Georgien

Verwelkte Rosen und zarte Blüten

Die Stimmung ist ausgelassen an diesem Abend in einem der vielen neuen Restaurants der Hauptstadt Tiflis, und nicht zum ersten Mal hebt der Tamada, der Tischherr, sein Glas, um auf die Vorfahren, den Weltfrieden und natürlich die Frauen zu trinken. „Die Frauen sind die Blumen in unserem Leben “, sinniert ein Georgier, der mit am Tisch sitzt. Die Blüten der Rosenrevolution allerdings sind längst verwelkt, spätestens seitdem 50.000 Menschen am 2. November in Tiflis auf die Straße gingen und den Rücktritt des Präsidenten forderten.

Den Protesten vorausgegangen war die Verhaftung eines ehemaligen Weggefährten des Präsidenten. Irakli Okruaschwili, bis vor einem Jahr georgischer Verteidigungsminister, hatte Mitte Oktober in einer Fernseh-Talkshow Saakaschwili beschuldigt, ihn 2005 mit dem Mord eines politischen Gegners beauftragt zu haben. Kurz darauf wurde der im Land sehr populäre Okruaschwili verhaftet, angeblich wegen Betrugs und Erpressung, und erst wieder auf freien Fuß gesetzt, nachdem er seine Anschuldigungen widerrufen hatte.

Inzwischen wurde der Ex-Minister in Berlin erneut verhaftet und wartet auf seine Auslieferung nach Georgien. Der Fall Okruaschwili sei jedoch nur der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht habe, erklärt Osteuropa-Experte Uwe Halbach von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Der eigentliche Grund für die Proteste sei die tief sitzende soziale Frustration vieler Georgier: „Die Rosenrevolution hat die Mehrheit der Georgier nicht auf Rosen gebettet.“ Immer noch lebe ein Drittel der georgischen Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze, „und das schlägt jetzt durch“.

Zu den Protesten aufgerufen hatte ein loses Bündnis aus verschiedenen Oppositionsparteien. Wofür die Regierungskritiker jedoch genau stehen, bleibt weitgehend unklar. Sie einigt allein die Kritik an der Person Saakaschwili. Der Abgeordnete Kacha Kukava von der oppositionellen Konservativen Partei etwa hält diesen für einen skrupellosen Machtpolitiker: „Saakaschwili ist ein Mensch ohne jegliche politische Werte, wenn es um Demokratie, Menschenrechte oder eine politische Orientierung gen Westen oder Russland geht.“ Und der Westen protegiere ihn dabei. „Wenn in Weißrussland Wahlen sind, dann schreiben westliche Medien sofort über Wahlfälschung und den Diktator Lukaschenko, aber auch unser Präsident hat bei den letzten Wahlen 98 Prozent der Stimmen bekommen. Da schaut aber niemand so genau hin, solange Georgien sich klar antirussisch verhält“, wettert Kukava.

Tatsächlich hat das georgisch-russische Verhältnis den Gefrierpunkt erreicht, seitdem Georgien im  Herbst 2006 drei angebliche russische Spione nach Moskau auswies. Russland machte daraufhin die Grenzen dicht für Waren aus dem südlichen Nachbarland. Das Embargo des bis dahin wichtigsten Marktes für georgische Produkte ist bis heute nicht aufgehoben, alle Flüge zwischen Moskau und Tiflis sind gestrichen. Auch hinter den jüngsten Protesten vermutet die Regierung Russland als Drahtzieher, und als Begründung für den Notstand erklärte Michail Saakaschwili, es habe einen versuchten Staatsstreich mit russischer Hilfe gegeben. Unabhängige Beobachter wie Uwe Halbach halten das allerdings für ein reines Ablenkungsmanöver von den aktuellen Problemen des Landes.

