Kasachstan

Dresdner Strassenbahnen in Kasachstan

Abdibek Muchamedschanow liebt deutsche Straßenbahnen. „Auf dem Weg zur Arbeit schlafen können oder nur etwas dösen, so wie in Deutschland, das ist mein Traum“, sagt er und schaut ein bisschen versunken zum Fenster hinaus auf den Betriebshof seines Straßenbahndepots. Der Kasache ist Chef der Verkehrsbetriebe von Almaty und Herr über 50 Straßenbahnen in der Millionenmetropole im Süden Kasachstans. Ein Großteil der Waggons stammt von Verkehrsbetrieben aus dem Osten Deutschlands. Zuletzt hatte man sie kurz nach der Wende generalüberholt. Muchamedschanows Büro auf der Winogradow-Straße in Almaty ist sperrholzgetäfelt. Abai Kunanbajuli, der kasachische Nationaldichter, steht als goldfarbene Büste in der Ecke und der Kasache strahlt, als der deutsche Besuch kommt. 1998 reiste Muchamedschanow das erste Mal nach Deutschland und erstand bei einem Zwischenhändler in Nordhorn tschechische „Tatra“-Bahnen, die damals von den Berliner Verkehrsbetrieben ausrangiert worden waren. Der erste Berliner Wagen kam noch im gleichen Jahr in Almaty an. Es folgten Schweriner Bahnen.


Eine Straßenbahn aus Dresden unterwegs in Almaty. / Cornelia Riedel, n-ost

„Die ersten neuen Waggons hier in Almaty waren wie frischer Wind auf unseren Schienen, die Almatyer haben sich total gefreut, sie hatten noch nie solche Bahnen gesehen“, erinnert er sich. „Und gut gepflegt und instand gehalten waren die! Die sind schon jahrelang in Deutschland gelaufen, doch wir können sie hier immer noch verwenden!“ Zuletzt kamen vor gut einem Jahr noch zehn gebrauchte Straßenbahnen der Marke „Tatra“ aus Dresden nach Almaty. Inzwischen sind die Schwarzgelben für viele Kasachen nicht mehr aus dem Stadtbild wegzudenken.

Die 76-jährige Irina Sokoljowa fährt jeden Tag mit der Tram von einem der Vororte ins Zentrum von Almaty zur Arbeit, um ihre Rente aufzubessern. „Aus Dresden kommen diese schicken schwarz-gelben Trams? Aus der Stadt mit der Gemäldegalerie?“, wundert sie sich. Schon seit einer Viertelstunde steht sie bei klirrender Kälte an der Haltestelle und wartet auf ihre Bahn. „Dass sie aus Deutschland sind, weiß ich, denn ich erkenne die deutsche Schrift an der Tür“, erzählt sie ein bisschen stolz.

Abdibek Muchamedschanow träumt heimlich von den ultramodernen Wagen aus deutscher Produktion. Aber bis die reif für Almaty sind, werden wohl noch einige Jahrzehnte ins Land gehen. „Als ich von Nordhorn nach Berlin mit dem Zug gekommen bin, war das so lautlos, dass ich nicht mal gemerkt habe, dass wir fahren“, schwärmt er. Bei einer Tram-Reise über Almatys Schienen ans Schlafen zu denken, ist dagegen ein bisschen wie ein Kurhotel direkt neben einer Flugzeugstartbahn zu planen: Stoßstange an Stoßstange staut sich der Verkehr in der Metropole auch außerhalb der Hauptverkehrszeit, blau-graue Abgaswolken stehen über den Kreuzungen. Stockt der Verkehr, machen die Fahrer durch eindringliches Hupen ihrem Ärger Luft. 

