„Serbien kann mit Drohgebärden nichts erreichen" / Interview mit Shkelzen Maliqi
Gespannt schaut Europa in diesen Tagen auf den Balkan. In Serbien könnte der Nationalist Tomislav Nikolic die Präsidentschaftswahlen gewinnen. Am 3. Februar gibt es eine Stichwahl zwischen ihm und dem Amtsinhaber Boris Tadic. Um die Chancen Tadics nicht zu gefährden, hat die albanische Seite bislang die angekündigte Unabhängigkeitserklärung für das Kosovo verschoben. Die meisten westlichen Staaten haben angekündigt diese Unabhängigkeit anzuerkennen. Die serbische und die russische Regierung lehnen sie ab. Wie geht es weiter im Kosovo? n-ost-Korrespondent Oliver Soos sprach in Pristina mit Shkelzen Maliqi. Der 60-Jährgie ist Publizist, politischer Analyst und Herausgeber der Tageszeitung "Express". Er gilt als einer der führenden kosovo-albanischen Intellektuellen.
Herr Maliqi, wann wird die albanische Seite die Unabhängigkeit des Kosovo erklären?
Maliqi: Ich denke, in wenigen Wochen. Irgendwann zwischen Anfang Februar und März könnte es soweit sein.
Wovon hängt das ab?
Maliqi: Zum einen müssen die serbischen Präsidentschaftswahlen abgeschlossen sein. Denn wenn das Parlament des Kosovo schon vorher die Unabhängigkeit erklären würde, dann könnten die Radikalen in Serbien, also die Nationalisten, gestärkt werden. Zum anderen muss die Unabhängigkeit mit Brüssel und Washington koordiniert werden. Die EU braucht noch etwas Zeit, um eine Polizei-Mission für den Kosovo vorzubereiten.
Wenn nun das Kosovo seine Unabhängigkeit erklärt hat, wie geht es dann weiter?
Maliqi: Wir werden zunächst eine Veränderung der Machtverhältnisse im Kosovo erleben. Die UNMIK (Anm. - Übergangs-Verwaltungsmission der Vereinten Nationen) wird wohl innerhalb der nächsten drei bis vier Monate aufgelöst werden. Doch dann sind wir nicht sofort vollkommen unabhängig. Für drei bis vier Jahre oder vielleicht sogar noch länger, wird es eine EU-Mission im Kosovo geben mit etwa 2000 Polizisten. Die Mission wird jedoch nicht die gleiche Macht haben, wie die UNMIK. Die hat ja das Kosovo quasi selbst regiert, sie konnte jede politische Entscheidung der Regierung blockieren. Die EU-Polizisten werden eher beobachten und überprüfen, ob die Regierung des Kosovo die Punkte des Ahtisaari-Plans erfüllt. Dabei geht es vor allem um die Sicherheit der serbischen Minderheiten und um den Schutz ihrer demokratischen Rechte. Wenn die Unabhängigkeit des Kosovo jedoch erst einmal erklärt ist, dann gibt es keinen Weg zurück. Die Unabhängigkeit wird von den USA und den wichtigsten Kräften dieser Welt akzeptiert werden, und dann kann auch Serbien diesen Prozess nicht mehr aufhalten.
Das serbische Parlament denkt über Strafen nach, für den Fall, dass die albanische Seite die Unabhängigkeit des Kosovo erklärt. Es heißt, Belgrad wolle Pässe nicht anerkennen, die im Kosovo ausgestellt wurden und außerdem Handelswege und Stromleitungen in das Kosovo blockieren. Immerhin bezieht die Provinz rund 40 Prozent ihrer Energie aus Serbien. Wie ernst nehmen sie solche Drohungen?
