Das lange Warten auf Frieden
Ramis und Irina Mamedow kamen mit ihren zwei Kindern 1999 aus Baku nach Nordhessen. Der Vater der 48-jährigen Irina war Aserbaidschaner, ihre Mutter Armenierin. In den Adern des 49-jährigen Ramis fließen russisches und aserbaidschanisches Blut. Ramis und Irina sind weltoffen erzogen worden, wie es in den Jahren 1960 bis 1980 in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku üblich war. Für diese Generation spielte es keine Rolle, welcher Nationalität oder welcher Religion jemand angehörte. Aserbaidschaner, Russen, Armenier und Juden lebten friedlich Tür an Tür. Ehen zwischen den Volksgruppen waren in der größten Stadt am Kaspischen Meer eine Selbstverständlichkeit. Wenn nur nicht dieser Berg-Karabach-Konflikt ausgebrochen wäre. Nach den Pogromen gegen Armenier in Baku im Januar 1990 änderte sich alles. Die Mamedows lebten zwar weiter in ihrer Stadt, aber sie zogen um und versuchten die armenische Nationalität von Irinas Mutter zu verbergen. Das war nicht einfach: Irina verließ die Wohnung selten und lebte immer in Angst vor einer Attacke, derweil die Pogrome in einen heißen Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan mündeten. "Um ins Ausland zu gehen, brauchten wir Geld, das wir erst 1999 zusammen hatten", sagt Irina weinend.
Ähnlich wie die Mamedows sind viele armenisch-aserbaidschanische Familien von dem Konflikt betroffen. Heute können sie weder in Aserbaidschan noch in Armenien in Frieden leben. Die Emigration war deshalb für viele das kleinere Übel. Wie so oft, weiß niemand so genau, wer den ersten Stein geworfen hat. Ende der 1980er Jahre kam es in mehreren Bezirken Armeniens und in Berg-Karabach zu Ausschreitungen gegen Aserbaidschaner. Umgekehrt gab es in mehreren Städten Aserbaidschans, darunter Baku und Sumgait, grausame Angriffe auf Armenier. Der Krieg entzündete sich an der mehrheitlich von Armeniern bewohnten Autonomen Region Berg-Karabach, eine Enklave innerhalb von Aserbaidschan. Rund 30.000 Menschen kostete der Konflikt das Leben. Armenien war im Krieg erfolgreicher und kontrolliert heute Berg-Karabach und sieben aserbaidschanische Bezirke rund um die Enklave. Dadurch ist eine direkte Verbindung zwischen der Enklave und Armenien entstanden. Seit Mai 1994 gibt es einen Waffenstillstand. In mehreren UNO-Resolutionen wurde der Abzug der armenischen Truppen aus den eroberten aserbaidschanischen Bezirken im Grenzgebiet zu Berg-Karabach gefordert. Auf keine hat Armenien reagiert.
Flüchtlingslager in der Nähe von Baku / Orchan Damirbeyl, n-ost
Fast eine Million Aserbaidschaner mussten infolge des Konflikts aus Armenien, Berg-Karabach und den von Armeniern besetzten Bezirken fliehen. Zum größten Teil leben sie seit über einem Jahrzehnt in aserbaidschanischen Flüchtlingslagern. Aus den Zelten sind mittlerweile Behelfsbauten geworden, wie zum Beispiel im Flüchtlingslager Ramana in der Nähe von Baku. Doch in den Provisorien herrscht Arbeitslosigkeit und quälende Perspektivlosigkeit. Sehnsüchtig warten die Flüchtlinge auf den Tag der Rückkehr in ihre Heimat. Auch 300.000 Armenier mussten infolge des Konflikts aus Aserbaidschan fliehen; die meisten gingen aber nicht nach Armenien, sondern ins Ausland. Außerdem gibt es noch hunderte Kriegsgefangene auf beiden Seiten. Unter ihnen befinden sich sogar Alte, Frauen und Kinder. Vor allem das Rote Kreuz engagiert sich seit Jahren vergeblich um ihre Freilassung.
Die drei Brüder Hassanow - Ilham, Kamil und Chagani - leben in Frankfurt am Main. Sie stammen aus Kalbadschar im Grenzgebiet zu Berg-Karabach. Ilham, der älteste der Brüder, engagierte sich Ende der 80er Jahren gegen das kommunistische Regime. Nach der Auflösung der Sowjetunion wurde er Kreisvorsteher, bis Kalbadschar im Frühjahr 1993 durch die Armenier erobert wurde. Als in Aserbaidschan wieder die ehemaligen kommunistischen Herrscher des Landes nach der Macht gegriffen hatten, warfen sie ihm vor, an dem Sieg der Armenier mitverantwortlich zu sein. "Ich hatte daran keine Schuld", so erinnert sich Ilham an die schweren Tage in seiner Heimat. "Wir hatten nicht genug Kräfte, um die armenischen Truppen aufzuhalten". Das post-kommunistische Regime in Baku steckte ihn dennoch für ein Jahr ins Gefängnis. Wieder auf freiem Fuß, entschloss sich Ilham, nach Deutschland zu emigrieren. Seine Brüder folgten aus ähnlichen Gründen. Die Eltern der Brüder Hassanow leben seit 1993 in einem Flüchtlingslager in der Nähe von Baku. Als Asylberechtigte in Deutschland haben die Brüder keine Möglichkeit, die Eltern in Aserbaidschan zu besuchen. Für die Lösung des Berg-Karabach-Konfliktes sieht Ilham wenige Chancen. "Wenn Armenien und Aserbaidschan nicht zum Frieden bereit sind, können auch die anderen Länder und Organisationen nicht helfen."
Verhandlungen um die Lösung des KonfliktesIhren Anspruch auf Berg-Karabach begründen die Armenier mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker. Aserbaidschan beruft sich dagegen auf sein Recht auf territoriale Integrität und will Berg-Karabach allenfalls eine weitgehende Autonomie zugestehen. Eine von Russland, Frankreich und den USA geleitete "Minsk-Gruppe" der OSZE hat bereits zahlreiche Verhandlungsrunden organisiert. Die OSZE sieht als Kompromiss die Rückgabe der an der Grenze zu Berg-Karabach liegenden aserbaidschanischen Bezirke, ein Rückkehrrecht für Flüchtlinge, die Stationierung von NATO-Friedenstruppen in Berg-Karabach und Umgebung und die Abhaltung eines Referendums über den künftigen Status für Berg-Karabach vor. Doch wieder einmal sind die Gespräche festgefahren. Die Minsker Gruppe empfiehlt derzeit zu warten, bis die Präsidentschaftswahlen in beiden Ländern vorbei sind. In Armenien finden diese im Februar 2008, in Aserbaidschan im Oktober 2008 statt.Ramis und Irina Mamedow fühlen sich zwar in Deutschland gut integriert, träumen aber von einer Rückkehr nach Baku. Irina hofft immer noch, "dass es einmal zu einer richtigen Versöhnung zwischen den Menschen aus Aserbaidschan und Armenien kommt". Dass es möglich ist, leben die Mamedows vor.