„Der Traum der Kosovaren ist nicht Tirana"
ostpol: Herr Minister, Anfang des nächsten Jahres werden die Kosovo-Albaner wahrscheinlich die einseitige Unabhängigkeit ausrufen. Wie wird Albanien darauf reagieren?
Lulzim Basha: Die Position Albaniens ist sehr klar und transparent: Wir hätten es bevorzugt, ein Abkommen zwischen den beiden Parteien und eine UN-Sicherheitsrats-Resolution zu haben. Nun aber unterstützt Albanien nachdrücklich die Umsetzung des Ahtisaari-Plans vor Ort durch die EU und die Nato.
Wann wird Albanien das Kosovo als unabhängigen Staat anerkennen?
Basha: Albanien wird alle notwendigen Schritte in dieser Abschlussphase des Statusprozesses in Absprache mit Pristina, Washington und Brüssel unternehmen - einschließlich der Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovo.
Warum ist es so wichtig, dass das Kosovo ein unabhängiger Staat wird?
Basha: Dies ist der natürliche Abschluss eines langen Prozesses. Kosovo wurde nie als gleichberechtigter Teil Serbiens behandelt, seine Bürger waren nie gleichberechtigte Bürger. Die fortwährende Frustration gipfelte in den Ereignissen von 1998 und 1999. Kosovo ist die letzte ungelöste Sicherheitsfrage in der Region. Durch die Lösung dieser Frage wird der Weg für die euroatlantische Vision aller Länder Südosteuropas geebnet.
Wird die Regierung des Kosovo in der Lage sein, die ethnischen Minderheiten in einem unabhängigen Kosovo zu schützen?
Basha: Es gibt keine Minderheit auf der Welt, die so viele Sonderrechte genießt, wie sie der Ahtisaari-Plan für die Kosovo-Serben vorsieht. Deshalb war es sehr enttäuschend, dass die Führung in Belgrad den Ahtisaari-Plan ablehnte. Damit zeigte sie, dass es ihr mehr um das Territorium als um die Rechte der Serben im Kosovo geht. Die Regierung des Kosovo und die internationale Gemeinschaft sind unserer Ansicht nach vollkommen in der Lage und willens, den Plan als Ganzes umzusetzen und die Rechte der serbischen Minderheit im Kosovo zu garantieren.
Es gibt Bedenken, dass ein unabhängiges Kosovo ein erster Schritt in Richtung "Großalbanien" sein könnte.
Basha: Das ist Unsinn. Der Traum der Kosovaren ist nicht Tirana, sondern Brüssel - die EU und die Nato. Es gibt nicht eine einzige seriöse Person in den Parlamenten von Albanien, des Kosovo, von Mazedonien und Montenegro, die für ein Großalbanien eintritt. Wofür wir eintreten, ist die europäische Vision für ganz Südosteuropa - ein unabhängiges Kosovo Seite an Seite mit Albanien, Serbien, Mazedonien, Montenegro, Bosnien-Herzegowina und Kroatien in der Nato und der EU.
Der albanische Außenminister Lulzim Basha begrüßt US-Präsident George W. Bush im Juni 2007 in Tirana / Albanisches Außenministerium
In Westeuropa hat Albanien das Image eines von organisierter Kriminalität und Korruption beherrschten Landes. Stimmt das?
Basha: Nein, das ist eher das Echo der Vergangenheit, denn wir haben große Fortschritte gemacht. Wir gingen energisch gegen die organisierte Kriminalität vor und brachen ihr das Rückgrat durch die Eliminierung von 205 kriminellen Gruppen und Organisationen. Ihre Mitglieder sitzen nun im Gefängnis. Albanien gilt nach internationalen Berichten nicht mehr länger als die bevorzugte Transitroute für den Menschen- und Drogenhandel. Die Maßnahmen gegen die Korruption helfen auch der Wirtschaft, die jährlich um sechs Prozent wächst, bei einer Inflation und einem Budget-Defizit von je unter drei Prozent. Die ausländischen Direktinvestitionen haben sich verdreifacht im Laufe der vergangenen zwei Jahre.
Albanien erwartet, beim Nato-Gipfel in Bukarest im Frühling 2008 die Einladung zur Mitgliedschaft zu bekommen. Warum ist das so wichtig für Ihr Land?
Basha: Es gibt einen nationalen Konsens über Albaniens Nato-Beitritt. Bei der letzten Umfrage unterstützten 94 Prozent der Befragten dieses Ziel. Warum? Erstens ist es die beste Investition in die kollektive Sicherheit. Zweitens ist die Nato-Einladung für ausländische Investoren eine Art "Zertifikat" für Standards in den Bereichen Sicherheit, Rechtsstaatlichkeit und Marktwirtschaft in Albanien. Der dritte Faktor ist ein emotionaler und psychologischer: Die Aufnahme in die Nato bestätigt die europäische und westliche Identität der albanischen Nation und bringt uns dorthin zurück, von wo uns die Geschichte getrennt hatte.
