Moskautreue gegen Westler
Am 19. Februar wird in Armenien ein neuer Präsident gewählt. Neun armenische Politiker werden offiziell um das höchste politische Amt des Landes kämpfen. Tatsächlich aber findet der Kampf allein zwischen dem Ex-Präsidenten Armeniens, Lewon Ter-Petrosjan, und dem amtierenden Ministerpräsidenten und Vorsitzenden der Republikanischen Partei, Serg Sarkisjan, statt. Die meisten der anderen Kandidaten gehören zu oppositionellen Parteien. Wieder einmal ist es der armenischen Opposition nicht gelungen, mit einem gemeinsamen Kandidaten in die Wahl zu gehen. Obwohl noch nicht ausgeschlossen ist, dass sie sich auf Ter-Petrosjan als gemeinsamen Kandidaten verständigen.
Wie vor der letzten Parlamentswahl im Mai 2007 wird auch diese Wahlkampagne in Armenien von Gewalt begleitet. Mehrmals wurden die Wahlbüros der oppositionellen Kandidaten und ihre Anhänger überfallen. Einmal wurde selbst das Wahlbüro Sarkisjans unter Beschuss genommen. Auch einen Brand im Justizministerium und im Gebäude, in dem mehrere Nachrichtenagenturen Armeniens sitzen, bezeichnete das oppositionelle Lager als eine Provokation durch die Machthaber. Die Opposition übt außerdem heftige Kritik an der jüngsten Änderung der Wahlgesetze. Demnach dürfen armenische Staatsangehörige, die sich im Ausland aufhalten, nicht mehr an Wahlen teilnehmen. Darüber hinaus wirft sie Sarkisjan vor, für seinen Wahlkampf im Fernsehen eine wesentlich längere Sendezeit in Anspruch zu nehmen, als sie den Kandidaten der Opposition zur Verfügung stehe.
Vertreter der OSZE, die den Wahlkampf beobachten, kommen zu der gleichen Meinung. Sie bezeichnen die Wahlkampagne Sarkisjans im Verhältnis zu anderen Wahlkandidaten als "unangemessen". Die Rückkehr des ersten Präsidenten Armeniens Ter-Petrosjan in die Politik war ein wichtiges Ereignis im politischen Leben Armeniens. Erst am 26. Oktober letzten Jahres gab Ter-Petrosjan, während einer großen Kundgebung in Eriwan, seine Kandidatur für die kommende Präsidentschaftswahl bekannt.
Die Partei Armenische Gesamtnationale Bewegung (AGB) hatte jedoch schon während der vorigen Parlamentswahl eine mögliche Rückkehr ihres ehemaligen Führers in die Politik angedeutet. Bevor er 1991 zum Präsidenten gewählt wurde, hatte Ter-Petrosjan schon seit 1990 als Vorsitzender des Parlaments das Land regiert. 1996 wurde er zum zweiten Mal zum Präsidenten gewählt, sah sich aber gezwungen, im Februar 1998 seine Amtsgeschäfte niederzulegen. Ursache dafür war seine Kompromissbereitschaft im Konflikt um die abtrünnige Region Berg-Karabach, die mehrheitlich von Armeniern besiedelt ist. Seine Position in dem Konflikt wurde allerdings vom damaligen Ministerpräsidenten Robert Kotscharjan und der Mehrheit der Parlamentarier nicht akzeptiert.
Während der letzten Kundgebung im Wahlkampf am 6. Februar übte der Ex-Präsident scharfe Kritik an der amtierenden Regierung des Landes und beschuldigte sie der Korruption, der Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal Armeniens und der Ausbeutung seiner Reichtümer. Er nannte die Regierung ein "räuberisches Regime", von dem man sich endlich befreien müsse. Ter-Petrosjan zufolge sollte sich Armenien möglichst mit Aserbaidschan und der Türkei verständigen und damit die Zukunft des Landes retten. Diese Rückkehr Ter-Petrosjans in die Politik bedeutete einen Wendepunkt für die armenische Opposition, die in letzter Zeit sehr geschwächt war.
Immer öfter begann man im Land wieder über eine mögliche "orange Revolution" zu sprechen, deren Ausbruch in den vergangenen Jahren in der Luft gelegen hatte. Die Regierung reagierte schnell und erklärte eine solche Revolution in Armenien für unsinnig: Das armenisches Volk sollte wissen, welch schwerwiegende Folgen diese Revolutionen in anderen postsowjetischen Republiken hätten. Mit zunehmender Popularität des ersten Präsidenten Armeniens versuchte die Regierung immer wieder, die Jahre, in denen Ter-Petrosjan das Land regierte, als "die schwierigsten und unglücklichsten" seiner jüngeren Geschichte darzustellen.
