Kosovo

Freudenfeuer mit scharfer Munition?

Wenn am kommenden Wochenende, wie allgemein erwartet wird, die kosovarische Regierung einseitig die Unabhängigkeit des Kosovo von Serbien proklamiert, kommt das seit 1999 geltende UN-Mandat für die Provinz praktisch zum Erliegen. Mit dem Abzug der ungeliebten UN-Behörde tritt die EU ihre Oberaufsicht über den jungen, zunächst "bedingt unabhängigen" Staat an.

Premierminister Hashim Thaçi und andere führende kosovarische Politiker werden nicht müde zu betonen, sie seien auf die Unabhängigkeit vorbereitet. Die neue Fahne soll zusammen mit der Proklamation des kosovarischen Staates vorgestellt werden. Das Philharmonische Orchester probt anstelle einer später einzuführenden Hymne Beethovens "Ode an die Freude", die Hymne der Europäischen Union. Die kosovarische Regierung hat für die bevorstehenden Feierlichkeiten eine Million Euro Sondermittel bereitgestellt. Gerüchte machen die Runde, das gesamte Kosovo könnte Anfang der Woche ein bis zwei Tage arbeits- und schulfrei bekommen.

Dabei steht bislang noch nicht einmal fest, ob die Unabhängigkeit am Sonntag oder vielleicht doch schon am Samstag proklamiert werden soll. Vermutungen verbreiten sich und werden durch neue abgelöst, die Presse spekuliert kräftig mit. Eine verbindliche Verlautbarung der Regierung gibt es bisher nicht.

Das Architektenpaar Ali und Pranvera Muriqi hat sich rechtzeitig eine albanische Fahne zum Schwenken gekauft. Nicht die kosovarische Fahne - die wird erst mit der Proklamation der Unabhängigkeit vorgestellt - sondern den schwarzen Doppeladler auf rotem Grund. "Ich bin Albanerin", sagt Pranvera, "ich feiere mit der albanischen Fahne!" Sie wird am Wochenende mit der ganzen Familie auf der Straße flanieren und allen Bekannten zur gemeinsam errungenen Unabhängigkeit gratulieren. Alle drei Kinder sind erst nach dem Krieg von 1999 geboren. "Obwohl wir mit Hilfe der Amerikaner den Krieg gegen die Serben gewonnen haben, mussten wir noch fast neun Jahre warten, bis unser damaliges Ziel Wirklichkeit wurde. Unsere Kinder werden in einem unabhängigen Kosovo aufwachsen", meint Pranvera.

Der Autowäscher Lulzim Osdautaj freut sich auf die Unabhängigkeit. "So lange hat man uns hingehalten, jetzt gibt es wirklich keinen Grund mehr zu warten. Was sollen uns die Serben noch tun?" Zum Schutz vor militärischen Aktionen bleibe ja die internationale Schutztruppe KFOR noch auf Jahre hinweg im Land. Eventuelle Wirtschaftssanktionen von Seiten Belgrads würden wohl die Serben härter treffen als die Kosovaren, meint er. "Nur wenn die Serben uns das Wasser abdrehen, ist das schlecht fürs Geschäft", meint er.

Die nördliche Demarkationslinie, die künftige Grenze zu Serbien, verläuft mitten durch den Gazivode-Stausee, ein wichtiges Wasserreservoir. Es fehlt an Wasser, denn im vergangenen Winter ist zu wenig Schnee gefallen. Was, wenn die Serben das Ablaufrohr blockieren? "Eigentlich brauchen wir dringend Regen", meint Lulzim. "Aber für den Unabhängigkeitstag wünsche ich mir natürlich sonniges Wetter." Viele Albaner werden am Wochenende auf den Straßen feiern. Die kosovarische Polizei bereitet sich auf alle Eventualitäten vor - auch auf Übergriffe. "Wir sind darauf vorbereitet, Menschen, Eigentum und kulturelles Erbe zu schützen", sagt Veton Elshani, Sprecher der kosovarischen Polizei.

