Bosnien-Herzegowina

Silberstreif am Horizont

In Sarajevo ist das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) zwischen Bosnien-Herzegowina und der EU paraphiert worden. Der Vertrag, der als erster Schritt auf dem Weg zu einer möglichen EU-Mitgliedschaft gilt und ursprünglich bereits Anfang November unter Dach und Fach gebracht werden sollte, ist damit zunächst gebilligt. Bis zur endgültigen Unterzeichnung sind jedoch größere Reformanstrengungen in Bosnien-Herzegowina notwendig. Dazu gehört neben Änderungen der Verfassung eine von der EU geforderte Polizeireform, auf deren Umsetzung sich die politischen Kräfte des Landes bislang nicht einigen konnten.

Vor der Paraphierung des SAA-Abkommens hatte das gesamtstaatliche Parlament von Bosnien-Herzegowina erst in letzter Minute die Minimalforderung der EU erfüllt und ein Maßnahmenpaket verabschiedet, mit dem die Beschlussfassung in der Kammer künftig vereinfacht wird. Damit hat das Land nach Wochen der Lähmung zumindest kurzfristig einen Ausweg aus einer der größten politischen Krisen nach dem Ende des Krieges 1995 gefunden.

Die wirtschaftliche Entwicklung scheint dagegen Anlass zum Optimismus zu geben. Das Land befindet sich auf dem Weg von einer Nachkriegswirtschaft zu einer funktionierenden Marktwirtschaft. Experten rechnen in diesem Jahr mit einem Anstieg des Bruttoinlandsprodukts um mehr als sechs Prozent. Auch für die kommenden Jahre wird bislang ein stabiles Wirtschaftswachstum auf diesem Niveau erwartet. Die gute Konjunktur stützt sich dabei unter anderem auf Zuwächse in der Industrie und eine zunehmende Investitionstätigkeit. Zudem dürfte in Zukunft auch der private Verbrauch wegen des anhaltenden Nachholbedarfs und steigender Löhne weiter zunehmen. Deutliche Importzuwächse von über 28 Prozent im ersten Halbjahr 2007 zeigen, dass nicht zuletzt ausländische Produzenten von der Entwicklung profitieren.



Altstadt von Sarajevo bei Nacht / Erdin Kadunic, n-ost


"Die Wirtschaft in Bosnien-Herzegowina befindet sich auf dem richtigen Weg. Das Land bietet grundsätzlich gute Bedingungen für ausländische Investoren", bestätigt Astrid Pummer, die als Handelsdelegierte die österreichische Wirtschaft in Sarajevo vertritt. Dieser Optimismus ist nicht unbegründet, wurde doch seit 1995 etwa ein Drittel der ausländischen Direktinvestitionen von insgesamt 4,4 Milliarden Euro aus Österreich getätigt. "Wir profitieren von einer historischen Verbundenheit, die in der K.u.K.-Vergangenheit Bosnien-Herzegowinas wurzelt. Zudem vereinfacht unsere ähnliche Mentalität den Abschluss von Geschäften", erläutert Pummer den Wettbewerbsvorteil ihrer Landsleute. So kontrollieren österreichische Finanzinstitute wie Volksbank, Hypo-Alpe-Adria oder Raiffeisenbank inzwischen einen großen Teil des Bankensektors in Bosnien-Herzegowina.

Während Österreich die Liste der Investoren anführt, belegt Deutschland einen Spitzenplatz in der Außenhandelsstatistik. Lediglich Kroatien liefert gegenwärtig mehr Waren nach Bosnien-Herzegowina. Zu den größten deutschen Investoren gehören der Baustoffkonzern HeidelbergCement und der Milchverarbeiter Meggle. Um das vorhandene Potenzial für die wirtschaftliche Zusammenarbeit noch besser zu nutzen, gründeten Firmen aus beiden Ländern im Sommer dieses Jahres unter anderem mit Hilfe der Delegation der Deutschen Wirtschaft in Sarajevo den Verein zur Förderung der deutsch-bosnisch-herzegowinischen Wirtschaftsbeziehungen. "In unserem Verein sind bereits mehr als 40 Unternehmen Mitglied. Wir wollen helfen, Marktchancen zu erkennen und Risiken zu vermeiden. Dabei können die Firmen vom Austausch mit anderen Mitgliedsunternehmen profitieren", erklärt der Geschäftsführer des Vereins, Michael Wolski.

Allerdings zeigen die guten makroökonomischen Zahlen nur eine Seite der wirtschaftlichen Situation in Bosnien-Herzegowina. Die Bevölkerung profitiert bislang nur im bescheidenen Maße von der wirtschaftlichen Erholung. Das größte Problem ist dabei die hohe Arbeitslosigkeit. Offiziellen Angaben zufolge liegt die Erwerbslosenquote bei über 40 Prozent, unter Einbeziehung der Schattenwirtschaft gehen Experten von etwa 25 Prozent aus. Aufgrund der fehlenden Perspektiven wollen laut einer UNDP-Studie heute knapp zwei Drittel der Bosnier unter 30 Jahren ihr Land verlassen, von den 30- bis 50-Jährigen ist etwa die Hälfte bereit, ins Ausland zu gehen.

