Rumänien

„Wir haben ein Jahr lang geprobt“

In Rumänien sagte man über die 170.000 Einwohner zählende Stadt Sibiu (Hermannstadt), dass es dort vor allem viel Ruhe gibt. Hochkarätige Kulturereignisse konnte man bis dato an einer Hand abzählen. Es gab im Sommer ein Theater-, ein Film- und ein Jazzfestival – mit einheimischer und internationaler Prominenz. Ansonsten war man mit der Kultur unter sich, wöchentlich gab es ein Konzert, monatlich eine neue Theateraufführung – immer waren es Klassiker. Jede Aufführung honorierte das Publikum mit Standing Ovations, als Dankeschön dafür, dass sich die lokalen Künstler immerhin viel Mühe gaben.

Doch im Kulturhauptstadtjahr wollte die Kulturbranche in Sibiu klotzen statt kleckern. Über 1.000 Veranstaltungen zählte das Programm, unter anderem spektakuläre Theaterinszenierungen, Ausstellungen, Filmpremieren, Konzerte. Darunter waren aber auch Veranstaltungen wie der alljährliche Töpfermarkt, dem man in diesem Jahr einfach den Beinamen „Europäisch“ gab.


Strahlende Fassade am Marktplatz von Sibiu/Hermannstadt / Andreas Metz, n-ost

Bianca Herlo, die in Sibiu ein deutsches Kulturzentrum leitet, hatte anfangs den Eindruck, „dass jeder Hanswurst gefördert wird, um auf Quantität zu kommen und das Geld auszugeben.“ Mehr als 50 Millionen Euro aus Staats- und Stadtmitteln konnte Sibiu im Jahr 2007 für Kultur ausgeben, ein für rumänische Verhältnisse ungewöhnlich hohes Budget. Dass das Geld per Gießkannenprinzip vergeben wurde, habe eine enorme Energie in der Stadt freigesetzt, sagt Herlo: „Weil die Fördergelder auch viele kleine Kulturinitiativen ermutigt haben, an die Öffentlichkeit zu gehen.“ So hat die Kulturszene in Sibiu in diesem Jahr gelernt, was Projektarbeit bedeutet.

Eine Aufgabe, die man bisher vor allem dem Kulturministerium in Bukarest und der eigenen Stadtverwaltung überlassen hatte. Nicht aus Bequemlichkeit, sondern aus vorauseilendem Gehorsam, den man den Behörden in Rumänien gern entgegenbringt. „Bei uns herrscht vielerorts noch das kommunistische Denken, dass Kultur von oben verordnet wird, jetzt hat sich endlich auch die Basis versucht“, sagt die Kuratorin Liviana Dan.  Die deutsche Kulturmanagerin Herlo ist in diesem Jahr einen ungewöhnlichen Weg gegangen. Sie suchte einen Ort, an dem in Sibiu keiner Kultur vermutet hätte. In einer stillgelegten Heizzentrale zwischen tristen Wohnblocks eröffnete sie ein Experimentierlabor für Neue Medien, das die Anwohner des Viertels jetzt mit Kunst versorgt. Für Herlo „ist das auch eine Art Wärme“. Das medialab ist das erste in Rumänien. Medienkunst ist hierzulande noch rar gesät. Das Kulturhauptstadtjahr machte den Weg frei. „Offene Ohren hat man in diesem Jahr viele gefunden“, sagt Herlo, „weil man in Sibiu wusste, dass Europa auf die Stadt schaut.“

Innerhalb von Tagen hatte die deutsche Kulturmanagerin die Genehmigung der Stadtverwaltung, die 400 Quadratmeter der früheren Heizzentrale kostenlos mieten zu dürfen. Ohne Kulturhauptstadtjahr „wäre bei den horrenden Grundstückspreisen in Sibiu auf der Fläche wohl ein Supermarkt entstanden“, sagt Herlo.Dass Kultur durchaus ein Konjunkturfaktor ist, hat in diesem Jahr die einheimische Wirtschaft zu spüren bekommen. Die Tourismusbranche boomte, Pensionen entstanden, Hotels wurden renoviert, die Gaststätten legten sich neue Speisekarten zu. Man war auf den Geschmack gekommen, sich als kosmopolitischer Gastgeber zu geben. Schließlich zählte Sibiu noch nie so viele Besucher: Rund eine Million Touristen drängten 2007 in die Stadt - fünfmal mehr als im Jahr zuvor. 200 Millionen Euro haben allein die Touristen in diesem Jahr in Sibiu gelassen.

