Chaos bei Prager Präsidentenwahl
Tschechien auf dem Weg in eine handfeste VerfassungskriseDas Ambiente der Prager Burg war dem feierlichen Anlass angemessen. Doch die Veranstaltung an sich, an deren Ende ein neuer tschechischer Präsident gekürt werden sollte, drohte in eine handfeste Verfassungskrise zu münden. Der Grund: Es war unklar, in welcher Weise über das neue Staatsoberhaupt abgestimmt werden soll - geheim oder offen. Der Streit darüber war erst einen Tag vor der Wahl ausgebrochen. Die konservative Partei ODS bestand auf einer geheimen Wahl - in der Hoffnung, dass dann eventuell einige Oppositionelle den Mut aufbringen würden, gegen den Willen ihrer Parteiführungen den Amtsinhaber und ODS-Ehrenvorsitzenden Vaclav Klaus zu wählen. Genau um das zu verhindern, verlangten alle anderen Parteien eine offene Abstimmung. Da die ODS über die Mehrheit im Senat verfügt, das Abgeordnetenhaus aber von den Klaus-Gegnern beherrscht wird, war das Chaos programmiert. Die Verfassung sieht keinerlei Regeln vor, wie man in einer solchen Lage vorgehen kann. Experten hielten es nicht für ausgeschlossen, dass die Abgeordneten und Senatoren in ihrer Hilflosigkeit das Verfassungsgericht würden anrufen müssen. Es kursierte gar der Vorschlag, als Ausweg den Präsidenten in einem Hau-Ruck-Verfahren vom Volk wählen zu lassen. In beiden Fällen aber, soviel war klar, würde sich das Verfahren über Wochen und Monate hinziehen. Die Akteure auf der Prager Burg übergingen über Stunden die grundsätzliche Frage nach der Prozedur der Wahl und taten so, als wäre die Welt in Ordnung. Am Schluss der Aussprache über die beiden Kandidaten, Vaclav Klaus und den tschecho-amerikanischen Wirtschaftsprofessor Jan Svejnar, geriet die Veranstaltung dann nahezu aus den Fugen. Am Rednerpult setzte ein Hauen und Stechen um das Prozedere ein, das der Würde des Augenblicks nicht annähernd entsprach. Zwischenzeitlich sah sich der Vorsitzende der sozialdemokratischen Abgeordnetenfraktion veranlasst, die Bürger an den Fernsehschirmen um Verzeihung für das Gezerre um Paragraphen und Richtlinien zu bitten. Klaus und Svejnar hatten zuvor den 281 Abgeordneten und Senatoren ihre Vorstellungen präsentiert. Und aus deren Reihen hatten sich in der Folge Sprecher aller Parteien auf die Seite des einen oder des anderen geschlagen. Die Art der verbalen Auseinandersetzung namentlich zwischen den Rednern der ODS und der Sozialdemokraten war streckenweise ausgesprochen scharf. Die Sozialdemokraten - wie auch die Grünen - nutzten ihre Auftritte zu einer regelrechten Generalabrechnung mit Klaus. Der hörte sich mit versteinerter Miene an, wie sehr er namentlich dem außenpolitischen Ansehen Tschechiens mit seinen "extremen persönlichen Ansichten" geschadet habe. Grünen-Chef Martin Bursik etwa warf Klaus vor, den menschengemachten Klimawandel zu negieren und der EU feindlich gegenüber zu stehen. "Wir brauchen einen europäischen und weltoffenen Präsidenten", warb Bursik für den Grünen-Kandidaten Svejnar. Es sei "Zeit für einen Wechsel". Genau diesen Wechsel hatte Svejnar in seiner Rede versprochen. Er erinnerte an seine Parteiunabhängigkeit, die es ihm erleichtern würde, eher moderierend als polarisierend zu wirken. Wichtigste Aufgabe für ihn wäre es, das gestörte Vertrauensverhältnis der Bürger in die Politik grundlegend zu verändern. Er sehe sich in erster Linie als Diener des Landes. Premierminister Mirek Topolanek, der der ODS vorsteht, lobte Klaus' Leistungen als Präsident über den grünen Klee. Tschechien brauche in erster Linie einen Mann an der Spitze, der die nationalen tschechischen Interessen verteidige. Klaus habe sich in seiner ersten Amtszeit als ein "guter tschechischer Patriot" erwiesen.Klaus gab in einer sehr staatsmännischen Rede zu verstehen, dass von ihm in einer zweiten Amtszeit "keine Überraschungen" zu erwarten seien. Er stehe für Kontinuität, für die Verteidigung der tschechischen Positionen speziell gegenüber der Europäischen Union. Tschechien habe unter seiner Ägide komplizierte Zeiten erlebt, erinnerte er. Er habe vier verschiedene Ministerpräsidenten ernennen müssen, dabei aber stets seine Überparteilichkeit gewahrt. Wie die Wahl ausgehen würde - so sie denn überhaupt im Laufe des Tages stattfinden könnte - blieb völlig offen. Die ungewendeten Kommunisten, die das Zünglein an der Waage sind, äußerten in der Aussprache, dass sie keinen der beiden Kandidaten unterstützen wollten. Allgemein wurden Klaus größere Chancen eingeräumt, sein Amt zu verteidigen. Doch Wetten darauf wollte auf der Prager Burg niemand abschließen.ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 30 83 11 87