Maliqi: Die Elektrizität könnte tatsächlich zu einem Problem werden, denn wir haben deutlich weniger Stromverbindungen nach Albanien, Mazedonien und Montenegro, als nach Serbien und uns fehlen noch leistungsstarke Kraftwerke. Schon jetzt fällt im Kosovo regelmäßig der Strom aus. Aber die anderen Drohungen sind lächerlich, denn nur Serbien kann dabei verlieren. Eine Handelsblockade durch Serbien könnten unsere anderen Nachbarstaaten kompensieren. Serbische Güter würden immer irgendwie ihren Weg ins Kosovo finden. Sie können zum Beispiel in Mazedonien umverpackt und noch am selben Tag in das Kosovo importiert werden. Insgesamt denke ich, dass Serbien nichts mit seinen Drohgebärden erreichen kann, es handelt sich hier nur um Rhetorik.
Wie sehen sie die Zukunft der serbischen Enklaven im Kosovo, könnte Belgrad hier seinen Einfluss nutzen und für Widerstand und Unruhen sorgen?
Maliqi: In den serbischen Enklaven, vor allem im Norden des Kosovo hat der Einfluss Serbiens in den letzten Jahren nachgelassen. Dennoch kann es hier Probleme geben. Die Regierung in Belgrad versucht ja immer, die Serben im Kosovo zu manipulieren. Wenn es zu Aufständen kommt, dann muss die internationale Gemeinschaft eingreifen und die betroffenen Regionen schützen. Die Serben im Kosovo müssen die Gelegenheit bekommen, sich in einen neuen Staat zu integrieren.
Sind denn die Kosovo-Albaner offen für eine Integration der Serben, denn viele Serben fürchten, in einem Staat Kosovo unterdrückt zu werden?
Maliqi: Wir Kosovo-Albaner glauben, dass sich die Serben anders verhalten werden, wenn sie nicht mehr von Belgrad beeinflusst werden. Es gibt natürlich Serben, die sagen, wenn das Kosovo unabhängig ist, dann verlassen wir das Land. Solche Leute kann man natürlich nicht stoppen. Aber es gibt auch Menschen, die im Kosovo mehr Perspektiven sehen und nicht als Flüchtlinge in Serbien enden wollen. Die Serben bekommen im Kosovo schließlich auch ihre eigenen lokalen Verwaltungen und Gerichte, sie bekommen sogar ein eigenes serbisches Schul- und Gesundheitssystem. Außerdem hat sich die Lage im Kosovo, acht Jahre nach dem Krieg, entspannt. Es gibt keine regelmäßigen Ausschreitungen mehr. Wenn Serben zum Beispiel in albanische Geschäfte einkaufen gehen, dann sind ihre Erfahrungen meist positiv. Doch eine völlige Sicherheit kann natürlich niemand garantieren, und auch unter den Kosovo-Albanern gibt es genügend Frustrierte und verrückte Nationalisten.
Wenn das Kosovo unabhängig werden sollte, werden auch wirtschaftliche Fragen aufgeworfen. Das Kosovo gehört schließlich zu den ärmsten Regionen Europas.
Maliqi: Das ist richtig, wir haben eine Fülle von Problemen zu lösen. Die Arbeitslosigkeit liegt im Kosovo irgendwo zwischen 40 und 60 Prozent, der Durchschnittslohn vielleicht bei 200 bis 300 Euro im Monat. Ein Drittel der Menschen lebt von Geld, das Verwandte aus Ländern wie Deutschland oder der Schweiz schicken. Der Schwarzarbeit-Sektor ist sehr groß. Viele Straßen sind kaputt, der Strom fällt ständig aus. Aber das Kosovo hat ein größeres wirtschaftliches Potential, als wir uns jetzt noch vorstellen können.
Denken Sie, dass es nach der Unabhängigkeit mit dem Land bergauf geht?
Maliqi: Ja, denn wir hatten jetzt neun Jahre lang die UNMIK im Kosovo, die kaum in die Zukunft des Landes investiert, sondern nur das Status Quo verwaltet hat. Die Unabhängigkeit ist nun eine große Chance für uns. Unsere Regierung muss das Heft in die Hand nehmen und einen Entwicklungsplan aufstellen, in die Wirtschaft investieren. Wir müssen das demokratische System im Kosovo etablieren und die Korruption bekämpfen. Ich denke, wir brauchen etwa fünf Jahre, um eine normal funktionierende Gesellschaft aufzubauen und weitere zehn Jahre, um Wachstum und einen zunehmenden Wohlstand zu spüren.