Bekommt das Kosovo eine Trikolore zur Unabhängigkeit?
Prishtina putzt sich heraus für die Unabhängigkeitserklärung, über deren Datum die ganze Stadt spekuliert. Zu den letzten Vorbereitungen gehört auch die Wahl einer Flagge für den neuen Staat Kosovo."Das mache ich für die Unabhängigkeit", ruft der Fensterputzer im blauen Overall vergnügt über den Zaun, während er mit kräftigen Zügen die Glasfassade des Kosovo-Parlaments in Prishtina reinigt.
An der neuen Fußgängerzone am Mutter-Theresa-Boulevard, die dem Stadtzentrum endlich so etwas wie Charme verleiht, montieren Arbeiter die letzten Straßenlampen. "Das Hotel Afa ist bereit für die Unabhängigkeit", heißt es in riesigen Lettern auf einem Werbeplakat. Darauf offeriert das Hotel all jenen Gästen, die aus einem Staat kommen, der das Kosovo anerkennt, einen Preisnachlass von 20 Prozent.
Die Stimmung ist aufgeräumt, aber ruhig. In Prishtina sind sich alle sicher: Jetzt ist die Unabhängigkeit des Kosovo zum Greifen nah.Auch der kosovarische Vizepremier Hajredin Kuci, der nach Ministerpräsident Hashim Thaci als einflussreichster Mann im Kosovo gilt, bestätigte: "Ja, Kosovo ist bereit. Wir warten jetzt auf das Signal der internationalen Gemeinschaft." Genau wie alle anderen Entscheidungsträger will Kuci keine Angaben zum genauen Datum der Unabhängigkeitserklärung machen. Er sagte nur: "Wir sind am Vorabend der Unabhängigkeit. In etwa kennen die Regierungsmitglieder das Datum."
In den Kneipen und Bars Prishtinas, aber auch in den so genannten "gut informierten Kreisen", scheint sich als Favorit unter den "Spekulanten" immer klarer der Sonntag, 17. Februar, durchzusetzen. Dann, so heißt es, könnten nämlich einige wichtige EU-Staaten Kosovo sofort anerkennen, noch bevor es zu einer von Russland verlangten Dringlichkeitssitzung des Uno-Sicherheitsrates am Montag in New York käme.
Wegen der Zeitverschiebung gewännen die Europäer ein paar Stunden Zeit, um Tatsachen zu schaffen und die Position Kosovos dadurch zu stärken. Zudem könnten die EU-Außenminister bei ihrem Treffen am 18. Februar die aus 1800 Polizisten, Zollbeamten, Richtern und Staatsanwälten bestehende zivile EU-Rechtsstaatsmission Eulex endgültig auf den Weg nach Kosovo schicken.
Auch Fadil Hysaj wartet gespannt auf die Unabhängigkeitserklärung, bei der zum ersten Mal die Flagge des Staates Kosovo gehisst werden wird. Vor wenigen Tagen übergab Hysaj dem Parlament je drei Vorschläge für eine Flagge und ein Wappen, die eine zwölfköpfige Jury unter seiner Leitung ausgewählt hatte. Nebst sämtlichen im Parlament sitzenden Parteien waren Künstler, Repräsentanten der Zivilgesellschaft und alle im Kosovo lebenden Volksgruppen in der Kommission vertreten. "Auch ein serbisches Mitglied war dabei und hat aktiv mitgearbeitet", erklärte Hysaj.
Gemäß dem im Uno-Sicherheitsrat gescheiterten Ahtisaari-Plan, den die kosovarische Regierung trotzdem als Grundlage für den Aufbau des neuen Staates verwendet, wurden Regeln für die Staatssymbole Kosovos aufgestellt. So darf die Flagge nicht ausschließlich aus den Farben rot und schwarz bestehen wie in Albanien, aber auch nicht nur aus den Farben rot, blau und weiß wie in Serbien. Zudem sind keine Adler zugelassen, weil diese sowohl das albanische wie auch das serbische Banner zieren.
Mitte letzten Jahres war die Öffentlichkeit aufgefordert worden, Ideen für die Flagge und das Wappen auszuarbeiten. Insgesamt gaben 997 Personen 2536 Flaggen- und 727 Wappenvorschläge ab. Auch 92 Interessierte von außerhalb des Kosovo reichten ihre Ideen ein, darunter 14 aus der Schweiz und 13 aus Deutschland. Nach Angaben von Fadil Hysaj wurden für die Flagge am häufigsten drei Farben kombiniert, meist Rot-Schwarz plus eine dritte Farbe - blau oder weiß. In zahlreichen Vorschlägen seien auch die Umrisse des Kosovo zu sehen, umgeben von Europa-Symbolen wie zum Beispiel gelben Sternen auf blauem Grund.
Nun ist es am Parlament, aus den Vorschlägen mit Zwei-Drittel-Mehrheit die künftigen Staatssymbole Kosovos auszuwählen. Vizepremier Hajredin Kuci, Vorsitzender der Kommission zur Auswahl der Staatssymbole, geht davon aus, dass das Parlament die Flagge in derselben Sitzung bestimmt, in der es auch die Unabhängigkeit Kosovos ausrufen wird. "Es besteht schon jetzt ein nationaler Konsens über die Symbole, denn sie sind nicht monoethnisch. Alles wird rechtzeitig bereit sein."
Dies ist für Fadil Hysaj, der eigentlich Regisseur ist, von entscheidender Bedeutung: "Eine Unabhängigkeitserklärung ohne Flagge wäre wie ein Schauspieler, der bei der Premiere ohne Kostüm auftritt." Haxhi Zylfi Merxha, Präsident und Abgeordneter der Vereinigten Roma-Partei des Kosovo, ist als Minderheitenvertreter mit dem Prozedere zufrieden. Er ist davon überzeugt, dass das Kosovo bald eine Trikolore bekommen wird.
Doch Fadil Hysaj ist sich bewusst, dass es für die neue Staatsflagge von Kosovo nicht einfach sein wird, sich gegenüber der nationalen Flagge der Albaner, dem schwarzen Doppelkopf-Adler auf rotem Grund, durchzusetzen. "Es ist das Symbol, mit dem unzählige Menschen hier für die Unabhängigkeit gekämpft haben, gestorben sind, Opfer gebracht haben."
Auch in einem unabhängigen Kosovo kann jede Volksgruppe ihre Nationalflagge weiterhin verwenden. In den Ländern des westlichen Balkans definieren sich viele Menschen zuerst über ihre Nationalität und erst dann über ihre Staatsangehörigkeit. "Ich erwarte vorläufig keine großen Emotionen für die neuen Staatssymbole. Aber ich hoffe, dass diese langsam entstehen werden", so Hysaj. Einen Wettbewerb für die Hymne des unabhängigen Staates Kosovo ist bislang nicht ausgeschrieben worden. Für Hajredin Kuci kein Problem: "Vom Unabhängigkeitstag an werden wir zunächst die Europa-Hymne nutzen. Sie ist für jedermann akzeptabel. Dann werden wir eine eigene Hymne finden."
Diese dürfe aber nicht monoethnisch sein. Wahrscheinlich werde es nur eine Melodie, aber keinen Text geben. Eilig scheint es Kuci damit nicht zu haben - er spielt sogar mit dem Gedanken, es ganz einfach bei der Europa-Hymne zu belassen.