Die Polizei hat aus den Ereignissen im März 2004 gelernt. Damals hatte sich der lange aufgestaute Frust der Albaner in gewaltsamen Übergriffen auf die serbische Bevölkerung, ihre Häuser, Kirchen und Klöster entladen. KFOR und Polizei waren auf die buschfeuerartige Entwicklung der Gewalt nicht vorbereitet, zu der offenbar per Handy-Nachrichten aufgerufen wurde. Zehntausende Serben verließen damals das Land, unersetzliche Kulturgüter wurden zerstört. "Wir haben unsere Lektion aus dem März 2004 gelernt. Zusammen mit der internationalen UNMIK-Polizei haben wir uns im Rahmen der ‚Operation Status' auf alles vorbereitet", so Elshani. Und die Gerüchteküche steuert die Drohung bei, notfalls werde das Mobiltelefonnetz lahmgelegt. Die Mitarbeiter mancher internationalen Organisationen wurden angewiesen, ihre eigens ausgeteilten Funkgeräte bereit zu halten.

Und was ist mit der albanischen Tradition, zu feierlichen Anlässen Salutschüsse in die Luft abzugeben? Waffen zu tragen hat auf dem Westbalkan Tradition. Keine ländliche Hochzeit, kein Neujahrsfest im Kosovo ohne Salutschüsse. Aber das Freudenfeuer kann rasch in sein Gegenteil umschlagen. Im Frühjahr 2006 zum Beispiel war eine Gruppe britischer Touristen von Belgrad aus mit einem Mietwagen im Kosovo unterwegs. Sie sahen eine Hochzeitsgesellschaft am Weg, drosselten aus Neugier die Fahrt und zückten ihre Videokameras. Dieser Umstand und das Belgrader Kennzeichen des Wagens reichten aus, um die Feiernden zu provozieren - die Karosserie des Jeeps wurde von Maschinengewehrkugeln durchlöchert.

Aber auch bei "friedlichem" Einsatz der Waffen passieren immer wieder Unfälle. Zahlreiche Unbeteiligte, auch Kinder, kamen bereits im Zusammenhang der Salutschießerei ums Leben oder wurden von verirrten Kugeln verletzt. Auch herabfallende Kugeln von Freudenschüssen in die Luft stellen eine ernsthafte Gefahr dar. Die internationale OSZE-Mission im Kosovo empfahl allen ihren Mitarbeitern per Rundschreiben, sich am Tag X nach Möglichkeit nicht im Freien aufzuhalten. 

Fast alle Waffen im Kosovo stammen noch aus dem Krieg von 1999. Seit Kriegsende ist Waffenbesitz in privater Hand illegal, Waffenscheine sind die Ausnahme. Die KFOR, die mit der Wahrung der öffentlichen Sicherheit im Kosovo beauftragt ist, geht jedem abgegebenen Schuss nach und kann Hausdurchsuchungen schon beim bloßen Verdacht auf Waffenbesitz durchführen.

Aber auch die kosovarische Polizei beschlagnahmte mit gerichtlichem Durchsuchungsbefehl im Zuge ihrer polizeilichen Arbeit Tausende illegaler Waffen. Seit Kriegsende wurden etwa 14.000 Kleinfeuerwaffen eingesammelt, die meisten haben Polizei und KFOR mittlerweile amtlich zerstört. Publikumswirksame Aktionen zur Vernichtung sichergestellter Waffen sind aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Insgesamt vermutet die Polizei noch etwa 400.000 Kleinwaffen in privaten Haushalten im Kosovo - bei zwei Millionen Einwohnern.

Am Wochenende werde die Polizei verstärkte Präsenz zeigen, damit Waffen nach Möglichkeit gar nicht erst in Erscheinung träten, kündigt Polizeisprecher Elshani an. "Wir sind bereit, im Fall des Falles sofort einzugreifen. Aber wenn fünfzigtausend Leute auf der Straße fröhlich feiern, werden wir uns nicht an Ort und Stelle auf Konfrontationen einlassen. Lieber halten wir die Augen auf und greifen uns die Träger von illegalen Waffen einen Tag später heraus. Die Mehrheit der Menschen will ohnehin einfach nur feiern."


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