Eklat um Gesetz gegen Volksverhetzung
Ungarns Staatsoberhaupt lehnt Unterzeichnung ab / Juden sagen traditionelles Essen im Präsidentenpalast abDiesmal blieben beim Gala-Dinner im Sándor-Palast auf dem Burgberg von Buda einige Plätze frei. Nur Vertreter der christlichen Kirchen speisten mit dem Hausherrn László Sólyom und erörterten aktuelle Fragen. Die ungarische jüdische Gemeinde (MAZSIHISZ) hatte das traditionelle Essen zum Jahresende mit dem ungarischen Präsidenten unter Protest abgesagt. Grund ist ein massiver Streit um ein Gesetz gegen rechte Propaganda, analog dem deutschen Paragraphen gegen Volksverhetzung.Sólyom weigert sich das ihm vorliegende Gesetz zu unterzeichnen. Er führt dabei verfassungsrechtliche Bedenken ins Feld und fürchtet Sammelklagen und Prozesslawinen, die den Beschuldigten finanziell das Genick brechen könnten. Eine Begründung, die die Jüdische Gemeinde für äußerst fragwürdig hält. "Es scheint, dass der Schutz der Vermögensverhältnisse der Demütiger und Beleidiger wichtiger ist als der Schutz der Würde der Gedemütigten und Beleidigten", heißt es in einem offenen Brief der Gemeindevertreter. "Das letzte Wort hat das Verfassungsgericht", ließ Sólyom seinerseits in einem Brief der jüdischen Gemeinde mitteilen. Er bedauert darin ausdrücklich deren Absage und betont, gerade "diese Fragen hätten bei einem gemeinsamen Mittagessen von Angesicht zu Angesicht gut besprochen werden können". Rechtsextreme dürfen vorerst weiter hetzenIn der Vergangenheit hatte sich Sólyom sehr deutlich von Rechtsextremen distanziert. Der aktuelle Streit aber ist ein gefundenes Fressen für die rechtsextreme Szene. Im Internetportal "kuruc.info" ist ein Foto zu sehen, das zwei orthodoxe Juden in einem gekachelten Raum zeigt. Eine Hand ragt ins Bild und zeigt ihnen den ausgestreckten Mittelfinger, Bildunterschrift: "Wir haben genug von euch". Im Text heißt es, das ungarische Staatsoberhaupt halte die Verfassung für wichtiger als die Einführung einer "zionistischen Gedankenpolizei".
Rechtsextreme in Budapest
Stephan OzsváthPortale wie "kuruc.info" hetzen seit Jahren gegen Minderheiten wie Juden und Roma. In Rubriken wie "Zigeuner-" oder "Judenkriminalität" sammeln die Autoren aus der rechtsextremen Szene passendes Material. Am digitalen Pranger werden nach dem Vorbild der deutschen "Anti-Antifa" Fotos und Telefonnummern potentieller Opfer veröffentlicht. Hinter "kuruc.info" stecken berüchtigte Köpfe der Szene, die aus dem Dunstkreis der Parteien "Jobbik" (die Besseren/Rechteren) und "MIÈP" (Ungarische Lebens- und Wahrheitspartei) des antisemitischen Schriftstellers István Csurka stammen. László Toroczkai etwa war in Szeged für die MIÈP aktiv. Er gründete 2001 die rechtsextreme Gruppierung "Hatvannégy Vármegye Ifjúsági Mozgalom" (HVIM), zu deutsch: Jugendbewegung Burgviertel 64. Sie hat gute Beziehungen zur rechtsextremen Zwei-Prozent-Partei "Jobbik". Und ihr wird nachgesagt, maßgeblich die Krawalle vom vergangenen Herbst mit organisiert zu haben. Ungarische Juden trommeln seit Monaten für die StrafrechtsnovelleSeit Monaten schon setzen sich die ungarischen Juden dafür ein, rechtsextreme Hasspropaganda, wie sie in "kuruc.info" veröffentlicht wird, unter Strafe zu stellen. Hintergrund sind die verstärkten Auftritte rechtsextremer Gruppierungen im Land. Die seit über einem Jahr wiederkehrenden Demonstrationen gegen die sozialliberale Regierung von Ministerpräsident Gyurcsány tragen zunehmend antisemitische Züge. Am Nationalfeiertag dieses Jahres sprach der britische Holocaustleugner David Irving auf dem Heldenplatz, im Zentrum der ungarischen Hauptstadt. Im August gründete die rechtsextreme Partei "Jobbik" eine eigene Wehrsport-Gruppe, die "Ungarische Garde". Den Fahneneid legten die schwarzgekleideten Gardisten vor dem Präsidentenpalast auf dem Burgberg in Buda ab. Der ehemalige Verteidigungsminister Lajos Für verteilte die ersten Mitgliedsausweise. Priester segneten die Fahnen vor dem Amtssitz von László Sólyom. Die Vorfälle im August lösten in Ungarn eine Debatte über die Grenzen der Meinungsfreiheit aus.Ende Oktober verabschiedete das ungarische Parlament dann eine Novelle des Strafrechts, die es Minderheiten, die zur Zielscheibe rechtsradikaler Propaganda werden, erlaubt, Schadensersatz zu fordern. Es fehlt nur noch die Unterschrift von László Sólyom. ENDE