Nur ruckelnd und im Schritttempo quälen sich die Waggons durchs Straßenchaos, das Bett der Schienen ist altersmüde, der Beton wellt sich und Autofahrer überqueren das marode Gleisnetz nur im Notfall. Schon von weitem hört man die Sammeltaxischaffner ihre Route den Wartenden an den Haltestellen zurufen. Die kleinen Transporter sind neben den Bussen und Straßenbahnen der öffentliche Nahverkehr in Kasachstan.

 
Viele Import-Waggons sind innen noch auf Deutsch beschriftet. / Cornelia Riedel, n-ost

Dank Erdöl und Wirtschaftsboom hat sich das Verkehrsaufkommen in der größten Stadt des Landes in den letzten Jahren vervielfacht. Wer kann, zeigt seinen neuen Wohlstand mit dem passenden Gefährt – ob schnittiges Sportauto, Edel-Jeep oder deutscher Gebrauchtwagen. Der öffentliche Nahverkehr führt da eher ein Mauerblümchendasein. „Noch“, sagt Straßenbahnchef Muchamedschanow und seine Augen funkeln, denn der Kasache hat Großes vor. „Ende der 90er Jahre, da hatten wir noch 200 Bahnen, alle in der Sowjetunion gebaut. Doch nach der Wende gab es keine Ersatzteile mehr“, erzählt er von den Schwierigkeiten. Seit 1976 arbeitet Muchamedschanow für die Almatyer Straßenbahn, ist seit 1996 ihr Chef.

Im Almatyer Straßenbahndepot reihen sich die Waggons aus deutschen Großstädten aneinander. Hier und da blitzt noch eine Werbeaufschrift, einige der Wagen haben deutsche Straßennamen aus Berlin, Schwerin oder Dresden in der Zielanzeige über der Fahrerkabine stehen. „Ab Abfahrtssignal nicht aussteigen“ prangt unter dem russischen und kasachischen Wort für „Ausgang“ und die Schwarzgelben haben weiterhin das Logo der Dresdner Verkehrsbetriebe am Rumpf.Inzwischen hat die Almatyer Stadtverwaltung die Umlackierung der deutschen Waggons angeordnet. Gerade wird im Almatyer Straßenbahndepot letzte Hand an einen "Tatra"-Wagen aus Dresden gelegt. Er ist außen grün-weiß lackiert worden. „Mir gefällt die Dresdner Farbe, ich würde sie gern so lassen“, bedauert Muchamedschanow.

Und während sich viele Kasachen erst einmal den Traum vom eigenen Auto erfüllen, singt der Straßenbahnchef ein Loblied auf den öffentlichen Nahverkehr: „Wir brauchen hier dringend Busse und Bahnen, denn nicht alle können sich bei uns einen Mercedes leisten.“ In Sachen Straßenbahn ist der in Almaty geborene Muchamedschanow vielen seiner Landsleute einen Schritt voraus – er denkt auch an den Umweltschutz: „Wenn wir uns nicht bald Gedanken machen, wie wir den Verkehr in Almaty beschränken und die Luft sauber kriegen, dann wird es gefährlich für unsere Kinder.“ Dass sein Fuhrpark dringend ausgetauscht und mit noch mehr deutschen Gebrauchten aufgepäppelt werden muss, dafür hat Muchamedschanow eine ganz eigene Begründung: „Wissen Sie, wenn die Leute nicht gut gelaunt und entspannt auf Arbeit fahren und abends wieder nach Hause kehren können, sondern auch noch auf dem Weg zur Arbeit Stress haben, dann gehen sie viel eher auf die Straße und denken an Streik!"

Bis 2011, wenn die Asienspiele in Almaty ausgetragen werden, will Abdibek Muchamedschanow auf Almatys Schienen europäischen Standard anbieten und das Schienennetz von 63 auf 100 Schienenkilometer erweitern. 2008 soll der Ausbau beginnen und sein Ziel bis zu dem großen Sportereignis ist klar: „Ich will nur schöne Waggons, komfortable, man muss sich erholen können auf der Fahrt, eben wie in Deutschland!“


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