Tschechien

Lizenz zum Töten

Weihnachtskarpfen sollen nur noch fachmännisch ins Jenseits befördert werdenNoch schwimmen sie in den großen Aufzuchtteichen in Südböhmen und ahnen nicht, dass ihre Zeit bemessen ist. Doch Weihnachten naht und da ist für sie Schluss mit lustig. Die Rede ist von den Karpfen, die in nahezu jedem tschechischen Haushalt am Heiligen Abend verzehrt werden. In allen möglichen Varianten kommt der Fisch auf den Tisch: blau, in Dunkelbier gekocht oder einfach in der Pfanne gebraten. Das ist Tradition. Weihnachten ohne Cyprinus carpio, wie der Karpfen wissenschaftlich heißt, ist im Nachbarland undenkbar.Tradition ist auch, dass die Karpfen zirka eine Woche vor dem Fest an den Straßenecken mit Käschern aus großen Bottichen geangelt und verkauft werden. Das Schlachten übernehmen in der Regel die Verkäufer dort. Das sieht nicht sehr nett aus; mit einer Keule bekommt der Fisch eins aufs Haupt und dann wird mit einem spitzen Messer zugestochen, dass das Blut nur so spritzt. Für die Kinder ist das ein Heidenspaß. Ältere Zeitgenossen, vor allem die, die etwas zarter besaitet sind, sehen das etwas anders. Tierschützer scheuen sich nicht, auch schon mal von „Mord“ zu sprechen.Jetzt zeigte sich das Prager Landwirtschaftsministerium einsichtig: Es erließ eine Verfügung, nach der die Karpfen am Straßenrand nur noch von Verkäufern getötet werden dürfen, die das auch nachweislich beherrschen. Erst ein Zertifikat, das eine entsprechende Ausbildung nachweist, ist die „Lizenz zum Töten“. Die Begründung ist einfach: Karpfen seien „Wirtschaftstiere“, genau so wie Schweine, Rinder oder Geflügel. Die könne auch nicht jeder so einfach ohne entsprechende Kenntnisse ins Jenseits befördern.So weit, so gut. Die Sache hat freilich auch eine Kehrseite. Es werden künftig deutlich mehr Karpfen ihr jähes Ende im trauten Heim der Verbraucher finden. Das muss für die Karpfen beileibe nicht angenehmer sein. Zunächst einmal ist eine Tasche oder ein Netz nicht eben das ideale, dafür aber das typische Transportgerät vom Bottich nach Hause. Und was sich dann dort abspielt, kennt man ja: Das Familienoberhaupt trinkt sich mit einem Becherovka-Likör Mut an, bindet Mutters beste Schürze um, fingert im Besteckfach nervös nach der Rührkeule, die sonst für den Kuchenteig bestimmt ist, schiebt sich die Klinge eines scharfen Messers zwischen die Zähne und versucht, des Karpfens habhaft zu werden. Das Vieh aber wehrt sich, zappelt wie verrückt und versucht zu entwischen. Zugute kommt ihm dabei ein gewisses Maß an Glitschigkeit. Das Tier hopst vom Tisch, der Vater stürzt ihm nach, holt sich dabei schlimme Dellen und blaue Flecke, der Karpfen japst nach Luft, der Vater auch, gibt irgendwann ermattet auf und der Karpfen kommt nicht auf den Teller, sondern landet wieder in der Badewanne und dann Silvester in der Moldau. Na prima! Freilich wird sich aber doch das eine oder andere Mannsbild finden, das sich geschickter anstellt und den Karpfen irgendwie klein kriegt. Ob das aber tiergerecht geschieht, steht auf einem anderen Blatt.Fakt ist, dass das Ministerium Kontrollen in den Haushalten nicht vornehmen kann. „Das ginge dann doch zu weit“, sagt Petr Haban aus der Presseabteilung des Hauses. Fragt sich, ob das alles nun besser oder schlechter für die Karpfen ist.Der größte Witz ist, dass die Tschechen mit ihrem Weihnachtskarpfen zwar auf die Tradition setzen. Aber ein Großteil bekannte vergangenes Weihnachten in einer Umfrage, Karpfen gar nicht zu mögen. Vielleicht steigt ja der eine oder andere in diesem Jahr um. Würstchen passen ja auch ganz gut zum Kartoffelsalat. Der ist in Tschechien unvermeidlich. Selbst wenn die Kartoffel dabei bis zu Unkenntlichkeit vermanscht wird. Auch kein sehr schönes Schicksal, das die Knollen erleiden...ENDE


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