verwaltung übernommen. Diese fremde Verwaltung wurde als uneffizient und korrupt wahrgenommen. In der Bevölkerung hat das zu Passivität geführt.
Dies würde sich mit der Unabhängigkeit ändern, weil zeitgleich die UNO-Verwaltung durch eine wesentlich kleinere und lediglich "überwachende" EU-Mission (EULEX) aus Polizisten, Richtern und Verwaltungsbeamten ersetzt werden soll. Die Erwartungen an den historischen Moment am Wochenende sind also groß, vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht. Viele Menschen gehen davon aus, dass eine klare Rechtslage automatisch Investoren anlocken und Arbeitsplätze schaffen würde.
Dabei übersehen sie, dass die Wirtschaft im Land vor allem deshalb daniederliegt, weil das Bildungssystem und die Infrastruktur im Kosovo sich auch im Vergleich zu anderen südosteuropäischen Staaten in einem sehr schlechten Zustand befinden. Was nach dem Ausruf der Unabhängigkeit in Serbien geschieht, ist ebenso ungewiss. Boris Tadic, vor zwei Wochen dank seines Pro-Europa-Wahlkampfs siegreich aus den Präsidentschaftswahlen hervorgegangen, hat sich wieder ganz der nationalistischen Rhetorik verschrieben. So hat er nicht ernsthaft protestiert, als Ministerpräsident Vojislav Kostunica seine Unterschrift unter ein Abkommen mit der EU über Visa-Erleichterungen und engere Wirtschaftsbeziehungen verweigerte. Stattdessen suchte Tadic den Schulterschluss mit Kostunica als es darum ging, die serbische Reaktion auf die Ankündigung der Unabhängigkeit zu planen.
Innenpolitisch wird in Serbien erwogen, den Ausnahmezustand zu verhängen sowie Bürger- und Presserechte einzuschränken. Nach außen nimmt die Rhetorik serbischer Politiker zunehmend schrillere Töne an. Außenminister Vuk Jeremic teilte in einer Stellungnahme der serbischen UN-Botschaft mit: "Wir werden die Unabhängigkeit Kosovos niemals anerkennen. Nicht jetzt. Nicht in einem Jahr. Nicht in einem Jahrzehnt. Niemals. Kosovo und Metohija sollen für immer ein Teil von Serbien sein."
Ministerpräsident Vojislav Kostunica forderte in einem Interview der Tageszeitung Glas Javonosti dazu auf "alle Formen des albanischen Separatismus ein für allemal zu beenden".Für den wenig aussichtsreichen Kampf um die seit einem knappen Jahrzehnt nicht mehr von Serbien kontrollierte Provinz nimmt die serbische Regierung hohe volkswirtschaftliche Kosten in Kauf.
Zum Beispiel hätte der jüngste Verkauf der serbischen Ölraffinerie Nis an Russland für 500 Millionen Euro dem Land nach Meinung von Experten eigentlich rund zwei Milliarden Euro einbringen müssen - eine kostspielige Dankbarkeit für Russlands Loyalität in Sachen Kosovo. Auch durch die fortwährende Verzögerung von Beitrittsverhandlungen mit der EU gehen Serbien jährlich rund eine Milliarde Euro verloren. Und so lange Serbien auf Kosovo als Teil seines Territoriums dringt, muss es die Zinsen für die Schulden der Provinz tragen.
Der Konflikt über den zukünftigen Kurs Serbiens ist inzwischen auch auf der Straße angekommen. Am Montag demonstrierten mehrere Tausend Anhänger für die Annährung Serbiens an Europa und gegen ihren Ministerpräsidenten Kostunica. Sie forderten seine Abwahl. Er sei nichts anderes als ein Milosovic im Schafsfell.
Die Gegenbewegung dazu macht sich für den Verbleib Kosovos in Serbien stark. Sie läuft unter dem Namen 1389. Ihre Referenz für das heutige Serbien liegt über 600 Jahre zurück. Das Jahr 1389 beendete die Blütezeit des serbischen Königreiches. In der Schlacht auf dem Amselfeld im Kosovo besiegten die vorrückenden Osmanen das serbisch-bulgarische Heer. Pointierter als mit dieser Zahl, die in Belgrad inzwischen an viele Hauswände gesprüht ist, lässt sich serbische Realitätsferne nicht zum Ausdruck bringen: Es ist ein alter Traum von Großserbien, der seinen Anhängern immer noch realisierbar und nur durch den Verlust des Kosovos gefährdet erscheint.
Derweil liegt der überwiegend von Serben besiedelte Norden des Kosovos in idyllischem Spätwinterlicht. Auf diese Region schaut die internationale Gemeinschaft mit größter Sorge, ob Serben und Albaner ein friedliches Auskommen finden. Zumindest äußerlich ist hier von einem Konflikt jedenfalls nichts zu spüren. Kein Militär weit und breit, nur Bauern, die auf ihren Feldern die Stoppeln abbrennen, Kinder beim Fußballtraining und Männer, die ihre Angeln in einen trüben Fluss werfen.