ERWEITERUNG DES SCHENGEN-RAUMS: Festung am Ende Europas
Ab dem 21. Dezember fallen innerhalb der EU Grenzkontrollen weg - die Ostgrenze wird schärfer bewacht / Ein Besuch in der OstslowakeiDichter Flockenwirbel hat Vysne Nemecke eingehüllt. "Gutes Wetter für uns, schlechtes für die Menschenschmuggler", sinniert Miroslav Uchnar, der Chef der Grenzpolizeistation im ost-slowakischen Sobrance. "Bei dem Schnee lassen sich Menschen von den Kameras noch besser als sonst ausmachen." Menschen, die aus Richtung Ukraine ins gelobte Europa wollen. Illegal. Früher hatten die Schmuggler leichtes Spiel. Die knapp 100 Kilometer lange Grenze zwischen der Slowakei und der Ukraine war zumindest im nördlichen Teil sehr schwer zu bewachen. Bergig und zerklüftet ist die Landschaft hier. Doch nun ist die Grenze zu einer Festung geworden, die dazu noch ohne Stacheldraht, Selbstschussanlagen und Minenfelder auskommt.Wenn ab dem 21. Dezember die Grenzen innerhalb der EU durchlässiger werden und es in dem riesigen Raum zwischen der Ostgrenze der baltischen Staaten, Polens, der Slowakei und Ungarns und der französischen Atlantikküste keine Grenzkontrollen mehr gibt, wird die slowakisch-ukrainische Grenze zur Schengen-Außengrenze. Was die Slowaken hier in kürzester Zeit mit massiver Hilfe anderer EU-Staaten auf die Beine gestellt haben, nötigt Respekt ab. Grenzpolizist Uchnar und der slowakische Innenminister Robert Kalinak sprechen übereinstimmend von einem "kleinen Wunder". Vor Jahresfrist noch wurde die Slowakei heftig kritisiert, weil sie mit ihren Vorbereitungen auf den Tag X nicht vorangekommen war. Einige Verantwortliche in Brüssel wollten das Land gar aus der Schengen-Erweiterung herausnehmen. Harsche Töne kamen auch aus Prag. Für die Tschechen hat die Bewegungsfreiheit ihrer Bürger in Europa absoluten Vorrang. Erst mit Schengen, so sagt man an der Moldau, sind wir "nicht länger EU-Bürger zweiter Klasse". Und folgerichtig drohte Prag, notfalls die Grenze zur Slowakei dicht zu machen. Die psychologischen Folgen, die ein solcher Schritt gehabt hätte, wären kaum zu überschätzen gewesen; immerhin lebten Tschechen und Slowaken ein Dreivierteljahrhundert in einem Staat. Und auch nach der staatlichen Trennung 1993 war das gemeinsame Grenzregime eher locker. Am Ende besannen sich die Tschechen und unterstützten die Slowaken lieber dabei, für Schengen fit zu werden.Innenminister Kalinak ist angesichts der Anlaufschwierigkeiten heute umso stolzer: "Als mein luxemburgischer Kollege die Grenze besichtigte, baute er sich vor einem Grenzzaun auf und sagte den mitgereisten Journalisten: 'Ich stehe jetzt an der luxemburgisch-ukrainischen Grenze.' Ein größeres Lob kann man nicht erwarten." Mit sichtlichem Vergnügen dirigiert Kalinak zu diesen Worten per Maus-Klick einen großen Monitor, der Live-Bilder von allen Abschnitten der Grenze und den Grenzübergängen bis in sein Büro im mehrere Hundert Kilometer entfernten Bratislava liefert. Um Migranten und ihre Schlepper zu zeigen, muss Minister Kalinak jedoch auf ältere Videoaufnahmen zurückgreifen. "Aktuelle Fälle haben wir nicht", sagt er beinahe entschuldigend. "Es hat sich herum gesprochen, dass wir eine Festung errichtet haben. Die Migranten versuchen es seither lieber über Ungarn und Polen, nach Westen zu kommen. Viel größer sind die Chancen aber auch dort nicht."In der Kommandozentrale von Sobrance geht es ruhig zu. Sechs Operatoren sitzen in einem kleinen Raum, in dem alle Bilder von der Grenze zusammenlaufen. Es ist eine Grenze ohne Stacheldraht, ohne Selbstschussanlagen, ohne Minenfelder. Kameras und mobile Streifen sorgen dafür, dass niemand so leicht den grenzenlosen Schengenraum erreicht. Im südlichen Abschnitt der Grenze, der flach und übersichtlich ist, stehen die Kameras dicht an dicht, im Abstand von nur 186 Metern. Bei Dunkelheit oder schlechtem Wetter schalten sie automatisch auf Infrarot um. Komplizierter ist die Geografie im gebirgig zerklüfteten nördlichen Teil. Dort wird mit Spezialsichtgeräten Jagd auf Schmuggler gemacht. Bis zu fünf