Im Juni letzten Jahres unterschrieb Albanien ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit der EU. Wann wird Albanien Mitglied der EU sein?
Basha: Diese Antwort kann ich jetzt nicht geben, denn das hängt sowohl von den Reformprozessen in Albanien als auch von der EU selbst ab. Wir können nicht ignorieren, dass die EU eine gewisse Erweiterungsmüdigkeit zeigt.
Lulzim Basha, geboren 1974 in Tirana, verließ Albanien 1993. Er studierte an der Universität Utrecht (Niederlande) und spezialisierte sich als Anwalt auf europäisches und internationales öffentliches Recht. Nach kurzer Tätigkeit als Ermittler beim Haager Kriegsverbrecher-Tribunal arbeitete Basha von 2000 bis 2005 in verschiedenen Positionen als Rechtsberater bei der UN-Übergangsverwaltung Unmik im Kosovo. Seit 2005 ist er Präsidiumsmitglied der Demokratischen Partei Albaniens von Ministerpräsident Sali Berisha. Bevor Basha im Frühling diesen Jahres Außenminister wurde, war er eineinhalb Jahre lang Minister für öffentliche Bauvorhaben, Transport und Telekommunikation.
Albanien hat ein immenses Energieproblem. Täglich wird der Strom für mehrere Stunden abgeschaltet, in den Städten und auf dem Land.
Basha: Wir haben eine extreme Trockenheit hinter uns. 95 Prozent der Energie kommt von Wasserkraftwerken. 2006 nahm der Energieverbrauch allein durch die Industrie um 12,6 Prozent zu. Unsere Strategie heißt Diversifizierung: Wir planen fünf Thermo-Kraftwerke an der Küste. Die Arbeiten für das erste haben begonnen, bald startet der Bau eines zweiten. Damit können wir den Energiemangel bewältigen und mittelfristig sogar Energie nach Italien exportieren. Weiter sind wir dabei, zirka 140 kleine, mittlere und große Wasserkraftwerke im ganzen Land zu konzessionieren. Nur so können wir die wachsende Energienachfrage als Folge des Wirtschaftswachstums befriedigen.
Ihre Regierung denkt auch laut darüber nach, ein Atomkraftwerk in Albanien zu bauen.
Basha:Es gab viele Spekulationen darüber. Aber lassen Sie mich dies klarstellen: Albanien ist Mitglied des Direktoriums der Internationalen Atomenergieagentur IAEA. Wir werden alle Konventionen und Protokolle der IAEA und der Europäischen Atomgemeinschaft Euratom ratifizieren und diese um Unterstützung bei der Ausarbeitung eines Atomenergie-Gesetzes ersuchen. Aber Albanien hat keine Pläne und ist nicht in der Lage, selbst ein Atomkraftwerk zu bauen. Falls glaubwürdige ausländische Investoren willens sind, diese Möglichkeit zu sondieren, schließen wir dies nicht aus. Wir glauben, dass Atomenergie heute sicher, sauber und ökonomisch sinnvoll sein kann, für die Region und für Europa.
Viele junge Leute verlassen Albanien, weil sie keine Perspektiven sehen im Land.
Basha: Ja, das war eine bittere Realität. Aber der Trend geht nun in die andere Richtung. Die meisten Albaner, die jetzt weggehen, gehen wegen des Studiums. Viele kommen zurück und finden eine Anstellung im Bankensektor, im Dienstleistungssektor oder in der Verwaltung. Ich selbst verließ Albanien 1993, nach Studium und Karriere im Ausland kam ich zurück. Damit der Trend anhält, brauchen wir ein Wirtschaftswachstum. Diese Prozesse hängen voneinander ab. Die Wirtschaft wächst mit besseren Leuten, und eine wachsende Wirtschaft zieht gute Leute an.
Albanien mit seiner langen Küste von mehr als 350 Kilometern gilt als eines der letzten unentdeckten Urlaubsgebiete Europas. Ist Albanien bereit, ein neues Ferienparadies für Touristen aus Westeuropa zu werden?
Basha: Noch nicht, aber es bereitet sich darauf vor. Die Immobilienpreise steigen jedes Jahr. Erstmals kommen jetzt auch große Investoren, Firmen, die 200 Millionen Euro und mehr in ein Projekt investieren wollen. Das ist ein entscheidender Schritt vorwärts. Beispielsweise will sich Club Med im Süden des Landes engagieren. Wir als Regierung müssen sicherstellen, dass die Basisinfrastruktur da ist. Dabei legen wir besonderen Wert auf das Straßennetz sowie die Wasser- und Stromversorgung. Das diesjährige Wachstum im Tourismus beträgt etwa 35 Prozent, in den letzten Jahren waren es rund 50 Prozent. Die meisten Touristen kommen immer noch aus der Region, aber wir sehen nun auch Deutsche, Briten, Franzosen und sogar Japaner.