Die einheimische Wirtschaft zeigte sich dank des Booms spendabel und Herlo hatte zum ersten Mal das Gefühl, „dass Kultursponsoring nicht als Almosen, sondern als Prestige verstanden wird“.Es gibt wohl kaum eine Stadt, die ein Kulturhauptstadtjahr so drastisch verändert hat, wie Sibiu. Das Strom- und Wassernetz wurde überholt, ein Kanalisationsnetz gelegt – Dinge, über die westliche Städte vielleicht nur müde lächeln, weil sie diesen Lebensstandard schon seit Jahrzehnten haben. Auch erhielt dank des Hauptstadt-Titels die seit 2004 UNESCO-geschützte Innenstadt von Sibiu, die noch heute an die jahrhundertealte Tradition der Siebenbürger Sachsen erinnert, einen Fassaden-Anstrich. Die Kosten: sechs Millionen Euro. Das Geld spendierte die Bukarester Regierung – eine Summe, die Sibiu schon vor Jahrzehnten gebraucht hätte.

Die rumäniendeutsche Denkmalpflegerin Hanna Derer freute sich über die Renovierung, doch sei vieles falsch gelaufen, klagt sie, „weil die Stadt unter Zeitdruck stand, pünktlich zum Kulturhauptstadtjahr gut auszusehen“. So hätten beispielsweise die mittelalterlichen Häuser vor einem Anstrich grundlegend saniert werden müssen. Jetzt glänzen hingegen nur die Fassaden und wirken wie Potemkinsche Dörfer. Nur wenige Meter vom Marktplatz entfernt sieht man, was noch zu tun ist. Noch ist längst nicht die gesamte Innenstadt renoviert, von den Neubauvierteln in den Außenbezirken der Stadt ganz zu schweigen.

Wir bräuchten noch für die nächsten 20 Jahre den Kulturhauptstadttitel bis alles fertig ist“, heißt es in Sibiu. Doch dank des ersten Fassaden-Anstrichs in der Innenstadt zählt Sibiu jetzt zu den attraktivsten Städten in ganz Rumänien. Ein Trumpf, der für neue Investoren und für neue Pflichten sorgt. So hofft Denkmalschützerin Hanna Derer, dass die Stadt jetzt den „Vorsprung nutzt, um sich für die grundlegenden Sanierungen Zeit zu nehmen, damit sie alle fachgerecht verlaufen.“ Auch das reiche Kulturangebot hat Begehrlichkeiten geweckt, auf die man in Sibiu nicht mehr verzichten will.

„Wer einmal Hauptstadt war, will nicht mehr Provinz sein“, sagt die Kuratorin Liviana Dan vom Brukenthal-Museum in Sibiu. Sie hatte gleich zu Beginn des Kulturhauptstadtjahres mit einer Ausstellung des prominenten rumänischen Malers Dumitru Gorzo für einen lokalen Aufschrei gesorgt. Gorzos Bilder nehmen die gutbürgerliche Vergangenheit von Sibiu ironisch aufs Korn. Die lokale Presse nannte die Ausstellung „skandalös“. Doch die während des gesamten Jahres folgende „Kulturinvasion“ (Liviana Dan) hat das muffige Sibiu nachhaltig ausgelüftet. „Einen Weg zurück gibt es nicht mehr“, sagt die Kunstexpertin, die trotz des Skandals in diesem Jahr die erste zeitgenössische Galerie in Sibiu etablieren konnte. Dort will sie weiterhin für kulturelle Unruhe sorgen, schließlich „haben wir ein Jahr lang geprobt und können jetzt anfangen zu arbeiten."


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