Ceausescu kommt in fünf Minuten
Am 26. Januar wäre der Diktator 90 Jahre alt geworden - in Rumänien ist er geliebt und gehasst zugleich Eine Zeichnung mit dem Wappen der Sozialistischen Republik Rumänien, zwei Blumenkränze aus Plastik und erfrorene Nelken schmücken das Grab des ehemaligen kommunistischen Diktators Nicoale Ceausescu. Und ein roter Stern auf dem Grabstein. Durch nichts anderes unterscheidet sich sein Grab von den anderen Gräbern auf dem Bukarester Ghencea-Friedhof. Hunderte Rumänen kommen jährlich hierher, um ihrem einstigen Präsidenten die letzte Ehre zu erweisen. "So gehört es sich! Er war schließlich unser Präsident und es war besser zu seiner Zeit", behauptet ein Rentner, der früher in der Kommunistischen Partei war und seinen Namen nicht nennen möchte. "Jeder hatte einen Arbeitsplatz, ein Haus und genug Essen, es gab keine Arbeitslosen. Wer dem Regime gehorchte, hatte nichts zu fürchten." Auch für die 52-jährige Irinel Baciu war es "damals" besser, weil "wir alle gleich waren. Heute sind die Alten zu Bettlern geworden", beklagt sich die ehemalige Buchhalterin. Sie verkauft Ohrstäbchen und andere Kleinigkeiten auf der Strasse, um sich etwas dazu zu verdienen. Ihre Rente reicht kaum aus für die immer höheren Lebenskosten. Die Nostalgiker der Ceausescu-Ära, das sind jene Bürger, die im Kommunismus besser gelebt haben und heute verarmt sind, aber auch solche, die heute Schlüsselfunktionen in der Gesellschaft innehaben. Das zeigt ein Bericht der Soros-Stiftung von 2007. Laut einer Umfrage der Stiftung in der Bevölkerung gilt der ehemalige Diktator als bester politischer Führer der letzten hundert Jahre. Paradoxerweise gilt er in derselben Studie allerdings auch als der schlechteste. Für beide Varianten stimmten jeweils rund 25 Prozent der Befragten. Politologe Cristian Pirvulescu, Dekan der Fakultät für Politische Wissenschaften in Bukarest, fügt hinzu: "Die Nostalgiker kennzeichnet nicht so sehr eine ausdrückliche Sympathie für Ceausescu, sondern eher eine Feindseligkeit ihrer heutigen Lage und dem Zustand des Landes gegenüber." "Ich habe nichts am Hut mit Ceausescu, aber es ist gut, dass wir frei reden können. Das ist die größte Freiheit, das konnten meine Eltern nicht", sagt Dumitru Tudose. Viel weiß der 20-jährige Wachmann nicht über die Vergangenheit. Wie viele Jugendliche hat er weder Interesse an und noch einen Bezug zu der Zeit vor 1989. Millionen Rumänen standen damals stundenlang Schlange vor leeren Geschäften, um Fleisch, Milch und Käse zu kaufen. Strom gab es nur einige Stunden am Tag. Im Fernsehen lief meist Propaganda, selten Filme, oder Trickfilme für Kinder. Die Heizungen waren abgestellt, in den Wohnungen war es bitterkalt. Für seine ehrgeizigen Baupläne riss Ceausescu ganze Dörfer, Stadtteile und Kirchen nieder. Dafür ließ er Fabriken und Plattenbauten für die Arbeiter bauen, die massenweise vom Land in die Stadt umsiedelten.
Das Grab des Diktators Nicolae Ceausecu in Bukarest.
Laura Capatana JullerDoch sein grandioses Projekt von der Industrialisierung, die "die Unabhängigkeit und nationale Souveränität" der Sozialistischen Republik Rumänien sichern sollte, schlug fehl. Die Fabriken produzierten nicht ausreichend. Rumäniens Auslandsschulden explodierten. Inspiriert durch einen Besuch in Nord-Korea und der Volksrepublik China 1971 rationierte der Diktator in den Achtzigern drastisch alle Güter des täglichen Bedarfs und beglich somit komplett die Schulden des Landes. Zugleich ließ er sich göttergleich vom Volk verehren. Auf teueren Vasen, Gemälden und Teppichen sind die Porträts von Nicolae Ceausescu und seiner Frau Elena erhalten. Sein Geburtstag glich einem Nationalfeiertag, an dem ihm zu Ehren prunkvolle Paraden stattfanden. Auf großen Boulevards bildeten Menschenmassen Buchstaben, die sich zu Losungen wie "Dem geliebten Genossen Ceausescu" formierten. 1984 begann der Bau des zweitgrößten Gebäudes der Welt, dem "Haus des Volkes" - ein Leben in Luxus. Der Personenkult um Nicolae Ceausescu sei mit der Zerstörung der rumänischen Identität einhergegangen, sagt Oana Ilie, Historikerin im Nationalen Museum für Geschichte.
