Kosovo

Keine Angst vor serbischen Sanktionen

Kosovo hat keine Angst vor möglichen Sanktionen Serbiens nach der für den 17. Februar erwarteten Unabhängigkeitserklärung. Ein Wirtschaftsembargo und die Schließung der Grenzübergänge hätten nur geringe Auswirkungen auf das Kosovo und würde vor allem Serbien selbst schaden, ist man in Prishtina überzeugt.

Der Aktionsplan, den Serbien Mitte Januar für den Fall einer Unabhängigkeitserklärung seiner südlichen Provinz Kosovo vorbereitet hat, untersteht der höchsten Geheimhaltungsstufe. Doch aus den Äußerungen verschiedener serbischer Politiker ist abzuleiten, dass Belgrad nicht nur mit politischen, diplomatischen und juristischen Schritten gegen die Abspaltung des Kosovo und dessen Anerkennung als Staat vorgehen will.

Offenbar plant die serbische Regierung auch, die Grenzübergänge dicht zu machen und keine Güter mehr ins Kosovo durchzulassen. Obwohl das Kosovo unter einem enormen Handelsbilanzdefizit leidet und vollständig von Importen abhängt, reagiert man in Prishtina gelassen auf das Muskelspiel aus Belgrad. Vizeministerpräsident Hajredin Kuci glaubt nicht daran, dass der serbische Aktionsplan wirklich angewendet wird und bezeichnete ihn als "eine Art Propaganda oder kalter Krieg".

Mit Blick auf die europäische Integration würde eine Umsetzung des Aktionsplans Serbien viel mehr schaden als dem Kosovo, ist Kuci überzeugt. Falls es trotzdem geschehe, dann sei Prishtina vorbereitet: "Wir stehen in engem Kontakt mit Mazedonien, Albanien und Montenegro - wir werden Lösungen für andere Handelswege finden", sagte Kuci. Sollte es dennoch zu Preiserhöhungen kommen, habe die kosovarische Regierung einen Budgetposten vorgesehen, um nötigenfalls zu intervenieren und gewisse Produkte zu subventionieren.

Während das Kosovo 2006 und 2007 Güter für rund 100 Millionen Euro pro Jahr exportierte, lag der Wert für eingeführte Waren im selben Zeitraum bei zirka 1,5 Milliarden jährlich. Rund 15 Prozent davon sind serbische Produkte. Ein knappes Drittel sämtlicher Importe ins Kosovo läuft über serbisch-kosovarische Grenzübergänge und wäre damit von einer Blockade betroffen. Am meisten Güter (43 Prozent) gelangen via Mazedonien ins Land. Über Montenegro sind es 10 Prozent, via Albanien 3 Prozent.

Das Forschungsinstitut GAP aus Prishtina hat die möglichen Auswirkungen eines serbischen Wirtschaftsembargos gegenüber dem Kosovo in einer kürzlich veröffentlichten Studie wissenschaftlich untersucht und kam dabei zum Schluss, dass "für die kosovarische Öffentlichkeit kein Grund zur Panik" bestehe. Gemäß der Studie können für die nicht in Serbien hergestellten Produkte mühelos Ausweich-Routen über Albanien, Mazedonien oder Montenegro gefunden werden.

GAP-Direktor Shpend Ahmeti rechnet denn auch mit keinen schwerwiegenden Auswirkungen auf die Bevölkerung. Im schlimmsten Fall könnte es wegen der komplizierteren Handelswege zu minimalen Preiserhöhungen kommen. Der albanische Ministerpräsident Sali Berisha hatte Ende Januar angekündigt, sein Land werde die Transportwege öffnen, um Kosovo im Falle einer Blockade bei der Versorgung zu unterstützen.

Viel größere Probleme sieht Ahmeti im Falle eines Embargos auf die serbische Wirtschaft zukommen. "Den Unternehmern in Serbien geht damit ein Markt im Umfang von rund 200 Millionen Euro jährlich verloren. Ich glaube nicht, dass sie glücklich darüber sind", sagte er. Ahmeti weiß, dass verschiedene serbische Privatunternehmer bereits Vorbereitungen getroffen haben, um ihre Produkte wenn nötig unter Umgehung der Blockade via Montenegro ins Kosovo zu bringen.

Auch der Belgrader Wirtschaftsjournalist Misa Brkic von der Zeitschrift "Ekonomist" ist der Ansicht, Wirtschaftssanktionen gegenüber dem Kosovo würde Serbien schaden. "Serbien muss doch daran interessiert sein, im Kosovo nicht nur den Serben, sondern auch den Albanern serbische Waren zu verkaufen", sagte er dem Sender B92.

Dennoch geht er davon aus, dass die Regierung in Belgrad nach einer Unabhängigkeitserklärung des Kosovo ein entsprechendes Embargo verhängen wird und damit in Kauf nimmt, dass serbische Firmen einen wichtigen Markt und möglicherweise Arbeiter ihre Stelle verlieren. Weil Kosovo bis jetzt ohnehin kaum Güter nach Serbien exportiert, wären kosovarische Produzenten und Händler von den Sanktionen nicht betroffen.

Die GAP-Studie hat weiter ergeben, dass sämtliche ins Kosovo importierten serbischen Produkte - vor allem Baumaterial, Getreide sowie Medikamente - problemlos auch auf anderen Märkten beschafft werden können. Die kosovarischen Müller verfügen zudem über Weizenvorräte für zwei bis drei Monate - laut GAP genügend Zeit, um sich neu zu organisieren. "Dank unserer Studie weiß die kosovarische Gesellschaft nun, dass es ausreichend Weizen im Land gibt und eine Brotpreiserhöhung nicht gerechtfertigt wäre", erklärte Ahmeti.

Als ein mögliches Szenario wird oft auch die Abschaltung der serbischen Stromlieferungen genannt. Nach Angaben von Shpend Ahmeti importiert Kosovo derzeit aber nur rund 10 bis 15 Prozent des gesamten Winterverbrauchs, den Rest produziert das kosovarische Braunkohle-Kraftwerk nahe Prishtina. Selbst wenn der Importstrom fehlte, würde dies für die Bevölkerung nicht viel ändern.

Denn die Menschen im Kosovo leben seit Jahren mit täglichen Stromausfällen von mehreren Stunden. Weiter weist Ahmeti darauf hin, dass die meisten internationalen Stromleitungen von Serbien nach Mazedonien und weiter nach Griechenland durch das Kosovo führen. "Der Stromhandel ist zwar in Serbien staatlich, wird aber dennoch von einflussreichen Privatpersonen kontrolliert. Diese haben kein Interesse daran, dass der Strom nicht mehr fließt", ist Ahmeti überzeugt.

Doch viel mehr als ein mögliches serbisches Embargo beschäftigt den 30jährigen Harvard-Absolventen Ahmeti die künftige Wirtschaftsentwicklung eines unabhängigen Kosovo. "Die Menschen erwarten, dass mit der Unabhängigkeit alles gelöst wird. Doch nach zwei Tagen werden sie merken, dass wir immer noch Arbeitslosigkeit und Wirtschaftsprobleme haben." Von den rund zwei Millionen Einwohnern des Kosovo ist die Hälfte unter 25 Jahre alt. Die Arbeitslosigkeit liegt je nach saisonaler Schwankung bei geschätzten 35 bis 45 Prozent.


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