Dies darf allerdings nicht darüber hinweg täuschen, dass die Regierung Saakaschwili durchaus auf Erfolge verweisen kann: Als „Reformland Nr. 1“ bezeichnete etwa die Weltbank Georgien in ihrem Jahresbericht 2006. Für die Menschen in Georgien heißt das: Es kehrt so etwas wie Normalität ein nach einer Zeit des Bürgerkrieges und wirtschaftlichen Niedergangs in den 90er Jahren. Das spürt auch die 78-jährige Rentnerin Nina, die in der Weinprovinz Kachetien östlich von Tiflis lebt: „Die Rente reicht auch heute nicht, zwölf Euro, aber immerhin wird sie ausgezahlt“, erzählt die ehemalige Lehrerin. Unter Schewardnadse sei ein Jahr lang gar nichts ausgezahlt worden. „Heute haben wir Strom hier, vor vier Jahren noch gab es abends nichts als Kerzen.“ Die Rentnerin lässt deshalb nichts kommen auf ihren Präsidenten.

Glühbirnen statt Kerzen - der schnelle Wiederaufbau des Stromnetzes sei exemplarisch für die rasante wirtschaftliche Entwicklung im Land, erklärt der georgische Wirtschaftsminister Giorgi Arveladze. „Vor vier Jahren hatten wir selbst in Tiflis gerade einmal zwei Stunden Strom pro Tag.“ Heute habe man im ganzen Land eine Rund-um-die-Uhr-Versorgung und exportiere sogar Energie ins Ausland. Georgien werde in Zukunft vor allem als Transitland von Ost nach West wirtschaftlich profitieren, ist sich der Minister sicher. „Egal, wo Sie hinschauen, die Wirtschaft in Georgien boomt, ähnlich wie vor zehn bis 15 Jahren Rumänien, Tschechien, Bulgarien als Märkte interessant wurden. Heute ist das Zentraleuropa. Das wahre Osteuropa ist heute Georgien.“

Auch private Geschäftsleute und Unternehmer zeigen sich zuversichtlich, was die wirtschaftliche und politische Entwicklung Georgiens angeht. Eines der wichtigsten Exportgüter ist traditionell der Wein, der in Georgien eine 7000-jährige Geschichte hat. Darauf ist man auch beim größten Weinhersteller des Landes stolz. Das Weingut „Teliani Valley“ hat im vergangenen Jahr eine Million Flaschen Rot- und Weißwein abgefüllt. 80 Prozent der Produktion gehen ins Ausland, Hauptabnehmer sind die Ukraine, die USA und Japan. Jetzt haben die Manager des Weinguts die EU im Blick, erzählt Chef-Önologe Georgi Takischwili: „Das russische Embargo sehen wir hier eher als Chance, uns auf dem europäischen Markt zu behaupten.“ Aromen, Farbstoffe, Zucker – all das sei bei der Weinherstellung in Georgien verboten, so dass die Qualität auf jeden Fall stimme. Zudem verweist der Weinfachmann auf 24 Rebsorten, die es nur in Georgien gibt: Saperawi, Rkazeteli oder Mzwane etwa. „Weintrinker lieben ja das Neue und Exotische, und genau das können wir dem europäischen Markt  bieten.“

Auch ausländische Investoren haben das kleine Land zwischen Schwarzem Meer und Kaukasus für sich entdeckt. Der weltweit agierende Zementhersteller Heidelberg Zement aus Deutschland etwa hat 100 Millionen Euro in ein Jointventure mit einem georgischen Unternehmen gesteckt und sieht die Kaukasus-Region durchaus als einen Markt mit viel Potential.Viel versprechen sich die Georgier auch vom Tourismus. Für Sowjetbürger war die kleine Kaukasus-Republik mit seinen Schwarzmeer-Stränden ein Traumziel, bis zu fünf Millionen Urlauber jährlich zählte die damalige Sowjetrepublik noch in den 80er Jahren. Zwar ist man heute von solchen Zahlen weit entfernt, aber das Geschäft mit dem Tourismus treibt inzwischen wieder zarte Blüten. Die meisten Besucher sind Natur- und Kultur-Touristen, die den guten Wein und die Gastfreundschaft der Menschen schätzen. Laut georgischem Wirtschaftsministerium kamen 2006 allein aus Deutschland 10.000 Besucher nach Georgien, „was sicherlich auch daran liegt, dass wir die Visumspflicht abgeschafft haben“, ist sich Tourismus-Experte Beka Jakuli sicher.