Im Ausland hingegen war Ceausescu lange Zeit hoch angesehen. Es imponierte dem Westen, dass er 1968 den militärischen Einmarsch der Sowjetunion in die Tschechoslowakei verurteilte, war doch Rumänien Bestandteil des Verteidigungsbündnisses Warschauer Pakt.Ceausescu unterschied sich von anderen kommunistischen Präsidenten und genoss deshalb besondere Unterstützung. Er machte zahlreiche Staatsbesuchte und empfing Staatsoberhäupter aus aller Welt. Der ehemalige Diktator war der erste rumänische Präsident, der - im Jahr 1967 - diplomatische Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland aufnahm. Er schaffte, was keiner seiner Vorgänger schaffte: 1970 stattete er den USA einen offiziellen Besuch ab - und zwar zu einer Zeit, in der die Beziehung der Weltmacht zur Sowjetunion äußerst angespannt war. Durch die finanzielle Unterstützung der beiden Großmächte sowie weiterer Staaten schaffte es Ceausescu, das Bruttoinlandsprodukt zwischen 1971 und 1975 um 11,3 Prozent wachsen zu lassen. Schon fünf Jahre später sank die Wachstumsrate allerdings auf 1,8 Prozent. Die Sozialistische Republik Rumänien ging wirtschaftlich zugrunde. Politisch war sie starr und streng, das gesamte Leben wurde von der Partei kontrolliert.
Die Ausstellung "Die Goldene Epoche. Zwischen Propaganda und Realität" im Bukarester Nationalmuseum für Geschichte ist einer der wenigen Schritte zur Vergangenheitsbewältigung in Rumänien.
Laura Capatana Juller"Es ist schwer vorstellbar, aber wäre Ceausescu noch Präsident, hätte das Land weiterhin stagniert. Im Alter war Ceausescu immer weniger bereit Änderungen zu akzeptieren", erklärt der Politologe Pirvulescu. "Es muss über den Kommunismus, über Ceausescu und seine Gräueltaten gesprochen werden¸ sonst gerät die schreckliche Zeit in Vergessenheit", sagt Historikerin Oana Ilie. Die Ausstellung "Die Goldene Epoche. Zwischen Propaganda und Realität", die im vorigen Jahr im Bukarester Nationalmuseum für Geschichte eröffnet wurde, ist einer der wenigen Schritte zur Vergangenheitsbewältigung in Rumänien. Vasile Toader, der die Ausstellung besucht, erklärt seiner neun Jahre alten Tochter Cristina, wie das Leben im Kommunismus aussah, damit "die Kinder die guten wie die schlechten Seiten des Regimes kennen. Die Ausbildung war damals weitaus besser, auch herrschte Respekt vor der Arbeit. Heute kann man dafür reisen und seine Meinung äußern. Das ist sehr wichtig! Hätte der Diktator seinem Volk mehr Freiheiten zugestanden, wäre er heute noch an der Macht", glaubt Vater Toader. In Rumänien diskutiert man derweil, ob die Geschichte des Kommunismus als Wahlfach in der Schule eingeführt werden soll. Doch zuerst, erklärt Politologe Pirvulescu, müsse die Historikerkommission zur Aufklärung der Verbrechen des rumänischen Kommunismus die Akten der Vergangenheit komplett durcharbeiten, damit sie in den Lehrbüchern die Wahrheit zeigen könne."Mehr als alle Politiker haben die Regisseure der neuen rumänischen Welle zur Vergangenheitsbewältigung beitragen. Cristian Mungiu mit seinem Goldenen Palme-Film "4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage" sowie Corneliu Porumboiu oder Radu Muntean. Mungius Abtreibungsdrama zeigt zwar keine Nomenklatur, es ist aber eine ‚Entzauberung' des Kommunismus, die viele Jugendliche geschockt hat", sagt Pirvulescu. Jeder dieser Filme lehre mehr als eine beliebige Vorlesung."Geil! Eine Pionier-Krawatte würde mir stehen!" Ein Jugendlicher freut sich über das rote Halstuch, das