Im Interview mit der Zeitung "Stimme Armeniens" beschuldigte der amtierende Präsident des Landes, Robert Kotscharjan, Ter-Petrosjan diverse Kompromisse mit "Feinden des armenischen Volkes" geschlossen zu haben. "Die Armenische Gesamtnationale Bewegung kam auf der Welle der Bewegung um Berg-Karabach an die Macht und verriet es später, weil ihnen die nationale Ideologie fremd ist", sagte Kotscharjan. "Sie sind bereit, auch den Völkermord an Armeniern in der osmanischen Türkei Anfang des 20. Jahrhunderts zu vergessen und Armenien zum Anhängsel der Türkei zu machen." Während der Amtsperiode Ter-Petrosjans habe Armenien eine defätistische Position eingenommen und es habe viel Mühe gekostet, deren Folgen zu neutralisieren. ür Kotscharjan steht außer Frage, dass Gegenkandidat Sarkisjan der nächste Präsident Armeniens wird. Viele politische Experten vermuten, dass ein Machtwechsel in Armenien auch im Interesse der USA liege. In der komplizierten geostrategischen und politischen Situation im Südkaukasus und in der kaspischen Region wollten die USA dort mehr Einfluss gewinnen.
Zwei Faktoren, die mit der derzeitigen politischen Entwicklung Armeniens verbunden sind, beunruhigen die USA. Da ist zunächst die politische und wirtschaftliche Abhängigkeit Armeniens von Moskau. Nachdem die aus Georgien abgezogenen russischen Truppen in Armenien stationiert wurden, wuchs der Einfluss Moskaus in diesem südkaukasischen Land erheblich. Auch bei der Bewältigung seiner Energieprobleme ist Armenien auf Russland angewiesen.
Dazu kommt das enge Verhältnis Eriwans zu Teheran. Der russischen Nachrichtenagentur Regnum zufolge, sagte der Interims-Bevollmächtigte der USA in Armenien, Anthony Godfrey, mit Bezug auf bestehende und geplante Energieprojekte zwischen Armenien und Iran: "Wir sind durch die Verstärkung der Verbindung Armeniens mit dem Iran sehr beunruhigt". Die armenische Regierung hat schon immer gute Beziehungen zum Iran und zu Russland unterhalten. Der derzeitige Premier Serg Sarkisjan wird, wie sein Vorgänger Kotscharjan, mit großer Wahrscheinlichkeit dessen moskautreue und iranfreundliche Politik fortführen, sollte er zum Präsidenten gewählt werden.
Allerdings genießen Kotscharjan und seine Anhänger schon lange keine große Popularität mehr in Armenien. Die Bevölkerung gibt nämlich ihrer Regierung die Schuld an der im Land herrschenden Armut, Korruption und Arbeitslosigkeit. Dies alles könnte den Machtwechsel im Land begünstigen. Als prowestlicher Politiker mit demokratischem Image könnte Ter-Petrosjan mit Unterstützung der USA und der EU rechnen. Andererseits darf man die armenische Diaspora im Ausland nicht vergessen, die großen Einfluss sowohl auf die Politik in den USA und Frankreich als auch auf die armenische Öffentlichkeit hat. Für diese Diaspora waren die Kompromisse Ter-Petrosjans immer inakzeptabel. Ihre Vertreter dürften sich also eher dafür einsetzen, dass Ter-Petrosjan nicht wieder zum Präsidenten Armeniens gewählt wird.
Die Tatsache, dass Ter-Petrosjan sich am 7. Februar mit Klagen über die "nicht zu bewältigenden Barrieren in seiner Wahlkampagne" ans Verfassungsgericht wandte, um den Termin für die Wahl zu verschieben, könnte ein Zeichen dafür sein, dass er selbst schon nicht mehr so recht an einen Wahlsieg glaubt. Es dürfte nicht nur für Moskau und Washington von großer Bedeutung sein, wer die bevorstehende Wahl in Armenien gewinnt, sondern auch für die Nachbarn dieses Landes. Der Wahlsieger wird nicht nur die Politik Armeniens in den nächsten Jahren bestimmen. Er wird viele schicksalhafte Entscheidungen treffen müssen, die auch für die benachbarten Länder Armeniens von großer Bedeutung sein werden.