Geschichtsunterricht aus Polen
Andrzej Wajdas Weltkriegsdrama "Katyn" ist für einen Oscar nominiert - und läuft auf der BerlinaleAls der polnische Nationalist Jaroslaw Kaczynski vor ein paar Monaten noch Premierminister war, war der Kinobesuch des Weltkriegsdramas "Katyn" für Schüler und Soldaten obligatorisch. Natürlich ist das nicht der einzige Grund dafür, dass bislang jeder 13. Pole den Film gesehen hat. Schließlich handelt "Katyn" von einer Weltkriegstragödie, die das Land bis heute beschäftigt - vor allem, weil sie in den Jahren der sozialistischen Volksrepublik ein Tabu war. Im Frühjahr 1940 werden in einem Birkenwald bei Katyn die meisten von 14587 polnischen Offizieren, allesamt Kriegsgefangene, durch Erschießung hingerichtet. Weitere 7305 werden in ostpolnischen Kriegsgefängnissen durch den sowjetischen Geheimdienst NKWD getötet. Diese Männer wurden beim Einmarsch der Roten Armee - im Jahr zuvor - gefangen genommen. Das Massaker wird anschließend Hitlerdeutschland angelastet und prägt Nachkriegspolen auf Jahrzehnte. Denn mit den Offizieren stirbt zwischen den Birken auch ein großer Teil der polnischen Elite, Anwälte, Ärzte, Professoren. An deren Stelle treten nach dem Krieg vielfach plumpe Funktionäre, deren Loyalität zu Moskau wichtiger ist als Kompetenz. Und so zeigt der Film auch, wie das Schicksal Polens als sowjetischer Satellitenstaat nach dem Krieg seinen Lauf nimmt. Bis heute belastet das Massaker das polnisch-russische Verhältnis. Erst der ehemalige Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow gestand 1990 die sowjetische Alleinschuld, die immer noch von wichtigen Kräften in Russland angezweifelt wird. Und so löste "Katyn" nach seiner Premiere im Herbst 2007, am 17. September, dem Jahrestag des sowjetischen Einmarsches, in Polen eine Debatte darüber aus, ob er eine antirussische Haltung vermittelt. Zeitgleich rückten die Brüder Kaczynski, der damalige Premierminister Jaroslaw und der noch amtierende Präsident Lech, die Patriotismusdebatte rund um "Katyn" in den Mittelpunkt des Wahlkampfes ihrer rechtskonservativen Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit". Ausgerechnet in diesem Herbst stapfte Lech Kaczynski durch den - heute russischen - Wald von Katyn bei Smolensk, am Tag der Premiere von "Katyn" - zu einer Gedenkfeier. Wo er doch Russland als Präsident bislang offiziell mied. Immerhin hat sich Regisseur Andrzej Wajda von den wahlkämpfenden Kaczynskis nicht vereinnahmen lassen, wenngleich sein cineastischer Geschichtsunterricht ihrem patriotischen Projekt dienlich war. "In der doppelten Tragödie von Katyn haben sich Verbrechen und Lüge gepaart", sagte Wajda in einem Interview zu den Gründen für seinen Film. Ein entscheidender Beweggrund für "Katyn" dürfte auch die Biografie seines Vaters Jakub gewesen sein: ein polnischer Offizier, der wahrscheinlich ebenfalls in Katyn ermordet wurde. Der in Deutschland viel zitierte polnische Historiker Adam Krzeminski sieht in "Katyn" gar einen Film, der "eine riesige klaffende Lücke schließt". Ganz sicher liefert "Katyn" ein wuchtiges Opus zur politisch gewünschten Sicht auf den Zweiten Weltkrieg, auf Polen als das Opfer von zwei Diktaturen. Filmisch überzeugt "Katyn" dagegen nicht. "Katyn" ist nicht mehr als ein Durchschnittswerk Wajdas, das nicht an die Höhepunkte des über fünfzigjährigen Schaffens des Regisseurs gelangt. Vor vielen Jahren paarte Wajda die polnische Geschichte noch mit hoher Filmkunst. "Katyn" plätschert indes dahin, über die pathetischen Kaskaden eines zuckrigen Familiendramas, das von den Frauen der Offiziere geprägt wird, die derweil in Gefangenschaft stecken: Töchter, Schwester und Ehefrauen - gleich der Jakub Wajdas, die fünf Jahre lang vergeblich auf die Rückkehr ihres Mannes gewartet hat. Diesen Frauen geht es vor allem um das Andenken der Offiziere, das im neuen Polen keinen Wert hat. So hinterlässt der Film vor allem den polnischen Frauen ein Denkmal, das allerdings erwartbar daher kommt. Ganz so, wie es unsere Nachbarn lieben, wenn sie ihre Frauen in den Mittelpunkt der heroischen Betrachtung stellen: mutig, gottesfürchtig, hübsch und loyal. Hier wird der große Wajda plötzlich zu Hollywood. Die letzten 20 Minuten aber gehören zu dem Eindrucksvollsten, das je im Kino vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs gezeigt wurde: die Exekutionen der Offiziere, detailliert nachgestellt. Gefesselte Männer, die vom LkW gestoßen und in den Wald getrieben werden. Dann der aufgesetzte Schuss aus der Militärpistole in den Hinterkopf. Dutzende Mal. Schon als leblose Körper fallen die Männer in die eigens zu diesem Zweck ausgehobene Sandgrube, dumpf - ein Massengrab, das anschließend von einer Raupe zugeschüttet wird. Die lang anhaltende Szene funktioniert ohne Dialoge, einzig untermalt vom "Polnischen Requiem", der elegischen Musik Krzysztof Pendereckis, die "Katyn" zum Schluss eine Dramatik verleiht, die den Zuschauer mit einem Kloß im Hals zurücklässt."Ich möchte der Welt gerne ein Stück polnischer Geschichte zeigen", sagte Regisseur Wajda nach der Oscar-Nominierung. Sein Film kann diesen Wunsch erfüllen. Er funktioniert selbst ohne historische Einordnung. Und nur deshalb kann er auch ein nicht-polnisches Publikum interessieren. Einen Oscar ist das nicht wert, auch keinen Goldenen Bären. Wajda wird das verkraften: Besitzt er schließlich schon den Ehren-Oscar für sein Lebenswerk, und den Goldenen Ehrenbären der Berlinale.ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 30 83 11 87