Auf der Suche nach den Rettern von Juden
Rund ein Viertel der bosnisch-herzegowinischen Juden überlebte die Shoa. Ein umfassendes Projekt will nun möglichst viele der Retter ausfindig machen und ihnen zur Yad-Vashem-Medaille "Gerechte unter den Völkern" verhelfen. Das Projekt geht auf die Idee des 57-jährigen Sarajewoer Journalisten und Publizisten Eli Tauber zurück, dessen Eltern die Shoa in Bosnien und Herzegowina überlebten. "Die Mehrheit der Überlebenden wurde von Freunden oder Nachbarn gerettet - auch meine Eltern", erzählt Tauber. "Gerade deshalb habe ich so viel Energie, mich zu engagieren." Wie viele andere auch waren Taubers Eltern von Sarajewo in die damals von italienischen Truppen kontrollierte und damit relativ sichere Stadt Mostar im Süden des Landes gebracht worden.
Die Suche nach den Rettern der Juden ist Teil eines übergeordneten Projektes mit dem Titel "500 Jahre gemeinsames Leben von Juden und Muslimen in Bosnien und Herzegowina", das vom "Institut zur Erforschung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Internationales Recht" (INZL) der Universität Sarajewo und dem "Museum Sarajewo" durchgeführt wird. Etwa 20 bis 25 Prozent der rund 14.000 Juden, die vor dem Zweiten Weltkrieg in Bosnien und Herzegowina wohnten, überlebten die Shoa. Doch bislang wurden erst 42 bosnisch-herzegowinische Staatsangehörige mit der Yad-Vashem-Medaille als "Gerechte unter den Völkern" ausgezeichnet. Für Eli Tauber ist klar: "Bei so vielen Geretteten gibt es mit Sicherheit viel, viel mehr Retter. Möglichst viele von ihnen wollen wir nun finden."
Offiziell begann das Projekt, das auch vom Goethe-Institut und der Konrad-Adenauer-Stiftung in Bosnien und Herzegowina unterstützt wird, am Tag des Chanukka-Festes am 4. Dezember. Bei einem Auftritt im bosnisch-herzegowinischen Fernsehen baten Tauber und Muhamed Mesic vom INZL Personen um Hinweise auf Rettungsaktionen für Juden während des Zweiten Weltkriegs. Allein in den ersten zehn Tagen nach dem Aufruf erhielt Tauber Informationen zu 20 neuen Geschichten. Zwei Fälle seien bereits zweifelsfrei bestätigt, die Meldungen an die Shoa-Gedenkstätte Yad-Vashem in Jerusalem würden vorbereitet, so Tauber und blättert in seinem Stapel von Notizen.
Eine der Geschichten ist jene von Mika Atijas und der muslimischen Brüder Smailbegovic aus der nordbosnischen Stadt Doboj. Die Brüder hatten Informationen über die geplante Ermordung der Juden durch die Nazis und ihrer Verbündeten. Einer der Brüder ging von einem jüdischen Haus zum anderen, um seine Nachbarn vor dem drohenden Unheil zu warnen. Doch niemand glaubte ihm - außer Mika Atijas. Die Smailbegovics versteckten ihn drei Jahre in einem muslimischen Haus, Atijas überlebte. Damit war die Geschichte aber nicht zu Ende. 50 Jahre später, von 1992 bis 1995, herrschte wieder Krieg in Bosnien und Herzegowina. Einer der Söhne der Smailbegovics war in einem Gefangenenlager bei Doboj eingesperrt, er musste mit dem Schlimmsten rechnen. Doch er entkam der Hölle, weil er von einem Nachbar aus dem Lager geholt und so gerettet wurde - von Mikas Sohn Jozi Atijas. Dieser hatte Einfluss in Doboj und schaffte es, den Sohn jenes Mannes zu befreien, der ein halbes Jahrhundert zuvor seinen Vater gerettet hatte.
Projektleiter Eli Tauber zeigt die Namen der bislang ausgezeichneten 42 "Gerechten unter den Völkern". / Norbert Rütsche, n-ost
Tauber rechnet damit, mindestens hundert weitere "Gerechte unter den Völkern" aus Bosnien und Herzegowina zu finden. Er bedauert, dass nicht schon viel früher mit der Suche nach ihnen begonnen wurde. "Das war ein Fehler der Jüdischen Gemeinschaft in unserem Land". Doch Tauber gibt zu bedenken, dass die politisch-gesellschaftliche Situation während der Jahrzehnte des Sozialismus nicht den Raum ließ für entsprechende Nachforschungen. "Zudem gab es eine große Bescheidenheit unter den Rettern. Sie sprachen lange Zeit nicht über ihre Taten." Heute seien sie viel mehr dazu bereit.
Die jüdische Gemeinschaft in Bosnien und Herzegowina heute
Heute leben rund 1.000 Juden in Bosnien und Herzegowina, etwa 900 Sephardi und 100 Ashkenazi. Die größte Gemeinde ist jene von Sarajewo mit zirka 700 Mitgliedern. Etwa zwei Drittel der bosnisch-herzegowinischen Juden hatten das Land nach dem Zusammenbruch Jugoslawiens und während des Bosnien-Krieges 1992-1995 verlassen, nur wenige kamen zurück. Nach Angaben von Jakob Finci, dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinschaft von Bosnien und Herzegowina, sind die Beziehungen zu den anderen Volksgruppen und Religionsgemeinschaften des Landes sehr gut. "Wir haben keine Probleme, die die anderen nicht auch haben. Antisemitismus gibt es in Bosnien und Herzegowina nicht", so Finci.
Jene 42 Bürgerinnen und Bürger des Landes, die die Yad-Vashem-Medaille bereits bekamen, werden seit dem Sommer 2007 mit einer kleinen Ausstellung im Jüdischen Museum von Sarajewo geehrt. Für dieses Jahr ist eine Monografie über sie geplant. Tauber hofft, dazu von den Kindern der Geretteten finanzielle Unterstützung zu bekommen. Die Verleihung der Yad-Vashem-Medaille an möglichst viele Retter sei aber nur ein Teilziel des Projektes. Es gehe auch darum, die Rettung der Juden historisch-wissenschaftlich zu untersuchen und in die Studien über das Zusammenleben der verschiedenen Volksgruppen in Bosnien und Herzegowina einzubetten.
"Die Juden waren angesehen und hatten gute Beziehungen zu allen Volksgruppen des Landes", erläutert Tauber. Muslimische Bosniaken, orthodoxe Serben und katholische Kroaten hätten sich gleichermaßen für die Rettung von Juden eingesetzt und dafür größte Risiken in Kauf genommen. Das Projekt sei gerade im heutigen Bosnien und Herzegowina, in dem gegenseitiger Hass weit verbreitet sei, von entscheidender Wichtigkeit, betont Muhamed Mesic: "Wir wollen damit allen Volksgruppen in diesem Land zeigen, dass das Leben einer Nation mit einer anderen etwas Heiliges ist und erhalten werden muss."