Kilometer können so genannte Thermo-Visionsgeräte sehen. "Big Brother" auch an den Lkw- und Bahnübergängen. Die Brummis werden gescannt. Die Fahrer müssen dazu aussteigen. Jeder Mensch, der sich dann noch in dem Lkw verbirgt, wird zur sofortigen Beute der Technik. Die Züge wiederum durchlaufen eine Anlage mit Radarwellen. Sie ist eine slowakische Erfindung und unterscheidet zwischen Menschen und Tieren. Das hängt mit dem unterschiedlichen elektromagnetischen Feld zusammen, das alle Lebewesen umgibt, sagt Uchnar. "Niemand glaubte uns, dass das funktioniert. Bis wir es anhand eines Streifenpolizisten vorführten. Er wurde von der Kamera gezeigt. Sein Hund aber nicht." Auch hier also keine Chance für Menschen auf dem Weg ins vermeintliche EU-Paradies. Wer es dennoch schafft, durchzuschlüpfen, muss damit rechnen, in mehreren Zonen bis zu 40 Kilometer im Landesinneren aufgegriffen zu werden. Dort warten mobile Einsatzfahrzeuge, die wiederum mit Spezialkameras ausgestattet sind. Die Bilder werden vor Ort in Laptops gespeichert, die mit der Zentrale in Sobrance vernetzt sind, und damit zugleich mit dem "Schengen-Informationssystem", dem Herzstück für Fahndungen. Per Maus-Klick können die Operatoren jeden Grenzabschnitt bildlich erfassen. Jede verdächtige Bewegung löst zusätzlich einen Alarmton aus. Die Beamten können Eindringlinge sofort sehen und die mobilen Streifen, die in der Nähe sind, in Marsch setzen. Die Einsatzkräfte dort wiederum sind, anders als die Migranten, nicht zu Fuß unterwegs. Ihnen stehen Fahrzeuge mit Allradantrieb oder schneetüchtige Gefährte zur Verfügung, die es selbst in schwierigem Gelände auf erhebliche Geschwindigkeiten bringen.Wer aufgegriffen wird, findet sich in der Polizeizentrale von Sobrance wieder, die ebenfalls mit EU-Hilfe renoviert wurde. Hier werden die Flüchtlinge nicht nur verhört, sondern in erster Linie versorgt. "Wir haben erschütternde Fälle gehabt", sagt Polizeichef Uchnar. "Etwa den einer völlig erschöpften und verwirrten Frau aus Tschetschenien, die wir in einem Wald fanden. Ihre drei Kinder hielt sie an sich gedrückt. Sie waren tot, hatten die Strapazen der Flucht nicht überstanden." Für die aufgespürten Migranten kommt in diesem Tagen ein Arzt nach Sobrance. Er wird dort eine normale Praxis eröffnen, im Notfall aber für die illegalen Einwanderer da sein. Wer von denen keinen Asylantrag für die Slowakei stellt, wird in die Ukraine abgeschoben."Die Zusammenarbeit mit der anderen Seite läuft reibungslos", lobt Uchnar. Freilich gibt es Ausnahmen. So sind wiederholt ukrainische Grenzer zu Helfern für Schlepper und Schmuggler geworden. Damit das auf slowakischer Seite nicht passiert, wird den Grenzern dort das harte Leben finanziell versüßt. 378 Euro verdienen die Menschen in der Ostslowakei im Durchschnitt. Die Grenzer, ihre Zahl wurde von 240 im Jahre 2004 auf 886 jetzt aufgestockt, bekommen umgerechnet 840 Euro. "Das soll auch der Verlockung die Spitze nehmen, sich von Migranten oder Schleppern bestechen zu lassen", erklärt Uchnar.
Speziell gefeiert wird in Sobrance am 21. Dezember, wenn innerhalb des Schengen-Raums die Grenzen fallen, übrigens nicht. "Wir machen die übliche Weihnachtsfeier", winkt Uchnar lächelnd ab. "Aber in erster Linie unseren Job für den Rest Europas. Dort soll man wissen, dass man sich auf uns verlassen kann."ENDE