Staat und Kirche kommen sich näher
Die Präsidentschaftswahlen am 8. Februar zwingen die Regierung zu Kompromissen Gleich an zwei Tagen hintereinander haben der tschechische Staat und die Kirchen des Landes hoffnungsvolle Signale einer Entkrampfung ihres komplizierten Verhältnisses ausgesandt. Am Mittwoch stimmte die Regierung der Entschädigung der Kirchen für das unter den Kommunisten geraubte Eigentum zu. Gestern (Donnerstag) erzielten Staat und Kirche auch in der strittigen Frage der Nutzung des Prager Veitsdoms eine Übereinkunft.Die wichtigste Kathedrale des Landes auf dem Gelände der Burg über der Moldau ist seit langen Jahren ein Zankapfel. In den 1950er Jahren hatten die Kommunisten das unter Kaiser Karl IV. begonnene Gotteshaus zum "Eigentum des ganzen Volkes" erklärt. Im Klartext: Sie enteigneten und verstaatlichten es. Nach der "Wende" bemühte sich die katholische Kirche um die Rückgabe. Doch Forderungen der Kirche sind in Tschechien nicht eben populär. Das Land gehört zu den am stärksten säkularisierten in Europa. Das hat wesentlich mit der Geschichte zu tun: Die katholische Kirche wird als ein Werkzeug der Habsburger betrachtet. Zwar sind namentlich die Prager sehr stolz auf ihre herrlichen Kirchenbauten. Doch auf die Zeit ihrer Entstehung wollen sie nur ungern angesprochen werden. Es war dies die Zeit der Rekatholisierung, die in den tschechischen Geschichtsbüchern nur als "temno" (Finsternis) bezeichnet wird. Es sind denn auch beileibe nicht nur die alten Kommunisten, die sich heute einer Rückgabe des Kircheneigentums massiv widersetzen; in dieser Frage kann man beinahe schon von einem gesamtgesellschaftlichen Konsens sprechen. Bemerkenswert dabei ist, dass besagte Tschechen dabei gern auch übersehen, was die katholische Kirche vor allem mit dem früheren Prager Kardinal Frantisek Tomasek an der Spitze für die Überwindung der totalitären Herrschaft getan hat.Die Abneigung der Tschechen, "den Pfaffen" entgegen zu kommen, wurde exemplarisch in den Fernsehnachrichten am Mittwochabend vorgeführt. Bei einer Straßenumfrage wurde eine Eigentumsrückgabe nahezu einhellig abgelehnt. So etwas wie Unrechtsbewusstsein, weil sich der Staat einfach etwas angeeignet hatte, was ihm nicht gehörte, sucht man weit und breit vergeblich. Die katholische Kirche muss das vor allem beim Veitsdom ausbaden. Wiederholt zogen beide widerstreitenden Partner vor Gericht. Zuletzt wurde dort das imposante Gotteshaus neuerlich dem Staat zugesprochen. Ein Revisionsantrag der Kirche dagegen läuft. Der jetzige Prager Kardinal Miloslav Vlk ist entschlossen, in dieser Angelegenheit notfalls auch die europäische Gerichtsbarkeit anzurufen. Nun hat man sich - unabhängig vom eigentumsrechtlichen Streit - wenigstens über die Nutzung der Kathedrale geeinigt. Der Staat verpflichtet sich in der Vereinbarung, die laufenden Kosten und die für die Erhaltung des Gebäudes zu übernehmen. Die Kirche ihrerseits zahlt dafür eine monatliche symbolische Pauschale von umgerechnet 20 Euro. Sie darf aber von den Besuchern des Gotteshauses kein Eintrittsgeld nehmen. Und ein bisschen wurde die Kirche auch in einer vermeintlich unwichtigen Sache erniedrigt: Wenn die Kirchenleute in ihr Gotteshaus wollen, müssen sie wie bisher zum Schlüsseldienst der staatlichen Burgverwaltung gehen. Nur mit den Schlüsseln von dort kann man in den Veitsdom gelangen. Dieses seltsame Ritual ist dem Vertrag zufolge bis in die Ewigkeit fortgeschrieben worden.Sehr viel grundsätzlicher als die vor allem symbolisch wichtige Frage nach dem Eigentum des Veitsdoms ist aber die der Rückgabe des Kircheneigentums. Ein Drittel des geraubten Eigentums bekommen die Kirchen in Tschechien nun direkt zurück. Für die restlichen zwei Drittel wird es eine finanzielle Entschädigung geben, die zudem noch über den langen Zeitraum von sechzig Jahren ausgezahlt werden soll. Durch die auflaufenden Zinsen handelt es sich alles in allem um einen Betrag von mehr als zehn Milliarden Euro. Das klingt nach sehr viel; in Wahrheit aber hat hier die Kirche große Zugeständnisse gemacht. Die Kirche muss nun nämlich auch selbst ihre Priester bezahlen; dafür war bisher der Staat zuständig. Wenn dieser Betrag weg ist, bleibt den Kirchen nicht viel. Sehr viel vorteilhafter stehen der Staat und die Kommunen da. Dem Staat fällt mit einem Schlag ein riesiges Vermögen zu, mit dem er tun kann, was er will. Für die Kommunen gibt es endlich Rechtssicherheit. Sie können jetzt beispielsweise mit einstigem kirchlichen Boden etwas Konkretes anfangen, etwa auf ihm Industriezonen gründen oder Wohnungen errichten. Das ist insofern noch zusätzlich interessant, weil es für viele solcher bisher blockierter Projekte auch Geld aus der EU gibt. Der für die Regierung zuständige Unterhändler, Kulturminister Vaclav Jehlicka, lobte denn auch nachdrücklich die große Kompromissbereitschaft speziell der katholischen Kirche. Und das auch deshalb, weil ihr im Vergleich zu kleineren tschechischen Kirchen eigentlich mehr zugestanden habe, als sie gefordert hätte. Ob sich diese Kompromissbereitschaft auszahlt, muss sich aber erst noch zeigen, wenn der Gesetzentwurf in beiden Kammern des Parlaments behandelt wird. Nicht nur die linke Opposition hat Widerstand angekündigt; auch einigen Abgeordneten aus dem bürgerlichen Lager geht die Einigung zu weit. Die Abstimmung wird dementsprechend eng werden.Dass die Regierungsseite nach jahrelangem Nein jetzt ihrerseits zu einem Kompromiss bereit war, hängt nicht unwesentlich mit den nahen Präsidentschaftswahlen am 8. Februar zusammen. Namentlich die größte Regierungspartei, die konservative ODS, braucht für die Wiederwahl ihres Ehrenvorsitzenden Vaclav Klaus jede Stimme aus dem Lager der Christdemokraten. Denen liegen die Kirchenfragen naturgemäß besonders am Herzen. Und auch Klaus selbst hat bereits angekündigt, sich dem Rückgabeabkommen nicht mit seinem Veto widersetzen zu wollen. So kirchenfreundlich war Klaus nicht immer. Es ist noch nicht lange her, da stellte er die Kirche von ihrer Bedeutung her allen Ernstes auf eine Stufe mit einem Kleingartenverein.ENDE
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