In der Pädiatrischen Universitätsklinik Tiflis ist auf den ersten Blick nicht viel sichtbar vom neuen Georgien, das nach Westen drängt. Funzeliges Licht auf grauen Fluren, Teile der Klinik stehen leer, weil sie völlig baufällig sind. Doch wer hier als Patient landet, hat noch Glück, denn einige Fachabteilungen gibt es landesweit nur hier. „Vor zehn, fünfzehn Jahren gab es viele dieser Spezialabteilungen noch gar nicht, auch die Frühchenstation zum Beispiel“, berichtet der Arzt Georgi Chakhunaschwili. Natürlich fehle es noch an vielem, aber immerhin habe die Klinik eine Perspektive. „Hier stehen wir in der alten chirurgischen Abteilung, dahinten der Teil ist schon neu, wir nennen das immer scherzhaft Nord- und Südkorea, das beschreibt ganz gut unsere Situation.“ Nicht nur die Situation der Klinik, sondern des ganzen Landes, das irgendwo zwischen der alten Bindung an Russland und einer Neuorientierung gen Westen seinen Platz sucht.

In der demokratischen Kultur Georgiens jedenfalls fehle es noch an allen Ecken und Enden, sagt der Politologe und Journalist David Aphrasidse: „Wir sehen die Demokratie als guten Slogan, aber wenn es um konkrete politische Arbeit geht, dann heiligt das Ziel die Mittel. Wir sind noch postsowjetische Menschen.“ Lediglich nach mehr Demokratie und einer stärkeren Gewaltenteilung zu schreien, das sei jedoch zu wenig, kritisiert Aphrasidse die jüngsten Proteste der Saakaschwili-Gegner: „Die Opposition bei uns hat keine klaren Ziele.“

Die vorgezogenen Präsidentschaftswahlen sind auf den ersten Blick ein echter Erfolg für die Regierungskritiker, gleichzeitig aber auch ein geschickter Schachzug des Präsidenten. Denn bis Anfang Januar bleibt seinen Gegnern nur wenig Zeit sich zu formieren. Aus der Not geboren scheint da auch der Ende November gekürte Präsidentschaftskandidat Lewan Gatschetschiladse, der nun ins Rennen gegen Saakaschwili geschickt wird. Laut Osteuropa-Experte Uwe Halbach ist er jedoch ein politischer Nobody.

Gatschetschiladse wirbt mit einem Revisionskonzept: Die politische Gewalt soll zurück verlagert werden vom Präsidenten auf das Parlament. In einer solchen parlamentarischen Republik soll Gatschetschiladse im unwahrscheinlichen Falle seines Wahlsieges zunächst nur als Interimspräsident fungieren bis zu den nächsten Parlamentswahlen, danach soll das Präsidentenamt völlig abgeschafft werden.Zunächst einmal sehen die Regierungskritiker die anstehenden Wahlen jedoch als Gradmesser dafür, wie es um die vermeintliche Demokratie im Georgien nach der Rosenrevolution bestellt ist, erklärt Kacha Kukava von der Konservativen Partei: „Die Demokratie zeichnet sich doch vor allem dadurch aus, dass Regierungen auf dem Wege von Wahlen ausgewechselt werden.“ Nach der Unabhängigkeit Georgiens habe es zwei Machtwechsel gegeben, keinen davon jedoch durch Wahlen. „1992 hatten wir den Bürgerkrieg, 2003 die Rosenrevolution. Von einer echten Demokratie kann man im Fall Georgien also nicht sprechen.“Präsident Saakaschwili übrigens sieht das anders: Die jüngsten Demonstrationen, so ließ er vor Verhängung des Notstandes im November verlauten, seien Ausdruck der neuen demokratischen Kultur Georgiens.


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