Tschechien

"Herr Clinton, das ist meine Sekretärin."

Der Film "Bürger Havel" ist ein mutiges Dokument über einen großen PolitikerAls Václav Havel im Sommer 1992 enttäuscht von der sich anbahnenden Trennung der Tschechoslowakei als Präsident vorzeitig zurücktrat, kündigte er die Rückkehr zum aufrechten Protest an. Er werde sich künftig wieder als "Bürger Havel" in die Politik einmischen. Der Dokumentarfilm über Havel, der gerade in die Kinos gekommen ist und sich auf diese Episode bezieht, befasst sich nun gerade nicht mit dem Bürger Havel, sondern seiner Präsidentschaft in Tschechien von 1993 bis 2003. Ein Paradox? Keineswegs, denn der Film wirft nicht nur einen Blick auf den ersten Bürger des Staates, sondern auch auf den Menschen Havel.Havel ließ sich 1992 auf ein riskantes Langzeitprojekt ein. Er gestattete dem Regisseur Pavel Koutecký, ihn mehr als 13 Jahre lang ohne Tabu zu filmen. Einzige Bedingung: Das Material durfte erst nach Ende der Amtszeit Havels veröffentlicht werden. Also hielt Koutecký als schweigender Chronist seine Kamera überall hin und produzierte eine Art frühes Reality-TV mit dem Unterschied, dass es erst jetzt ausgestrahlt wird.Im Zentrum der Dokumentation steht Havel, seines Zeichens auch Schriftsteller, Theatermann und Dramatiker. Wer erwartet, dass der geübte Showman Havel alle Fäden in der Hand hält, sieht sich getäuscht. Der Zuschauer erhält einen bis ans Schonungslose gehenden Blick auf den weltgewandten Mann. Er wird Zeuge seiner Nervosität vor seiner ersten Wahl zum Präsidenten der Tschechischen Republik 1993, der ständig damit rechnet, vom Parlament doch noch gegen einen anderen Kandidaten ausgetauscht zu werden. Das erweist sich als völlig unbegründet, denn Havel wird mit überwältigender Mehrheit gewählt. Der Regisseur lässt den uneingeweihten Zuschauer mit Havels Nervosität allein. Er bleibt seinem Beobachterstatus treu und verzichtet auf Erklärung politischer Zusammenhänge. Der Zuschauer sieht verwundert, wie Havel seine ersten Worte als tschechischer Präsident einübt, sich immer wieder verspricht und sich dabei an einem Stuhl festklammert. War nicht dieser Havel zuvor schon drei Jahre Präsident gewesen und hatte alle wichtigen Politiker der Welt getroffen? Schwer vorstellbar, dass ein ähnlich hoher Politiker so einen intimen Blick zulassen würde. Der Film stellt aber Havel nicht bloß, sondern gibt ihm seine Freiheit als Mensch zurück, die zwangsläufig einem Politiker in seiner Position genommen wird. Eine Tendenz, die durch den Havel-Kult der Neunzigerjahre noch verstärkt wurde. Regisseur Pavel Koutecký konnte die Premiere seines außergewöhnlichen Projekts leider nicht mehr erleben. Er starb tragisch bei den Dreharbeiten zu einem Film im Frühjahr 2006. Zu diesem Zeitpunkt gab es zwar schon eine Vorfassung. Für Miroslav Janek, der für die Fertigstellung des Streifens gewonnen werden konnte, begann die Arbeit dennoch von vorn. Bis 1995 in Amerika lebend fehlte ihm der Zugang zu Havel und der tschechischen Politik, wie Koutecký ihn hatte. Aber vielleicht war das auch ein Glücksfall für den Film, da die Auswahl freier erfolgen konnte.Dramaturgisch bleibt Janek bei der Chronologie. Das Material versetzt ihn in die Lage, nicht gestaltend eingreifen zu müssen, denn es ist packend und unterhaltsam wie ein Spielfilm. In einer der schönsten Szenen des Films will Havel dem amerikanischen Präsidenten unbedingt seine zwei Sekretärinnen vorstellen. Ein Schelm, wer dabei an die Praktikantin Lewinsky denkt. Havel selbst nennt Clinton im Film den größeren Erotomanen. Diese Szene zeigt auf geradezu rührende Weise die Natürlichkeit des Menschen Havel, der viel Wert auf ein gutes Verhältnis auch zum einfachsten Angestellten auf der Prager Burg legte. Später bekommt Clinton von Havel ein echt tschechisches Saxophon geschenkt, und alle, die damals nicht dabei sein konnten, dürfen noch einmal Bill im Prager Jazzclub Saxophon spielen sehen. Für oft unfreiwillige Komik sorgt der Umstand, dass viele Szenen zweimal zu sehen sind, zunächst, wenn sie von Havel eingeprobt werden und dann noch einmal im Original. Vor allem setzt Regisseur Janek jedoch auf überraschende Szenen. So ist der Empfang bei Havel auf der Burg schon fast vorbei, als Rolling Stone Ron Wood den Präsidenten mit fast schon besorgter Miene fragt: "Ist das Restaurant La Provence wirklich so gut?", worauf ihn Havel lächelnd beruhigt: "Aber sicher, kürzlich war ich dort mit dem spanischen König."Das Regieduo Koutecký/Janek nimmt oft einen versetzten Blick ein. Als Havel öffentlich seine Kandidatur für eine zweite Amtszeit bekannt gibt, sind seine umherschwänzelnden Hunde und seine elegante Gattin mit Sonnenbrille und Hut wichtiger. Die ungewöhnlichen Einstellungen und oft schnelle Schwenks erzeugen den Eindruck eines Home-Videos, wie Havels langjähriger Weggefährte und jetziger Vizepremier Alexandr Vondra bei der Vorstellung des Films auf der Berlinale treffend feststellte. Sie ermöglichen, ganz nah an den Menschen Havel heranzukommen und lassen ihm zugleich einen würdevollen Abstand. In einer der stärksten Szenen steht die Kamera hinter Havel, als er sinnentleert durch die Gardinen die Menschen beobachtet, die seiner verstorbenen Frau Olga die letzte Ehre erweisen.

ENDE

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