Wahrzeichen der rumänischen Jungpioniere, das in früheren Zeiten ausnahmslos alle Kindertragen mussten. Für die junge Generation von heute scheint der Kommunismus "trendy" zu sein, etwas, mit dem man bei Freunden gut ankommt. "Ceausescu ist in letzter Zeit eine Art rumänischer Che Guevara für die jungen Leute geworden, sie haben überhaupt keine moralischen Skrupel", findet Dumitru Gorzo. Der Maler hat die rumänische Hauptstadt Bukarest vor einigen Jahren mit Ceausescu-Graffitis "geschmückt". Sie zeigen einen lächelnden Ceausescu-Kopf, aus dem Engelflügel wachsen, darunter steht: "Ich komme in 5 Minuten". Mit seiner Arbeit wolle er die Assoziation wecken, Ceausescu sei vielleicht gar nicht in der Hölle, wie man es sich gemeinhin vorstellt, sondern im Himmel - und er könne jederzeit zurückkehren. "Ich zucke auch jetzt noch zusammen, wenn ich Ceausescu vor Augen habe."Der 63-jährige Ion Barbu ist zufrieden, dass die so genannte "Goldene Ära" vorbei ist. Am 23. Dezember 1989 fiel sein 19 Jahre alter Sohn im Kampf gegen die kommunistischen Machthaber. Barbu geht bis heute täglich zu seinem Grab. "Er ist unschuldig gestorben wie die anderen Kinder auch - und es hat sich nicht viel geändert. Wenigstens hat man keine Angst mehr zu reden und es gibt große Vorteile für die Jugendlichen." Über tausend Menschen kamen 1989 bei Straßenkämpfen ums Leben, mehr als 3000 wurden verletzt. Im Dezember 1989 wurden Nicolae Ceausescu und seine Frau Elena vor einem Militärgericht im Schnellverfahren zum Tode verurteilt und erschossen. Das heutige Rumänien habe sich radikal geändert, bemerkt Politologe Pirvulescu. Das Land habe zwar noch kein genaues Ziel vor Augen, das es erreichen wolle, aber es werde sicherlich nicht mehr zurück in seine dunkle Vergangenheit fallen. Schließlich hätten die Menschen aus der Geschichte gelernt. Mit all seinen guten und schlechten Taten für das Volk bleibt Nicolae Ceausescu zugleich der beste und der schlechteste Präsident, der Rumänien im letzten Jahrhundert regiert hat. Er wird geliebt und gehasst, die einen sehen ihn in der Hölle, die anderen mit Engelflügeln vor sich. Am 26. Januar, wenn er 90 Jahre alt geworden wäre, erinnern die Medien wieder an ihn. Bis nächstes Jahr wird er wohl weiterhin nur ein Name auf einem kleinen Grabstein sein. Informationen zu Ceausescu:
Nicolae Ceausescu wurde 1918 als Bauernsohn in Scornicesti geboren. Er machte eine Lehre als Schuhmacher. 1932 wurde er Mitglied der illegalen Kommunistischen Partei Rumäniens und dafür mehrfach jahrelang inhaftiert. Nach der Machtübernahme der Kommunisten 1947 begann seine steile Karriere in der Partei: Von 1965 an leitete er als Erster Sekretär des Zentralkomitees die Sozialistische Republik Rumänien. 1974 wurde er mit 56 Jahren jüngster Staatschef Europas. Zunächst vom Volk wegen seiner radikalen Abkehr von der sowjetischen Einflussnahme geliebt, wurde Ceausescu mit den Jahren immer verhasster. Jegliche Oppositionsversuche unterdrückte er radikal. Nord-Korea und die Volksrepublik China galten Ceausescu als Vorbilder für seine unmenschliche Repressionsmethoden. Lebensmittel, Strom oder Treibstoff wurden rationiert. Nach Demonstrationen, die im Dezember 1989 im westrumänischen Temesvar begannen, kam es zu einem gewaltsamen Umsturz. Elena und Nicolae Ceausescu, die Rumänien ein Viertel Jahrhundert im Dunkel gehalten hatten, wurden am 25. Dezember 1989 hingerichtet. ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 30 83 11 87