Die Polen, die Juden und die Angst
Ein neues Buch über Antisemitismus nach dem Zweiten Weltkrieg spaltet die Nation In Polen ist durch die Veröffentlichung des Buches "Angst. Antisemitismus in Polen nach dem Krieg. Geschichte des moralischen Niedergangs" des polnisch-amerikanischen Historikers Jan Tomasz Gross eine heftige öffentliche Debatte entbrannt. Die vergangene Woche vorgelegte polnische Übersetzung des englischen Buches "Fear" wird nun von der Staatsanwaltschaft in Krakau auf mögliche Verleumdung der polnischen Nation überprüft, möglich wäre danach eine Anklage gegen den Autor. Gross, der 2001 bereits mit seinem Buch "Nachbarn" über den Pogrom von Jedwabne in Polen für heftige Diskussionen gesorgt hatte, erforscht in seinem erstmals 2006 in den USA herausgegebenen Werk erneut einen schwierigen Teil der polnischen-jüdischen Geschichte. Sein "historisch-soziologischer Essay", so die Eigenbezeichnung, findet seinen Höhepunkt in einer Reinterpretation des Pogroms von Kielce, bei dem 1946 40 Juden von Polen ermordet worden waren. Gross, ein 1947 in Warschau geborener und 1968 in die USA emigrierter Soziologe jüdischer Abstammung, analysiert den polnischen Antisemitismus unter anderem als Ergebnis des großen Einflusses von katholisch-nationalistischen Kräften. Er wirft ebenfalls der mächtigen katholischen Kirche vor, im Umgang mit den antisemitischen Stereotypen nach dem Zweiten Weltkrieg komplett versagt zu haben. Die Ursache für den polnischen Antisemitismus nach dem Krieg sieht Gross vor allem in der Angst vieler Polen, als Mittäter des Holocaust entlarvt, von den überlebendem heimkehrenden Juden der Schuld bezichtigt zu werden und Raubgut zurückgeben zu müssen. Der Autor befördert die Debatte mit zugespitzten Interviewaussagen, etwa, dass die Polen Hitler dankbar dafür gewesen wären, die Juden ermordet zu haben. Gross selbst bezog nach eigenen Angaben die Motivation für die Veröffentlichung von "Angst" aus einem anderen Buch einer polnischen Jüdin: Miriam Hochberg-Marianska hatte nach dem Krieg jüdische Kinder gesucht, die von polnischen Familien vor den Nazis versteckt worden waren. Sie hatte sich bestürzt gezeigt, dass viele dieser Retter ihren Namen nicht veröffentlicht sehen wollten, sich gar schämten oder Angst hatten, von ihren Nachbarn für ihre Rettungstaten beschimpft oder verschmäht zu werden. Bereits im Vorfeld der offiziellen Veröffentlichung des Buches hatte es Diskussionen und Beiträge in der Presse und im Fernsehen gegeben. Die auflagenstarke liberale Tageszeitung "Gazeta Wyborcza" hat das Buch von Gross zunächst wohlwollend aufgenommen, Kommentator Jaroslaw Kurski stellte die freie und verallgemeinernde Darstellung von Gross der möglichen positiven Wirkung entgegen, die nach seiner Meinung in eine weitere Annäherung von Polen und Juden münden könnte. Die konservative "Rzeczpospolita" monierte hingegen unter anderem die selektive Beschreibung der Ereignisse, etwa die sporadische Erwähnung der zahlreichen Polen, die Juden vor dem Tod gerettet haben. Kommentator Pawel Lisicki glaubt nicht an den Beginn eines neuen Dialogs, der durch das Buch ausgelöst werden könnte, weil Gross keinen "Respekt vor den Fakten" zeige und zudem den breiteren Kontext der Ereignisse ausblende. Einig sind sich die meisten Beobachter darin, dass Gross die Ursachen für die antisemitischen Pogrome der Nachkriegszeit stark verallgemeinert. Das polnische Institut für Nationale Erinnerung (IPN), das sich mit der polnischen Geschichtsaufarbeitung befasst, hat zeitgleich mit der Herausgabe von Gross` neuem Werk eine Gegenpublikation des polnischen Historikers Marek Chodakiewicz veröffentlicht. "Po Zagladzie" (deutsch: "Nach der Vernichtung") soll einen differenzierteren Blick auf die direkten Nachkriegsereignisse in Polen und die Beziehung zwischen Polen und Juden richten. IPN-Chef Janusz Kurtyka hat Gross in einem Interview gar als einen "Vampir der Historiographie" bezeichnet, weil dieser hauptsächlich mit Emotionen und sehr begrenzten Quellen operiere, die zudem sehr einseitig interpretiert würden. Der Vorsitzende des Verbandes der konfessionellen jüdischen Gemeinden in Polen, Piotr Kadlcik, hält die gesamte Diskussion über Gross' Interpretationen für unsachlich.ENDE
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