Trotz der hohen Arbeitslosigkeit herrscht in Bosnien-Herzegowina in bestimmten Branchen Fachkräftemangel. "Ein Grund dafür ist auch das schlechte Bildungssystem, sowohl die Berufs- als auch die Hochschulausbildung entsprechen nicht den Anforderungen des Marktes", beklagt Damir Miljevic, Präsident des Arbeitgeberverbandes in Banja Luka.

Das hohe Wirtschaftswachstum beruht nicht zuletzt auf einer niedrigen Vergleichsbasis. Trotz wachsender Investitionen und einzelner gelungener Privatisierungen vor allem im Banken- und Telekom-Sektor hat Bosnien-Herzegowina bisher erst wieder 70 Prozent seiner Wirtschaftskraft aus der Vorkriegszeit erreicht. Einheimische Unternehmen sind international kaum konkurrenzfähig. Besonders die notwendigen Greenfield-Investitionen in neue Produktionen bleiben aus.

Gründe dafür sind vor allem die überbordende Bürokratie und der fehlende einheitliche Wirtschaftsraum innerhalb des Landes. Das Abkommen von Dayton, das 1995 den Krieg in Bosnien-Herzegowina beendete, hat ein kompliziertes Staatsgebilde aus zwei Teilrepubliken - der bosniakisch-kroatischen Föderation (FBiH) und der Republika Srpska (RS) - geschaffen. Wichtige Kompetenzen sind nicht auf der Ebene des Gesamtstaats sondern auf derjenigen der beiden "Entitäten" angesiedelt. Das betrifft unter anderem das Steuersystem. "Unternehmen werden in der FBiH mit 30 Prozent besteuert, während in der RS ein Körperschaftsteuersatz von lediglich zehn Prozent gilt. Gleichzeitig bietet die FBiH für ausländische Investitionen unter bestimmten Bedingungen Steuernachlässe von bis zu 100 Prozent, die RS verzichtet dagegen auf zusätzliche Investitionsanreize", erläutert Astrid Pummer. Immerhin sollen in Kürze die Regelungen für Unternehmensgründungen vereinheitlicht werden.

Internationale Finanzinstitutionen wie Weltbank, IWF oder EBRD mahnen daher dringend notwendige Reformen an. Seit der erfolgreichen Einführung einer einheitlichen Mehrwertsteuer Anfang 2006 sind dabei allerdings wenige Fortschritte zu verzeichnen. Versuche zur Zentralisierung werden von den nach ethnischer Zugehörigkeit bestimmten politischen Parteien verzögert oder blockiert. Zudem behindern Korruption und politische Einflussnahme wirtschaftliche Reformen und Investitionen. So ist in der FBiH aufgrund fehlender Parlamentsentscheidungen der Privatisierungsprozess zwischenzeitlich weitgehend zum Erliegen gekommen, während Unternehmen dringend auf ausländisches Kapital angewiesen sind. "Die Politik ist für die Wirtschaft in Bosnien-Herzegowina so wichtig wie in kaum einem anderen Land. Investoren brauchen Zeit und Geduld", räumt trotz allem Optimismus auch Astrid Pummer ein.

Potenzial sehen Experten in Bosnien-Herzegowina vor allem in der Energiegewinnung, der Holz verarbeitenden Industrie und im Tourismus. Zudem verspricht der Ausbau der Infrastruktur umfangreiche Investitionsmöglichkeiten. In den kommenden Jahren ist die Errichtung neuer Wärme- und Wasserkraftwerke vorgesehen, wofür erst kürzlich die Karlsruher EnBW und das österreichische Konsortium APET als strategische Partner ausgewählt wurden. Internationale Baukonzerne hoffen auf Großaufträge im Rahmen des geplanten Baus einer Nord-Süd-Autobahn von der Sava über Zenica, Sarajevo und Mostar zur Adria.

Die rasche Umsetzung dieser und anderer Vorhaben hängt allerdings von den entsprechenden politischen Weichenstellungen ab. Kurzfristig muss dazu zunächst die aktuelle Krise überwunden werden, mittelfristig sind effektivere staatliche Strukturen notwendig. Anderenfalls ist es nach Einschätzung von Željko Komšic, kroatischer Vertreter im dreiköpfigen Staatspräsidium von Bosnien-Herzegowina, nur eine Frage der Zeit, bis sich die schwierige politische Lage noch stärker auf die wirtschaftliche Entwicklung auswirkt.


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