Tschechien

KAFFEEHAUSKULTUR UND PLASTIKBECHER

Eine US-amerikanische Kette sorgt unter Prager Bohemes für SorgenfaltenDas Kleinseitner Cafe "Malostranska kavarna" in einem hübschen Rokokopalast auf dem gleichnamigen Platz gehört seit Jahr und Tag zu den Kleinoden der Prager Kaffeehauskultur. 1874 öffnete es seine Pforten. Unter den Namen der einstigen Stammgäste findet man den Schriftsteller Jan Neruda oder die Operndiva Ema Destinova.  Seit der "Wende" 1989 hat das Haus verschiedene Betreiber gehabt, zuletzt trug es den für Prag reichlich untypischen Namen "Square" und wurde nur von Neureichen und ahnungslosen Touristen besucht; normale Prager mieden es. Was Wunder: Die Preise waren astronomisch, der Kaffee vergleichsweise mäßig. Derzeit quartiert sich hier ein neuer Besitzer ein, die US-amerikanische Kette "Starbucks". Ende Januar wird sie das Haus neu eröffnen. "Starbucks" sorgte 2001 für Schlagzeilen mit seinem ersten Café m verwöhnten Wien. Mittlerweile verfügt die Kette über 15.000 Häuser in 43 Ländern. Zwei Drittel davon betreibt sie in den USA. Nicht allen in Prag gefällt der neue Eigentümer. Das hängt ein bisschen mit der Werbung zusammen, die die Firma für sich macht. Da taucht nämlich etwas auf, was einem richtigen Prager Kaffeehausgänger die Schweißperlen auf die Stirn treibt: ein Plastikbecher, in dem der Kaffee serviert wird. Jirina Borkovcova etwa von der Bürgervereinigung der Freunde der Kleinseite und der Prager Burg äußerte sich schier entsetzt: "Wir freuen uns überhaupt nicht und werden dort auch niemals einen Kaffee trinken. Das ist nach dem snobistischen ‚Square' die nächste Katastrophe." Borkovcova und ihre Freunde erwägen deshalb jetzt ähnliche Proteste, wie sie sie Anfang der 1990er Jahre veranstaltet hatten, als unweit der Karlsbrücke das erste Prager McDonald's-Restaurant eröffnet hatte. Die Straßendemonstrationen blieben seinerzeit aber ebenso wirkungslos wie Eingaben an die Stadt. Die Prager Denkmalschützer, die bei solchen Neueröffnungen auch immer ein Wörtchen mitsprechen, sind vergleichsweise gelassen. Direktor Jan Knezinek hätte sich zwar den traditionsreichen alten Namen "Malostranska kavarna" zurück gewünscht. Aber er hat Verständnis dafür, dass die Kette mit ihrem eigenen Namen kommt. "Starbucks"-Sprecherin Eliska Hausnerova weist den Verdacht von sich, in das edle Gemäuer werde ein Fast-Food-Café einziehen. Man werde seinen Kaffee aus ordentlichen Tassen trinken können. Zu den Vorzügen des Hauses werde auch ein kostenloser Internetzugang gehören. Ob man zum Espresso auch ein kostenloses Wasser bekommen wird, verriet die Sprecherin nicht. Damit könnte "Starbucks" tatsächlich punkten. Prag hat sich zwar nach der "Wende" wieder seiner langen Kaffeehaustradition erinnert, die in der "Goldenen Schlange" schon 1714 ihren Anfang nahm. Doch von der Hochzeit an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, als an der Moldau mehr als 200 Kaffeehäuser existierten, ist man noch weit entfernt. Und auch von der Selbstverständlichkeit eines Wassers zum Kaffee hat man in den wenigsten Etablissements bislang gehört. Das gibt es auch im "Slavia" nur auf speziellen Wunsch. Das wohl berühmteste Café der Stadt mit einem traumhaften Blick auf die Prager Burg schrieb ein besonderes Kapitel nach 1989, das ebenfalls mit Amerika zusammenhing. Der damalige Rektor der musischen Akademie, die in dem Haus ihren Sitz hat, unterzeichnete damals einen für 50 Jahre gültigen Mietvertrag mit einer Firma in Boston. Leider enthielt der Vertrag keinerlei Verpflichtungen zur Sanierung und Neueröffnung. Folgerichtig tat sich auch nichts, bis der Fall eine politische Dimension bekam: Ex-Stammgast Vaclav Havel, zum Präsidenten aufgestiegen, fackelte einen Brief nach Boston: Wenn sich an dem Zustand nichts ändere, werde das "die Beziehungen der Prager Intellektuellen zum Kapitalismus und zu den USA ernsthaft belasten". Tage später nahmen Studenten das Haus im Handstreich ein. Zwei Wochen lang balancierten sie ungeübt Tabletts, den Kaffee gab es gratis. Die Spezies von einst ließen nicht lange auf sich warten. Dazwischen Studenten, amerikanische Schickeria-Typen oder fein gemachte ältere Damen, mit Hütchen und Handschuhen Kekse knabbernd. Dem Provisorium folgten Gerichtsverhandlungen zur Auflösung des Mietvertrages. Am 17. November 1997, dem Jahrestag der "Samtrevolution", öffnete das "Slavia" dann endlich wieder. Leider konnte Havel, der hier lange Jahre als Dissident zubrachte, an der Eröffnung nicht teilnehmen, weil ihn wieder einmal eine Krankheit ans Bett gefesselt hatte. Doch die Prager sind ihm für seinen damaligen Einsatz bis heute dankbar.Wie auch viele andere Cafés heute wieder mit ihren einstigen Stammgästen kräftig Werbung machen.  Und da müssen sie sich nicht schämen: Im "Montmatre" etwa saß früher Jaroslav Hasek, im "Cafe de Paris" Bohumil Hrabal, im "Arco" pausierten Egon Erwin Kisch oder Franz Kafka und im "Slavia" neben Havel auch Bedrich Smetana oder der Literaturnobelpreisträger Jaroslav Seifert. Mal sehen, welche Berühmtheit sich künftig regelmäßig im "Starbucks" einfindet.ENDE

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